Das Wunder der Heliane an der Deutschen Oper Berlin

Der „heilige Schmarren“ (wie ein Zuschauer meinte) als Mischung aus  Mysterienspiel und Befreiungsoper, von Christof Loy zu strengem „Bühnenweihfestspiel“  sublimiert.

Photo: Monika Rittershaus


"Heiliger Schmarren" als orgiastische Klangorgie
Ein beglückender Abend an der Deutschen Oper Berlin


Erich Wolfgang Korngolds: "Das Wunder der Heliane" Berlin. Premiere 18.03.2018


An seinen Sensations-Welterfolg des Jahres 1920, „Die tote Stadt“ konnte Erich Wolfgang Korngold, das genialische Wunderkind des Theaterkritikers Julius Korngold, Nachfolger Eduard Hanslicks bei der Neuen Freien Presse in Wien, mit seiner  sieben Jahre später uraufgeführten Oper „Das Wunder der Heliane“, das auf dem Mysterienspiel „Das Heilige“ des österreichi-schen Expressionisten Hans Kaltnecker zurückgeht (Libretto Hans Müller), nicht anknüpfen.  Bis heute steht das in Hamburg 1927 uraufgeführte Werk im Schatten seines Erstlings und wird wesentlich seltener aufgeführt. 


Dabei ist das Werk vom Sujet her hochinteressant und musikalisch mit allen Wassern ge-wa-schen. Die dreiaktige Erlösungsoper erzählt die Geschichte eines dionysischen „Fremden“ ( halb Lohengrin, halb Parsifal), der Freiheit, Lebensfreude, Glück und Liebe predigt und deshalb in einem autoritären, lustfeindlichen Staat hingerichtet werden soll. In der Nacht vor seiner Hin-richtung tritt die Königin ( die in ihrem erotischen Mitleid die Polarität von Engel und Femme fatale aufhebt) in seine Gefängniszelle und zeigt sich ihm in ihrer unverhüllten Nacktheit „so wie Gott sie geschaffen hat“. Daraufhin wird sie von ihrem Gatten, dem König ebenfalls zum Tode verurteilt. Der Fremde versucht sie vergeblich durch seinen eigenen Freitod zu retten. Ein Gottesurteil soll Helianes Unschuld klären. Tatsächlich erweckt Heliane  durch Gottes Hilfe den Toten wieder zum Leben, wird aber dennoch vom eifersüchtigen König erstochen. Wunder über Wunder: Der Fremde läßt  Heliane wieder auferstehen, führt Gericht, verbannt den König und befreit das Volk. Heliane schreitet mit ihrem Erwecker zu den Chorgesängen des vom Diktator befreiten Volkes einer  transzendenten Zukunft entgegen.


Regisseur Christof Loy zeigt das märchenhafte, halb religiöse, halb sozialutopische Stück in ei-ner zum Gerichtssaal aufgeblähten „Armesünderzelle“ (Bühne Johannes Leiacker).  Die Akteure tragen elegante,  moderne Businesskleidung: Anzüge die Herren, schwarze Kostüme die Da-men. Heliane, die sich im ersten Akt tatsächlich splitterfasernackt auszieht,  darf später in wei-ßem Abendkleid wie eine Salon-Heilige auftreten. Die Neutralität der Szene tun dem schwül-stigen Libretto mit seiner erotisch-religiösen Zweideutigkeit, ja Schlüpfrigkeit, aber auch der narkotisch überwältigenden Musik gut. Loys Inszenierung gelingt es, den „heiligen Schmarren“ (wie ein Zuschauer meinte), eine Mischung aus  Mysterienspiel und Befreiungsoper zu einem  strengen „Bühnenweihfestspiel“ zu sublimieren. Alles Unbehagliche bleibt außen vor. Loy und sein Ausstatter haben der Musik, dem Chor und den Gesangssolisten einen Raum zu denkbar bester Entfaltung geschaffen. 


Loys Inszenierung zeigt c, ein Volk, das gewaltbereiter Mob und fromme Kirchengemeinde zugleich ist. Immer wieder zieht Loy im dritten Akt den Vor-hang, um die verschwiemelte erotische Theologie des Stücks einzudämmen, der es um die Verschmelzung von Eros und Agape (Mitleid) und die Befreiung  der Sexualität  vom Ruch der Sünde geht. So kommt die Musik zu ihrem Recht, vor allem bei den gewaltigen sinfonischen Zwischenspielen, gegen die Wagners „Parsifal“ geradezu harmlos wirkt. 


Musikalisch ist das anspruchsvolle Werk bei  Marc Albrecht in besten Händen. Er entfesselt einen orgiastischen Klangrausch, der besoffen macht: Höchste Lust wie Erlösung von dieser Lust  ins Überirdische wird bei Albrecht zum musikalischen „Kopftheater“. Die sängerische Besetzung ist fabelhaft: Die amerikanische Sara Jakubiak gibt der  Heliane betörendes sing-schauspielerisches Format. Ihrem Gatten, dem König, leiht der österreichische Bassbariton Josef Wagner vorzügliche Stimmautorität. Der amerikanische Tenor Brian Jagde singt den Fremden wie Calaf, Cavaradossi und Radames, Partien, mit denen er derzeit an verschiedenen Opern-häusern Furore macht. Eindrucksvoll ist auch der Charaktertenor Burkhard Ulrich als blinder  Schwertrichter. Die Mezzosopranistin Okka von der Damerau verleiht der bösen Botin und Gegenspielerin Helianes stattliches wagnersches Format. Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin sind von Jeremy Bines hervorragend einstudiert worden und meistern den Spagat zwischen martialischem Gebrüll und anrührenden Sphärenklängen. Lange hat man an der Deutschen Oper Berlin keinen so beglückenden Abend mehr erlebt, musikalisch wie regielich. Er wurde vom  Premierenpublikum  frenetisch gefeiert.


Rezension auch in "Orpheus"