Musik-Theater & mehr
Fotos: Kirsten Nijhof
Karnevalsbunte Kinderzimmer-Spaßigkeit
Regieliche Verharmlosung der begrüßenswerten Ausgrabung von Lortzings lauwarmem "Hans Sachs" in Leipzig
Im Wahnmonolog des Sachs in Richard Wagners "Meistersingern" erweist sich Hans Sachs ohne jeden Zweifel als resignativer, skeptischer, human temperierter Beobachter der Menschen im Geiste Schopenhauers. Eine singuläre, charaktervolle Bühnenfigur.
Der sogenannte „Wahn“-Monolog am Anfang des dritten Aufzuges lässt keine Fragen offen. Sachs hat den Schleier der Maya durchschaut, um es mit Schopenhauer zu sagen, das absurde Weltgetriebe, den Wahn:
„Wahn, Wahn!
Überall Wahn!
Wohin ich forschend blick‘
in Stadt- und Welt-Chronik,
den Grund mir aufzufinden,
warum gar bis auf‘s Blut
die Leut‘ sich quälen und schinden
in unnütz toller Wuth!“
Bei der Beantwortung der Frage nach dem Grund der vorangegangenen Ver-
wicklungen und Prügeleien gelingt ihm die wohl kürzeste, prägnanteste und poetischste Zusammenfassung von Arthur Schopenhauers „Metaphysik der Geschlechtsliebe“, die jemals zustande gebracht worden ist: „Ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht; Der hat den Schaden angericht’t. Der Flieder war’s: Johannisnacht“
Wagners Hans Sachs ist im Gegensatz zum jugendlichen Hans Sachs Lortzings ein liebes- und lebenserfahrener älterer Herr, der weit weniger über die Liebe als über Kultur und Gesellschaft nachdenkt:.
Das Credo der Oper findet sich in Sachsens Worten: „Ehrt Eure deutschen Meister, dann bannt Ihr gute Geister!Und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst, zerging’ in Dunstdas heil’ge röm’sche Reich,uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst!“
Immer wieder sind diese letzten Worte der Schlussansprache des Hans Sachs
falsch interpretiert worden, immer wieder ist ihnen ein falscher, ihnen nicht
innewohnender Sinn unterlegt worden. Mit national-patriotischem Bekennt-
nis, haben sie ebenso wenig zu tun wie mit rassistisch-chauvinistischem Ge-
dankengut. Im Gegenteil: Wagner hat es ja in Bezug auf den frischgebackenen Meister-Sänger Walther von Stolzing wenige Zeilen zuvor ausgesprochen, dass er sich auf aristokratische Abstammung und Macht überhaupt nichts einzubilden brauche. Sachsens Schlussansprache ist ein radikales Plädoyer für die identitätsstiftende Funktion der Kunst und eine klare Absage an die Staatsmacht und an den Machtstaat. Wagner stellt die Kunst über die Politik, die Kultur über die Nation. Was seiner Meinung nach die Identität einer Nation zu stiften vermag, ist nicht die Politik, sondern die Kunst. Und da spricht hinter der Figur des Sachs natürlich Richard Wagner persönlich: Wenn alle Politik und Staatlichkeit versagt, so bleibt doch immer noch die Kunst. Solange sie bewahrt und anerkannt wird, braucht man sich um den Bestand einer Nation nicht zu sorgen, so die Botschaft. Deshalb Sachsens Forderung: „Verachtet mir die Meister nicht!“
Insofern sind die "Meistersinger" alles andere als ein butzenscheibenhaftes oder gar nationalistisches Historienstück, als das man Lortzings "Hans Sachs" wohl bezeichnen darf.
Mit der Figur des Stolzing (die in Lortzings Oper nicht vorkommt) , der gegen die meistersingerliche Spießbürgerschaft rebelliert, gleichwohl durch die humanistisch idealisierte Figur des Hans Sachs mit der Tradition der deutschen Meister versöhnt wird, plädiert Wagner für das Neue, das Innovative in der Musik, das er dem Formelhaft-Erstarrten gegen-
überstellt, für das Sixtus Beckmesser steht (der ebenfalls bei Lortzing nicht bvorkommt).
