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Deprimierend
EIN FAZIT DER BAYREUTHER FESTSPIELE 2015
Am 28. August gingen die diesjährigen 104. Bayreuther Festspiele zu Ende. Ein angebliches Hügelverbot für Eva Wagner-Pasquier, sorgte schon vor Beginn der Festspiele für Irritation. Katherina Wagner brachte ihre Neuin-szenierung von „Tristan und Isolde“ heraus. Eine seltsame Austauschung der Isoldensängerin Anja Kampe durch Evelyn Herlitzius kurz vor der Premiere sorgte für Aufregung. Was ist los am Grünen Hügel?
Thema Nummer eins in Bayreuth war nicht etwa Richard Wagner, sondern Angela Merkel. Bundeskanzlerin Angela Merkel fiel während der Kaffeepause vom Stuhl. Eine Boulevardzeitung sprach denn auch gleich davon, dass sie kollabiert sei. Doch der Regierungssprecher dementierte: Nur der Stuhl war zusammengebrochen.
Einer der meistgehörten Sätze auf dem Grünen Hügel lautete in diesem Jahr: „Mit Bayreuth geht´s bergab!“ Die Wagnerhalbschwestern haben es geschafft, viele Besucher zu verärgern und die treuen Wagnerianer vom Hügel zu ver-treiben. Noch nie war es so einfach, an Karten für Bayreuth zu kommen. Was Wunder, dass ein Großteil des bisher treuen wagnerbesessenen Publikums in-zwischen fernbleibt und das neue Publikum sich veränderte. Wo man früher rund ums Festspielhaus angeregte Wagnerfachsimpeleien hörte, ist es heute nichts Anstoßerregendes, wenn eine todschick gekleidete Besucherin in einer Lohengrin-Pause fragt „Wann kommt denn endlich der Walkürenritt?“ Früher wäre sie dafür gelyncht worden. Das Bayreuther Puiblikum ist ein Event-publikum geworden, das ein, zweimal kommt, und dann weiterzieht, zu anderen Festivals…
Der Politologe und Wagnerexperte Udo Bermbach hat kürzlich im Hamburger Abendblatt den Wagnerschwestern die Schuld für die rasante Talfahrt der Bay-reuther Schwestern gegeben und bescheinigte ihnen eine „Ansammlung von Unfähigkeit“. Dem ist scher zu widersprechen. Es betrifft Fragen des Führungs-stils, administrative Dinge, als auch und vor allem künstlerische Entschei-dungen. Man sieht und hört doch – Hand aufs Herz – im Rest der Opernwelt, also jenseits von Bayreuth inzwischen den besseren und aufregenderen Wag-ner. Auf dem Stand, auf dem Bayreuth heute ist, so konnte man neulich in einer Zeitung lesen, kann es mit Aufführungen an anderen Orten nicht mehr konkur-rieren. „Mit dem, was in den letzten fünf Jahren produziert wurde, so heißt es da, ist Bayreuth nicht mal mit Frankfurt konkurrenzfähig."
Eva Wagner scheidet nach Ende der Festspielsaison aus der Führungsriege Bayreuths aus. Christian Thielemann ist offiziell zum Musikdirektor der Festspiele ernannt worden. Welche Befugnisse und Aufgaben konkret mit dem neuen Titel verbunden sind, werde man auf einer Pressekonferenz zum Festspielstart erläutern, hieß es zu Beginn des Festivals. Die Pressekonferenz wurde nach Gutsherrinnenart kurzerhand abgesagt. Das wäre bei Wolfgang Wagner nie passiert. Aber das ist der neue Stil des Hauses.
Vier „Opern“ Wagners wurden in dieser Festspielsaison gegeben: "Tristan", "Lohengrin", "Ring" und "Holländer". Der "Tristan" ist neu. Katharinas Insze-nierung kann nicht anders als blamabel nennen, denn hätte sie das Textbuch ihres Urgroßvaters genauer gelesen, hätte sie nicht gleich drei Kardinalfehler begehen dürfen, die das Stück unlogisch, ja absurd erscheinen lassen:
Im ersten Akt trinken Tristan und Isolde bei Katharina den Liebestrank gar nicht erst, sie kippen ihn gleich weg. Damit wird die salvatorische Wirkung dieses Tranks (aus was er auch immer bestehen mag, und sei es Wasser) aufgehoben und die Unschuld der Protagonisten am Ehebruchs ad absurdum geführt. Im zweiten Akt läßt Katharina Tristan hinterrücks von Melot erste-chen, womit die Suizidabsicht Tristans geleugnet wird, was den Fiebermonolog des dritten Akts überflüssig macht. Im dritten Akt darf Isolde keinen Liebestod sterben, sondern wird nach Absingen/Abschreien ihres Monologs (der dadurch lächerlich wird) durch Marke von der Bühne geführt. Von weiteren Absurditäten der Regie ganz zu schweigen.
Sängerisch gab es natürlich eine Reihe von Umbesetzungen, wie das nicht ungewöhnlich ist. Die bemerkenswerteste war sicherlich die Neubesetzung des Siegfried. Statt Lance Ryan durfte in diesem Jahr Stefan Vinke den kommu-nistischen Mount Rushmoore erklimmen und sich mit einer Kalaschnikow erschießen lassen. Er war so gut in Form wie lange nicht mehr. Ein Wort noch zur kurzfristig eingesprungenen Isolde: wenn man Wagners Forderung nach einem „deutschen Belcanto“ ernstnimmt , dann war der neue „Tristan“ alles andere als eine Offenbarung, eher eine Zumutung, denn da wurde doch geschrien, dass sich die Balken des Festspielhauses bogen. Wagner haßte bekanntlich schreiende Sänger.
