Mathias Gredig. Tiermusik

Die Welt ist voll von Tiermusik. Der Autor entfaltet vor dem Leser  ein inter-disziplinäres, leicht lesbares, obgleich sehr gelehrtes, aber eben anregendes kulturhistorisches  Panorama des Phänomens Tiermusik.

Mathias Gredig entwirft ein weit ausholendes Panorama einer gewissermaßen „geheimen Musik“, die für Mensch wie Tier Lust erzeugt und nicht selten als ironischer, spöttischer, aber auch romantisch-utopischer Gegenentwurf zur Menschenmusik zu verstehen ist.

Mathias Gredigs Bibel der Tiermusik


„Orpheus mag nicht zuletzt deswegen mit seiner Musik die Tiere beeindruckt haben, weil er selbst auf einem Tier spielte.“ Mathias Gredig spielt in seinem Buch darauf an, dass die Leier und ihre Musik bei den alten Griechen mit einer Schildkröte symbolisiert wurde und zitiert Alkaios von Lesbos, der die Leier schlichtweg Schildkröte genannt hat. Tatsächlich wurde die Leier oftmals  aus dem Korpus der Schildkröte hergestellt. Aber lange vor den Griechen be-schrieben die Ägypter Tiermusik. Musikalische Pelikane, Harfenesel, Hyänen, die Bordun-instrumente spielen, aber auch musizierende Schakale oder Füchse, Paviane mit Langhalslaute waren  für sie selbstverständlich. Mathias Credig zeigt einige von ihnen in seinem Buch, das einen weiten Bogen schlägt vom alten Ägypten übers Mittelalter bis ins neunzehnte, ja zwan-zigste Jahrhundert.


„Wo Tiere in Bildern eine Kultur haben und Musik spielen, ist jeweils die ägyptische Bildwelt nicht fern, jene der musikalischen Meerkatzen, Paviane, Krokodile, Esel, Löwen oder Pelika-ne.“ Sie wirkt nach bis in die berühmten Tierorchesterzeichnungen des französischen Karika-turisten und Malers Grandville. Streichinstrumente spielende Frösche, Heuschrecken mit Blas-instrumenten, ein Rind am Klavier, ein Geige spielender Rehbock, Singvögel mit Mandoline und Tamburin sowie Rassel spielende Heuschrecken geben sich auf diesen Zeichnungen und Lithografien des frühen 19. Jahrhunderts ein fröhliches Stelldichein. Grandvilles Tiermusik-bilder verzeichnen übrigens dreimal so viele musizierende Tierarten wie die des alten Ägyp-ten, so liest man. Das Buch fasziniert durch die Fülle an Belegen künstlerischer, literarischer  und philosophischer Paradebeispiele an Tiermusikdarstellungen.


„Es scheint seit jeher eine Musikologie gegeben zu haben, welche gänzlich auf eine Ontologie und ein quantitatives System verzichtete. Sie sei in diesem Buch skeptische oder pyrrhonische Musikologie  beziehungsweise skeptische Zoomusikologie  genannt.“ Auf den antiken Philo-sophen Pyrrhon von Elis geht die älteste in Europa entstandene Form des Skeptizismus zurück. Skeptizismus, der an allem Rationalen zweifelt, ist die Voraussetzung aller Zoomusikologie. Gredigs Buch versucht einen Überblick der abendländischen Geschichte der vormodernen skeptischen Zoomusikologie  zu geben, also der Annahme von Tierklängen oder musizie-renden Tieren jenseits von messbaren oder zu definierenden Musiksystemen oder Ästhetiken, jenseits von eindeutigen Definitionen davon, was denn Musik sei und  jenseits objektiver Methoden der Analyse, wie sie heute etwa die Bioakustik und die moderne wissenschaftliche Zoomusikologie anwendet.


Mathias Gredig entwirft ein weit ausholendes Panorama einer gewissermaßen „geheimen Musik“, die für Mensch wie Tier Lust erzeugt und nicht selten als ironischer, spöttischer, aber auch romantisch-utopischer Gegenentwurf zur Menschenmusik zu verstehen ist. Das 19. Jahrhundert vor allem, das Jahrhundert der Maschinen und der industriellen Revolution rief  Kritiker und Verächter jener Musik auf den Plan, die das Laute und Mechanische ihres Zeit-alters zum Klingen brachte, indem sie beispielsweise die Geräusche der Eisenbahn in die Musik aufnahmen. Charles Valentin Alkan machte mit seinem Klavierstück „Le chemin der fer“ Op. 27 den Anfang. 


Der schon erwähnte Grandville – der Dampfmaschinenmusiker und humanoide Musikmaschi-nen zeichnete, aber auch zahlreiche andere Künstler zogen die „Naturmusik“ der „Menschen-musik und der Maschinenmusik vor.  „Tier- und Naturklänge empfanden sie als Musik, Men-schenklänge aber als Lärm.“


Gredig unterschlägt in seiner skeptischen Zoomusikologie nicht, welch große Rolle Tiermusik, sowohl wie Menschen musizierende Tiere als auch tatsächliche Tier-Klänge in der Menschen-musik spielen. „Es könnte der Eindruck entstehen, dass  die Zoomusikologie  nur jene Tier-arten als musikalisch bezeichnet, deren Klänge  mit Eigenschaften der von Menschen aufge-stellten engen oder weiten  Musikdefinitionen übereinstimmen.“ Dem arbeitet das Buch ener-gisch entgegen. Musikfreude wissen ohnehin, dass in Richard Wagners Musikdramen singende Drachen und Waldvögel auftreten, dass die Barockoper voll von  Nachtigallenliedern ist und dass Jacques Offenbachs heiter-satirisches Musiktheater nicht nur singende Nixen und Kaka-dus, sondern auch bellende Hunde und summende Fliegen kennt.


Die Welt ist voll von Tiermusik, in der ägyptischen wie griechischen Antike, im Mittelalter und in der Neuzeit. Nicht erst moderne Zoomusikolgen wie Péter Szöke, Dario Martinelli oder François-Bernard Mâche, die den wissenschaftlichen Begriff der Zoomusikologie schufen, haben sich mit Tiermusik befasst. Gredigs Buch beweist es. Es versteht sich daher nicht als streng wissenschaftliche Arbeit, die Intervalle, Klangstrukturen oder Tonhöhen misst, transkribiert, analysiert  und vergleicht. Der Autor entfaltet vor dem Leser  stattdessen ein interdisziplinäres, leicht lesbares, obgleich sehr gelehrtes, aber eben anregendes kulturhisto-risches  Panorama des Phänomens Tiermusik. Man darf Mathias Gredigs imposantes Buch, es hat immerhin 500 Seiten inklusive Bibliografie und Register, gut und gerne die Bibel der Tiermusik nennen. Aber sie will „nicht zum Glauben, sondern zum Denken anregen“ und Freude bereiten.  Das ist ihr gelungen.


Rezension auch in SWR 2 und in der Freien Presse