Joerg Rossini

Monumentale Dokumentation der frühen Rossini-Literatur


Er wurde „45 Jahre lang fortwährend angebetet“, schrieb der Dirigent, Komponist und Musikschriftsteller Ferdinand Hiller über Gioacchino Rossini. Er wurde zwischen 1813, dem Datum seines ersten Welterfolgs „Tancredi“ und 1868, dem Datum seines Ablebens, wie ein Gott behandelt. Die „göttergleiche Verehrung, die Rossini – wohl als erster Komponist der Musikgeschichte – von seinem Publikum erfuhr, und die mit einer nicht weniger starken Ablehnung seitens der musikalischen Profession, der Komponisten, Kritiker und Musikgelehrten einherging,“ war einzigartig, wie der Musikwissenschaftler, Germanist und Bibliothekswissenschaftler Guido Joannes Joerg in seiner dreibändigen Dokumentation belegt.

Ein Monumentalwerk von 2.062 Seiten, das die ganze Geschichte des „Religionsersatzes“ Rossini aufzeigt. „Kein Komponist vor Rossini wurde wie zu einem Religionsersatz stilisiert.“ Kein anderer Komponist wurde so wie er nachgeahmt. Die Rossini-Anekdoten schließlich sind Legende.

Eine der selbstironischen, aber auch auf eigenes Leid hinweisend ist jene, die er ungeniert gegenüber dem Schriftsteller Filippo Mordani einmal äußerte, er habe eigentlich "alle Frauenleiden außer der Gebärmutter" gehabt, eine für seine Zeit außergewöhnlich freizügige Bemerkung.

"Zu den populärsten und zugleich besonders trügerischen Vorstellungen von Rossini", so betont Arnold Jacobshagen (2016) in einem der Unterkapitel seiner Rossini-Biographie, das sich mit der Privatperson des Komponisten befasst, es ist bezeichnenderweise "Leid" überschrieben, "zählt das Bild einer mediterranen Frohnatur, eines allen leiblichen Genüssen hemmungslos ergebenen Genießers und Lebemannes". Dass Rossini seine zweite Lebenshälfte als fröhlicher Koch und Feinschmecker verbracht habe, gehört in den Bereich der unausrottbaren Legenden: Tatsächlich, so macht Arnold Jacobshagen erschütternd deutlich, war Rossini jahrzehntelang ein schwerkranker Mann. Er litt an Geschlechts- und Nervenkrankheiten, Hämorrhoiden, Herzschwäche, chronischer Bronchitis, chronischen Blasenleiden, schließlich einem bösartigen Darmtumor.  Zudem wurde er immer wieder von schwersten Depressionen mit Suizidgedanken heimgesucht. Dass er so früh seine Karriere als Opernkomponist beendete, hat nicht zuletzt mit seiner erbarmungswürdigen gesundheitlichen und psychischen Verfassung zu tun.

Nach dem 3. August 1829, dem Premierentag seines „Guillaume Tell“ zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, „er war gerade einmal 37 ½ Jahre alt und hatte in knapp zwei Jahrzehnten an die 40 Opern an italienischen und französischen Bühnen herausgebracht.“ So schreibt Guido Johannes Joerg. Er „gefiel sich später, nachdem er sich 1855 endgültig in Paris niedergelassen hatte, als nobler Gesellschafter und mal feinsinniger, mal grobschlächtiger Spötter.“ Lange Zeit war und blieb er „die graue Eminenz des europäischen Musiklebens“.

Dieser "Raphael der Musik" – wie der Schriftsteller Honoré de Balzac ihn nannte –, war der erfolgreichste, meistgespielte und einflussreichste Opernkomponist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor Meyerbeer und vor Wagner. Und doch war er ein "depressives Genie" wie schon die Rossinibiographen Daniel Schwartz und Gaia Servadik erkannt hatten, von Selbstzweifeln bis zu krankhafter Selbstabwertung gequält, trotz allen Erfolgs, aller Geselligkeit und allen Humors, der sich, einmal abgesehen von der souveränen Beherrschung der Technik der Opera buffa wie seria und aller Schattierungen dazwischen, vor allem in Rossinis Fähigkeit ausdrückte, sich über sich selbst lustig machen zu können, trotz seines alles andere als lustigen Lebens, keineswegs „göttlich“.