In Wagners „Meistersingern“ ist viel Griechisches enthalten. Wagner hat sich in diesem Stück weniger von der derben Dramatik des Nürnbergers Hans Sachs als der demokratischen, ja utopischen Sängerwettstreits-Komödie des Aristophanes in “Die Frösche” inspirieren lassen zu einer beispiellosen Oper, in der es um den Gegensatz von Alter und Neuer Musik, (verknöcherter) Tradition und Avantgarde, Kunst mit Politik geht.
Ganz anders in Lortzings "Hans Sachs", der schon 1840 in Leipzig zur 400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst, herauskam. Wagners Oper wurde hingegen erst 1868 in München uraufgeführt. Schon nach kurzem, hoffnungsvollen Erfolg fiel das Werk der Vergessenheit anheim. Wagner kannte es natürlich, und hat ihm einige Namen und Motive entnommen, auch wenn er das Stück dramaturgisch völlig anders gestaltete und ihm eine gesellschafts- wie kunstutopische Stoßrichtung gab, die Lortzing fremd war.
Wagners Oper "Die Meistersinger" ist eine politische Oper, Lortings Oper ist mitnichten eine politische Oper.
Bei Lortzing stehen Liebe, Poesie und Vaterland im Vordergrund: „Das Herz allein schafft Freud‘ und Pein“, „Lieb‘ ist die höchste Poesie“ oder „Der Liebe Glück, das Vaterland!“ sind die inbrünstig besungenen Parolen des Werks, das (bei aller revolutionören Gesinnung Lortzings) ehemalige Reichsherrlichkeit und vorkapitalistischer Idyllik beschwört.
Das Libretto von Albert Lortzing (das auf der Vorlage des gleichnamigen Schauspiels von Johann Ludwig Deinhardstein basiert), kommt reichlich bieder und nicht selten rührselig daher. Lortzing hat es zusammen mit den Bühnenautoren Philipp Reger und Philipp Jakob Düringer verfasst.
Der Unterschied zwischen Wagner und Lortzing ist eklatant: Wagner ging es um nichts weniger als die Auseinandersetzung von alter und neuer Musik, um nicht zu sagen „Zukunftsmusik“. Mit den „Meistersingern von Nürnberg“ schrieb Wagner eine Komische Oper, in deren altnürnbergischer Renaissance-Dekoration er ein modernes Künstlerdrama von geradezu programmatischem Charakter versteckte. Hans Sachs ist darin die humanistisch idealisierte Integrationsfigur einer „ästhetischen Weltordnung“, wie Udo Bermbach es einmal sehr treffend ausdrückte. Mit ihr redet Wagner einer demokratischen Gesellschaft das Wort, in der Natur und Kultur, Kunst und Leben versöhnt werden. Die „Meistersinger“ enthalten darüber hinaus die (griechisch inspirierte) Utopie einer das Leben anleitenden, das Alte mit dem Neuen versöhnenden Kunst auf dem Theater. Walther von Stolzing ist der Anwalt des Neuen in der Musik. Nichts davon in Lortzings schlichter, eindimensionaler Dramaturgie, die vergleichsweise nur sehr eingeschränkt dem Geist der Revolution huldigt. Seine anderen Bühnenwerke sind in ihrer vormärzlichen Sozialkritik deutlicher und radikaler.
Bei Lortzing geht es vor allem um die Liebesgeschichte des jugendlichen (!) Hans Sachs. Der Schuster und Meistersänger ist verliebt in Kunigunde, die Tochter des Goldschmieds Steffen, der zugleich auch der Bürgermeister von Nürnberg ist. Doch Kunigunde ist bereits dem eitlen Augsburger Ratsherrn Eoban Hesse versprochen, den Steffen als Schwiegersohn bevorzugt. In einem Sängerwettstreit treten die Rivalen gegeneinander an. Trotz der Gunst des Volkes unterliegt Sachs und wird aus der Stadt vertrieben. Meister und die Ratsherren lieben und achten ihn (im Gegensatz zu Wagners Stück) nicht. Doch das Auftreten des wohlwollenden, kunstverständigen Kaisers als „Deus ex machina“ rehabilitiert und nobiliert Sachs als Meistersänger. Er erhält nicht nur mit allen Ehren seine Bürgerrechte der Stadt Nürnberg zurück, sondern darf sich auch mit Kunigunde zum glücklichen Lebensbund vereinen.