Der eindeutige „Sieger“ am Hügel war auch dieses Jahr wieder Kirill Petrenko mit seinem „Ring“-Dirigat. Zurecht Anlaß großer Begeisterung. Man darf gespannt sein, welche Figur im nächsten Jahr Marek Janowski (der seinen bisherigen Bekundungen, nie mehr szenischen Wagner zu drigieren, untreu wird) am Pult des „Ring“-Orchesters machen wird.
Last but not least ist nach 5 Jahren Sanierung das um einen Erweiterungsbau von Volker Staab erweiterte Richard Wagner-Museum in der Villa Wahnfried wiedereröffnet worden. Doch es hat sich sehr verändert. Es ist zwar „nach allen Regeln zeitgenössisch-interaktiver Museumspädagogik, barrierefreier correct-ness und klimatischer Zentralsteuerung.“ umgestaltet worden, aber es ist ein enttäuschendes, steriles und nur noch wenig informatives "Ärgersheim“ geworden, um einen Ausdruck Cosima Wagners zu zitieren.
Es gibt Keine Vitrinen mehr mit Briefen, Photos und Devotionalien, Kitsch und Kuriosa. Auch an die besseren Tage der Festspiele wird nicht mehr erinnert. Wohin sind diese Unmengen von Exponaten verschwunden? Dafür gibt es ein Café und einen Bookshop, großzügige Toiletten- und Schließfächerbereiche. Sicher, es gibt die „Originalpartitur des "Tristan" im Keller des Anbaus zu besteunen, auch einige beliebige Kostüme und die berühmten Bühnenbild-modelle, die allerdings so lieblos übereinandergestapelt und so schlecht beleuchtet sind, dass man die meisten gar nicht wirklich erkennen kann. Unverständlich!
Und was sagt einem eine unkommentierte, heroisch anmutende Wagnerbüste vor goldenem Halbrund im Keller des Neubaus? Natürlich fehlt auch nicht eine „interaktive Partitur“. Ein nettes Spielzeug, gewiß! Es scheint heute in jedes Musikmuseum gehören zu müssen.
Die meisten Räume der Villa Wahnfried sind nahezu leer. Man hätte auch die Räume im erstmals ins Museum einbezogenen Siegfried-Wagner-Bau weit-gehend unmöbliert gelassen, um sie für sich sprechen zu lassen, so hörte man. Aber was erzählt denn das absolut leere Kaminzimmer, in dem einst Adolf Hitler gesessen hatte? Ja, es gibt natürlich Monitore mit Kurzfilmchen, auch eine Stimme aus dem Off mit Infos. Wer allerdings hofft, dort das berühmte Filminterview, das Regisseur Hans-Jürgen Syberberg 1975 mit Winifred Wagner eben dort geführt hatte, zu sehen, wird enttäuscht. Nike Wagner, die Klügste und Unerschrockenste des Wagnerclans hat in ihrer brillianten Rede beim Festakt der Eröffnung des Museums darauf hingewiesen, „Daß der Winifred-Film von Hans Jürgen Syberberg, ein einzigartiges historisches Dokument, dort seinen Platz hätte finden müssen, wenn schon auf „Authentizität“ Wert gelegt wird - dort, wo sie überhaupt noch zu haben ist! - Das sollte dem Museumsleiter freilich erneut und dick unterstrichen ins Stammbuch geschrieben werden. … auf Bildschirm wäre Wini, wie sie leibte und lebte, zu haben gewesen. Aber natürlich in toto, nicht nur per Clip, nicht nur mit ihrem skandalösen Bekenntnis zu Adolf Hitler, wie man es hier gerne verkürzt haben wollte.“ Nike Wagner ist nichts hinzuzufügen. Übrigens wie die künftigen Betriebskosten finanziert werden sollen, das weiß heute noch niemand in Bayreuth.
Und was das das Richard Wagner-Archiv, das im Museum untergebracht ist, angeht: Man hat den Eindruck, dass die Stadt Bayreuth nicht weiß, welchen Schatz sie hütet und welche nationalen wie internationalen Verpflichtungen daraus erwachsen. Das Archiv ist seit langem unterbesetzt, viele Bestände sind unzureichend erfasst, die knappen Öffnungszeiten sind eine Zumutung. Dass ein weltweit so einzigartiges Archiv schlechter ausgestattet ist als manche Stadtbibliothek, kann nur als Skandal bezeichnet werden. Udo Bermbach hat darauf zuletzt hingewiesen. Es wäre wünschenswert, die Bestände im Festspiel-haus mit denen des Archivs und der Familie zusammenzuführen, um sie der Forschung zugänglich zu machen.
Noch etwas: „Als Katharina Wagner 2008 das Erbe ihres Vaters antrat und die Leitung der Bayreuther Festspiele übernahm, verkündete sie, die politische Ver-gangenheit der Familie Wagner und der Festspiele werde nun aufgearbeitet, das im Festspielhaus aufbewahrte Archiv werde der Forschung zugänglich gemacht und spätestens 2013 sollten erste Ergebnisse publiziert werden. Daraus ist, wie man weiss, nichts geworden. Die damals benannten Forscher haben ihren Auf-trag inzwischen wieder zurückgegeben. Die Gründe dafür sind nicht restlos klar. Klar ist indes, dass die Aufarbeitung des Familien- und Festspielarchivs nach wie vor aussteht… Richard Wagner gehört nicht seinen Nachkommen, er gehört allen, die sich für ihn interessieren.“ Udo Bermbach hat recht.