Dennoch hat Joerg – und man kann ihn nur bewundern – in ungeheurer Fleißarbeit Bibliotheken durchwühlt und Archive gesichtet, um quasi einen Himmelsatlas vorzulegen, auf dem man den „göttergleichen“ Fixstern Rossini eindeutig orten kann. Das gab es noch nicht. Es ist vor allem die Rezeption Rossinis im deutschsprachigen Raum, die Joerg unter die Lupe nimmt. “Was heute in der international geprägten Rossini-Literatur kaum einmal thematisiert wird, ist die Tatsache, dass Rossini und seine Werke im deutschsprachigen Kulturraum sehr viel früher rezipiert (und aufgeführt, Anmerkung des Rezensenten) wurden, als etwa in Frankreich und England.“ Auch die frühesten Druckausgaben der Opern – so erfährt man – kamen in Deutschland heraus, zu schweigen von der Berichterstattung in deutschen Musikzeitschriften, dem biographische Schrifttum und Lexikonartikeln, freilich mit Lücken, die erst die aktuelle Rossiniforschung füllen konnte. Joerg belegt das alles mit dem Abdruck der historischen Texte, die „in aller Regel aber flüssig und interessant geschrieben sind“ und über Rossini hinausgehen, so dass „das Leben und Lebensgefühl im 19. Jahrhundert“ abgebildet wird. Daher wende sich „das vorliegende Buch gleichermaßen an das musikinteressierte wie an ein musikwissenschaftliches Fachpublikum", wie der Autor und Herausgeber betont. Mit Verlaub gesagt, es wird sich wohl nur letzteres die drei umfangreichen wie teuren Bände zulegen. Aber dafür wird es reich entlohnt, zumal nur die wenigsten biografischen Schriften aus der Rossinizeit vorliegen und nicht einfach zu finden sind. Gerade auch deshalb ist diese Ausgabe eine wahre Schatztruhe. Sie „versammelt erstmals alle zu Rossinis Lebzeiten (ab 1819 bis nach 1868) in deutscher Sprache erschienenen selbständigen biografischen Schriften – inklusive sämtlicher Lexikonartikel“, alles mit Einleitungen und Kommentaren (nach Maßgabe historisch-kritischer Wissenschaft) ergänzt. Eine respektheischende editorische Leistung.

Die Aufeinanderfolge der Kapitel ist (von zwei Ausnahmen abgesehen) chronologisch angeordnet. Ausgiebige editorische Vorbemerkungen räumen alle Fragen und etwaige Zweifel aus. Es gibt zwei Dokumentenbände, sie enthalten Lexikonartikel – Texte von Amadeus Wendt, August Kahlert, Rudolf Hirsch – Eduard Maria Oettinger: Rossini – Komischer Roman, von W. Neumann, Ferdinand Hiller, Ferdinand Gleich, A. Struth, Otto Gumprecht und Emil Naumann, aber auch ausgewählte Nachrufe. Im Kommentarband finden sich Anmerkungen zu den Dokumenten – Anhänge (Lesarten, Verzeichnis der Bühnenwerke Rossinis) sowie ein Personen- und Rossini-Werkregister.

Fazit: Eine imposante, aufwendig gestaltete (in Leinen gebundene, fadengeheftete) Publikation, die ihresgleichen sucht. Der Rossinifreund, -Forscher und -Verächter findet darin gewiss, was er sucht.





Dokumente 1  658 S.

ISBN 978-3-86846-105-3
EURO 98,--

Dokumente 2  498 S.

ISBN 978-3-86846-131-2
EURO 98,--


Dokumente 3  906 S.

ISBN 978-3-86846-134-3
EURO 138,--