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Siehe meinen Artikel über die Ausstellung "Opera meets New Media" -
Puccini, Ricordi und der Aufstieg der modernen Unterhaltungsindustrie“ 18. April bis 16. Mai 2024 in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz
Puccini – Ein Missverständnis
Eine Würdigung zum 100. Todestag
Für Klarheit sorgt eine neue Publikation von Arnold Jacobshagen
Es gibt wohl keinen anderen Komponisten, dessen Bewertung und Wertschätzung sich so wandelte, wie die Giacomo Puccinis. Jahrzehntelang wurde seiner Musik bescheinigt, sie sei sentimental, wo nicht gar kitschig, ja sie wurde in die Nähe von vorweggenommener Filmmusik für Hollywood gerückt. Selbst der Pianist Alfred Brendel soll gar auf die Frage nach dem größten Unglück geantwortet haben: „Puccini oder Lehár hören zu müssen.“
In seiner neusten Publikation ergreift Arnold Jacobshagen vehement Partei für Giacomo Puccini und weist darauf hin: „Zweifellos zählt Puccini zu den umsatzstärksten und wertbeständigsten Klassikern des internationalen Kulturbetriebs. La Boheme, Tosca, Madama Butterfly und Turandot gehören zum Kanon der abendländischen Kulturgeschichte.“ Puccini sei“ neben William Shakespeare, Giuseppe Verdi und Henrik Ibsen der meistgespielte Tragödienautor des Welttheaters. Dieser Befund unterliegt keinen kurzfristigen Moden und konjunkturellen oder regionalen Schwankungen, sondern ist bereits seit mehr als einem Jahrhundert offenkundig und stabil.“
Die Gründe, und Jacobshagen bekräftigt sie in seinem weit ausholenden Buch mit Analysen der musikalischen Dramaturgie sowie einer präzisen Werk- und Zeitdarstellung: Puccini habe „für die beiden Zentralthemen aller Tragödien - Liebe und Tod — unverwechselbare, ergreifende und überwältigende musikalische Gestaltungen“ erfunden.
Puccinis Leben reichte weit ins 20. Jahrhundert, auch wenn man ihn eher in
der Nähe des fast 50 Jahre älteren Verdi verortet, als an der Schwelle zur Moderne. Ein Irrtum wie Jacobshagen klarstellt. Puccini war „ein Perfektionist singulären Ranges. Er schuf eine Reihe von Werken for die Opernbühne, die sich neben ihren offenkundigen dramaturgischen, melodischen, harmonischen und instrumentationstechnischen Qualitäten vor allem durch die äußerste Präzision sämtlicher musikalischer Strukturen und Details bei konsequentem Verzicht auf Randständiges und Ausuferndes, auf Leerlauf und Redundanz auszeichnen. Puccini war ein Meister des Zuspitzens wie des Maßhaltens - Eigenschaften, die sich übrigens nicht nur in seinen Werken, sondern auch in seiner Persönlichkeit zeigen.“
Puccinis Werk ist schmal: zwölf Opern hat er komponiert, darunter eine unvollendete „Turandot“ und vier Einakter. Interessiert und distanziert zugleich verfolgte Puccini, wie Schönberg, Webern und Berg aus dem klassischen System ausbrachen. Er selbst blieb jedoch der Tonalität - bis an ihre Grenzen - im Wesentlichen treu blieb.
Es lässt sich nicht abstreiten: Puccinis Musik trifft ins Herz, aber es lohnt sich, diese Musik zu reflektieren, um zu erkennen, wie raffiniert das vermeintlich Seichte, das vermeintlich Konventionelle bei Puccini ist. Die Forderung, den Schöpfer vom Werk zu trennen, um so die Kunst zu bewahren, sollte der Künstler eines Tages nicht mehr den Anforderungen des Zeitgeistes gerecht werden, ist im Falle Puccinis fraglich, denn Puccini selbst wollte gar nicht hinter seinem Werk verschwinden, zu sehr liebte er es, die Möglichkeiten des aufkommenden massenmediale Zeitalters zu nutzen. Jacobshagens Buch macht das Deutlich.
Wohl wegen mangelnder Bezahlung ließ eine Claque „Madama Butterfly“ bei der Uraufführung an der Mailänder Scala durchfallen. “Es ist meine beste Oper, ihr Schweine,“ soll Puccini aus seiner Loge gebrüllt haben. Aber selbst seine vielleicht modernste, wenn auch unvollendete Oper „Turandot, die er mit Mut zur Disharmonie geschrieben hatte, bleibt genau dort, wo sie sich vorwagt, seltsam disparat – vergleicht man die Passagen mit der Radikalität von Richard Strauss‘ immerhin schon 1909 uraufgeführter „Elektra“ oder gar mit dem schroff atonalen „Wozzeck“, an dem Alban Berg zeitgleich arbeitet, während Puccini mit der Arie „Nessun Dorma“ den ästhetischen Regress zum Progress gesellt. Von „Nessun Dorma“ ergriffen zu sein, ist allerdings keine Schande.