Die Liebe des Schusterpoeten zur Tochter des wohlhabenden, gesellschaftlich arrivierten Goldschmieds und Bürgermeisters trifft auf dessen und der Nürnberger Ehrbaren strikte Ablehnung. Dieser Konflikt ist Anlass für sentimentalische Ohrwurmmelodik, er wird aufgelöst durch die Enthüllung einer dreisten Intrige (Görg stiehlt Sachsens Meisterlied), und ist die Bestätigung feudal-imperialen Sozialstrukturen (die Bürgergesellschaft als Untertanenkollektiv).
Bei aller Verehrung Albert Lortzings: Sein „Hans Sachs“ bleibt – entgegen aller anderslautender Wertschätzungen mancher Lortzingspezialisten - weit hinter der dramaturgischen wie melodischen Originalität und raffiniert kompositorischen Musikalität von „Zar und Zimmermann“, „Wildschütz“, „Casanova“ oder „Regina“ zurück. Natürlich gelingen dem versierten Theatermann Lortzing handwerklich gediegene Arien, Terzette, Quartette, Ensembles und effektvolle Chöre. Aber die Musik zündet nicht wirklich, obwohl Tobias Engeli das Orchester der Musikalischen Komödie ordentlich anzufeuern weiß und sein Bestes gibt, der Oper interessante Klänge und Harmonien zu entlocken. Gewiss, man horcht immer wieder auf, aber verglichen mit dem „Wildschütz“, einer geradezu mozartisch angehauchten Buffa, die handwerklich zum Besten gehört, was die Deutsche Komische Oper des 19. Jahrhunderts aufzubieten hat, die aber auch eine erotische Komödie turbulenten Überkreuzspiels einer an Irrungen und Wirrungen reichen Handlung ist, segelt Lortzings „Hans Sachs“ recht brav im Fahrwasser biedermeierlicher Lustspiel-Betulichkeit.
Dass die – an sich erfreuliche - Leipziger Ausgrabung des Stücks langweilt, liegt weniger am Dirigenten. Auch nicht an den durchweg überzeugenden Solisten (Hans Sachs - Justus Seeger; Kunigunde - Mirjam Neururer; Görg - Adam Sánchez; Cordula - Sandra Maxheimer; Eoban Hesse - Andreas Rainer: Meister Steffen - Milko Milev und Kaiser Maximilian I. - Christian Henneberg). Es ist die Regie, die in karnevalsbunter Kinderzimmer-Fröhlichkeit und mit kostümlichem Durcheinander von Pappzylinder-, und Zipfelmützen-Spaßigkeit (Spießigkeit) das Stück verharmlost und entortet.
Zwar wird am Beginn der etwa dreistündigen Aufführung der Schriftzug „Nürnberg“ auf die Rückwand des blauen Kastens projiziert, in dem alle drei Akte spielen. Doch es ist ein reines Lippenbekenntnis. Der Leipziger „Hans Sachs“ spielt irgendwo und nirgendwo auf, über, an und zwischen blauen Bänken und Tischen, Podesten und Treppchen, die von den Akteuren fleißig hin- und hergeschoben werden. Auch eine blaue Brechtgardine, die sich zum Vorhang aufbläht oder aufleuchtende Neonwölkchen und gelegentliche Auftritte aus dem Zuschauerraum machen die putzige, (handwerklich nicht ungeschickte) Inszenierung der jungen Leipziger Regisseurin Rahel Thiel nicht überzeugender. Am Gelungensten ist noch ihr (freilich etwas holzhammerhafter) Regie-Einfall, einen kleinen geflügelten Amor, der sich am liebsten Huckepack (vor allem von Hans Sachs) durch die Handlung tragen lässt, einzufügen. Doch dass sie allerhand diverse Texte und Liebeslieder auf die Bühne projiziert, ja sogar rezitieren lässt, verwässert das Stück unnötig und verbessert es nicht. Es wird so noch langatmiger.
Das eklatanteste Eigentor der Produktion ist allerdings der absurde Einfall, Sachsens Schlussansprache aus Wagners „Meistersingern“ in Wort und Ton einzufügen. Das ist denn doch eine andere musikalische Liga! Diese unfaire Konfrontation zweier grundverschiedener musikalischer Welten bricht der Aufführung das Rückgrat. Das hat Lortzing nicht verdient. Mit dieser so bearbeiteten Version hat man der so begrüßenswerten Ausgrabung seines „Hans Sachs“ einen Bärendienst erwiesen.
Rezensionen auch in "Oper & Tanz","Operalounge" und "Der Opernfreund"