Puccini hat einmal Einblick in seine Arbeitsweise gewährt, nämlich in seinem „Trittico, einer „retrospektiven Zeitreise von der Gegenwart zurück bis ins hohe Mittelalter“ (Jacobshagen). Mit „Gianni Schicchi“ legte er nach Verdis „Falstaff“ eine meisterhafte Komödie vor und bewies, dass die italienische Opera buffa, die oft totgesagt wurde, noch erstaunliche Lebenskraft hat. Dieser humorvolle Höhepunkt von „Il Trittico“ erzählt eine Posse um einen Erbschaftsstreit. Lauretta und Rinuccio wollen heiraten, aber dies geht nur, wenn sie ein Vermögen erbt. Um ihren Vater zu manipulieren, singt sie völlig unvermittelt in diesem Commedia- dell'arte-Durcheinander die herzzerreißende Arie „O mio babbino caro“, in der sie droht, vom Ponte Vecchio zu springen, falls der Vater sich nicht für sie einsetze. Löst man diese Arietta mit ihrer lyrischen Melodie aus ihrem Kontext, liegt der Kitschverdacht nahe, bettet man sie hingegen richtig ein, ist nicht zu übersehen, dass Puccini sich selbst mit Augenzwinkern ironisierte.
So arbeitet er, wenn er berühren und bewegen wollte, was ihm das Wichtigste war, wie er einmal in einem Brief bekannte. Nicht nur bei Laurettas Vater wirkt das süße Gift des Wohlklangs, auch bei den Zuhörern. Das Bemerkenswerte ist jedoch, dass, auch wenn man um die Manipulationsabsicht weiß, es trotzdem wirkt. Ja, es macht sogar noch mehr Freude, sehenden Auges dem Sirenengesang auf den Leim zu gehen. Es ist der Gesang eines Trotzdem. „In gewisser Weise“ so betont Jacobshagen, „präsentiert sich das gesamte Werk als eine einzige gewaltige Ensembleszene der fünfzehn am Stück beteiligten Figuren, von denen alle nahezu ununterbrochen auf der Bühne anwesend bleiben, wie René Leibowitz hervorgehoben hat: ‚Gleichwohl erzeugt diese ständige Präsenz der Figuren keinerlei Immobilität oder Statik, denn es ist die Musik, der es in überwältigender Weise gelingt, die Bewegung und Aktion des Dramas zu konstituieren.‘ Hierin unterscheidet sich das Stück fundamental von den üblichen Gepflogenheiten der Opera buffa, für die der rasche Wechsel von Soloszenen, Duetten und größeren Ensembles konstitutiv ist und in denen gewöhnlich nur in den Finalnummern das gesamte Bühnenpersonal vereinigt ist. Dieser ständige szenische Wechsel fehlt in Gianni Schicchi, und selbst Lorettas berühmte Kurzarie ‚O mio babbino caro‘ steht nicht für sich isoliert, sondern erweist sich als Bestandteil der übergeordneten Ensemblestrukturen. Puccini kompensiert die szenische Uniformität vor allem durch extreme Besetzungsunterschiede und äußerste Flexibilität in der Orchesterbehandlung. Seine motivisch-thematische Arbeit beruht überwiegend auf kurzen melodischen Zellen, die einem kontinuierlichen Repetiti0ns- und Variationsprozess unterworfen werden. ...Präsentiert sich Puccini in der virtuosen Durchgestaltung dieser motivisch-thematischen Arbeit gleichsam als Neoklassizist, so beindruckt das suggestive Insistieren auf solchen Elementarstrukturen im Kontext der musikalischen Moderne durch ein erhebliches Innovationspotenzial.“
Puccini, so zeigt Jacobshagen, erweist sich auch und gerade „in seiner einzigen komischen Oper als ein Seismograph der musikalischen Moderne.“
Die Trotzdem-Haltung ist allen Opern Puccinis eigen: Zum einen, damit das Denken nicht übergangen wird, denn es verhindert nicht, sondern intensiviert die Gefühle durch Bewusstwerdung. Zum anderen, weil Puccini selbst diesen Umweg macht, In Ob in „La Bohème“, „Tosca, „La Fanciulla del West“, „Madama Butterfly oder „Manon Lescaut“. Indem bitterste Wirklichkeiten nicht mit bitterer Musik dupliziert werden, sondern im Wohllaut daherkommen, manifestiert sich der Wunsch nach einer Gegenwelt als einem Trotzdem.
Ganz anders Kitsch. Er evoziert falsche Gefühle. Damit hat Puccini nichts zu tun. Trotzdem zu lieben (und zu singen), leidenschaftlich und überschwänglich, davon erzählt Puccini mit seiner Musik. Verismus bedeutet in diesem Sinne, die wahre Radikalität des Gefühls erkennen. Puccinis Werke fordern vom Publikum einen Protest gegen eine Wirklichkeit, die die Wahrhaftigkeit verunmöglichen will. Puccini zu lieben bedeutet, sich zu diesem Trotzdem zu bekennen.
Am Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert, hatte Giacomo Puccini von Giuseppe Verdi endgültig den Rang des berühmtesten lebenden Komponisten italienischer Opern übernommen. Schon 1898 schrieb George Bernard Shaw nach dem Besuch von „Manon Lescaut“ in London: „Puccini scheint für mich mehr als jeder andere seiner Rivalen der Erbe Verdis zu sein.“
Die Oper erlebte mit Puccini einen Paradigmenwechsel, was schon am Beispiel seiner Geschlechterrollen und Operntitel sichtbar wird. Viele weiblichen Bühnengestalten in den Opern Puccinis sind Frauen, die liebend leiden oder leiden lieben. Die sich selbst opfern oder geopfert werden. Puccini zeigt in seinen Opern acht Frauen-, aber nur zwei Männernamen Bei den beiden Giganten unter den Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts, Giuseppe Verdi und Richard Wagner, dominieren noch Männer im Werktitel.
Insgesamt blieb Puccini seinen Idealen zu Musik und Theater treu. Selbst als die Harmonien seiner Opern des 20. Jahrhunderts zunehmend komplizierter wurden, entfernte sich Puccini nur geringfügig von der chromatischen Vielschichtigkeit am Ende der Romantik. Und doch fand sein Werk das Lob zahlreicher Kollegen: Strawinsky, Ravel und Schönberg – für den Puccinis Werk dasjenige Verdis übertraf – brachten ihre Bewunderung zum Ausdruck. Ein deutscher Journalist schrieb nach der Premiere von „Turandot“: „Puccini hat hier sicherlich die raffinierteste Musik seines Lebenswerkes geschrieben – sie reicht von Strauss zu Strawinsky über Mahler und Schönberg. Er kannte alles, wusste alles und konnte ungeheuer viel, besonders in der „Turandot.”
Dennoch wurde Puccini zu seinen Lebzeiten von seinen vermeintlich fortschrittlicheren Zeitgenossen, etwa Casella, Pizzetti und Malipiero als Konservativer geschmäht, der sentimentale Werke schrieb, die dem Bürgertum gefallen sollten. Bis in die jüngste Vergangenheit schlossen sich diesem Urteil Komponisten und Musikwissenschaftler verschiedenster Couleur an.
Puccini respektierte seine italienischen Vorfahren, wollte natürlich auch dem Publikum gefallen (wie auch nicht), aber er war fasziniert von den bahnbrechenden europaweiten Entwicklungen in der Musikwelt wie in der Technik. Das bemerkenswerte Fotomaterial in Jacobshagens Buch spricht für sich.
Puccini wird in der Regel als Vertreter des Endes einer Tradition gesehen, aber er hat den Speer weit in die Zukunft geschleudert. Anspielungen auf seinen Stil lassen sich in Werken von Janáček, Korngold, Orff und Berio hören (letzterer veröffentlichte 2001 seine eigene Ergänzung von Turandot). Unzählige Komponisten von Musiktheater- Musical und Filmmusik, von Rodgers und Hammerstein bis zu John Williams haben sich von seinem Werk hörbar beeinflussen lassen, ebenso der Jazzmusiker Al Jolson oder der Musicalkomponist Andrew Lloyd Webber. Um nur wenige Beispiele zu nennen.
„‚Ein guter Musiker muss alles können, aber nicht alles geben‘ hat Puccini einmal treffend formuliert. Die technologische Präzision seiner Partituren weist ihn als einen der ersten Repräsentanten der europäischen Moderne im Bereich des Musiktheaters aus.“ (Jacobshagen) Das haben nach vielen Jahren der Ignoranz in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch die Interpreten (Regisseure und Musiker) seines Musiktheaters erkannt.
„Angesichts dieser Gegebenheiten sollte heute eigentlich Niemand mehr leichtfertig den Fehler begehen, Puccini als Komponisten zu unterschätzen. Zwar war es in gewissen High-Brow-Milieus lange Zeit üblich, Puccini mit Missachtung zu begegnen. Kurt Tucholskys Diktum, Puccini sei der ‚Verdi des kleinen Mannes‘ spiegelt besonders die Ansichten jener Kreise wider, die auch in Verdi bloß den reißerischen ‚Leierkastenmann‘ sehen wollten... Noch immer sind zahllose, darunter sehr namhafte Autoritäten aus allen Bereichen des Musik- und Wissenschaftsbetriebs recht anfällig für solche Fehleinschätzungen.“ Jacobshagen ist nichts hinzuzufügen.
Arnold Jacobshagen: Giacomo Puccini und seine Zeit.
Laaber Verlag 2024, 408 S. 542, 80 Euro
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