Der "Ring" Castorfs in Bayreuth 2013

© Bayreuther Festspiele / Photos: Enrico Nawrath


BAYREUTHER FESTSPIELE 2013


Der Kampf ums Erdöl korrumpiert alle Systeme

Frank Castorfs Bayreuther "Ring" 2013 .

Ein politisches  Stationen- bzw. Anekdotendrama aus DDR-Weltsicht.




 

Der mit Spannung erwartete „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Franck Castorf startete bei den 102. Richard Wagner-Festspielen mit dem „Rheingold“, dem ersten der vier Teile des Monumental-Musikdramas. Die Öffentlichkeit war so neugierig, wie selten zuvor auf einen „Ring“ im 200sten Geburtsjahr Wagners in Bayreuth. Wird dieser „Ring“ ein Flop oder ein Erfolg? Das war die Frage.

Es war ein Erfolg. Das Publikum jedenfalls hat mit überwiegender Mehrheit die Aufführung des Rheingolds bejubelt, stürmisch sogar. Und ich finde zurecht, denn nach dem letzten Ring von Tancred Dorst ist dieser von Castorf jedenfalls ein geradezu spannender, ein sehr konkreter, aussagenkräftiger und auch optisch sehr origineller Ring geworden, soweit er sich nach dem Rheingold jedenfalls andeutete. Eine opulente Bühne, eine starke Regiehandschrift war zu erkennen, auch große Professionalität in der technischen und inszenatorischen Umsetzung des Konzepts. Ich war schon nach dem „Rheingold“ der Meinung, dass dieser Ring besser werden würde,  als die meisten sich das wohl gedacht haben.

 

Die Grundidee, man konnte es in diversen Zeitungen vorab lesen, ist doch wohl, dass Castorf das Gold (um das es ja im Ring geht), mit dem Symbol des Erdöls auf die Bühne bringen wollte. Wie macht er das konkret?  

Er hat sich von seinem serbischen Ausstatter Aleksandar Denic ein komplettes, dreidimensionales „Golden Motel“, auf eine gigantische Drehbühne bauen lassen, ganz realistisch, um nicht zusagen filmrealistisch, samt angrenzender Tankstelle, eine vollplastische Architektur mit mehreren Ebenen, Innen- und Aussenräumen, mit Bar und Schlafzimmer, Swimmingpool und Dachterrasse. Und Öltank, versteht sich. Und in diesem sich ständig drehenden Kosmos an der Route 66 in Texas siedelte er den ersten Teil seiner Erdöl-Parabel an. Und liess ganz nah an Wagners Handlung dieses kapitalismuskritische Stück abschnurren wie eine quasi amerikanische Soap, als Familienstory, als Realityshow im Mafiamilieu, und in schmuddelig-telegenem Ambiente, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Das TV ist auch stets präsent. Es wurde wie beim Filmset alles von einem Kameramann mitgefilmt, und auf einer großen LCD-Wand konnte man dann in Nahaufnahmen mitverfolgen, was für eine böse Geschichte sich da eigentlich ereignet.

Ohne ein besonderer Castorf-Fan zu sein, muss ich sagen: Die Rechnung ging überzeugend auf. Und das, obwohl, wie man hörte, Castorf nur 9 Tage Probenzeit gehabt hat für sein „Rheingold“.

 

Castorf zeigt zwar nicht das, was Wagner in seiner Partitur vorschreibt, sondern erzählte im „Rheingold“ eine amerikanische Familiensaga mit Sex and Crime, mit einem Personal, das ausschließlich aus Zuhältern, Ganoven, Schlampen, Prostituierten, Dealern und Barleuten einschließlich zombiehaften Gästen des zweifelhaften Etablissements zu bestehen scheint. Aber diese Story zeigte er perfekt getimt, hinreißend beleuchtet von Rainar Caspar und so realistisch im regielichen Detail und in den Abläufen der Personenführung wie in einem Film. Das war völlig unopernhaft. Und die Sänger machten das bewundernswert mit. Viele Szenen wurden zwar am Pool, an der Motel-Bar oder bei statischen Gesprächen in Liegestühlen abgehandelt, es gibt auch ein paar fragwürdige Momente, immer wieder auch Leerlauf, aber als Ganzes war das doch sehr eindrucksvoll, auch was die Videos angeht: Jens Krull und Andreas Deinert können natürlich zaubern, etwa bei der Verwandlung Alberichs in Schlange oder Kröte. Und natürlich beim finalen Tauchgang der Rheintöchter am Ende des Rheingolds, da verweigerte Castorf jegliche Apotheose auf dem klingenden Regenbogen, aber er deutete bereits eine Katastrophe an, indem der Tankwart, der zugleich der Barmann ist, den Boden der Tankstelle mit Benzin übergoss und Loge bei seiner ironischen Schlußansprache, die den Aufstieg der Götter als eigentlichen Anfang vom Ende zum Thema hat, gefährlich mit dem Feuerzeug spielt.

 Auch musikalisch war das eine Offenbarung. Bei diesem Auftakt eines neuen „Rings“ stand Kirill Petrenko am Pult, dem (damals) neuen GMD der Münchner Staatsoper, der aber schon als Chef des Meininger Theaters seinen ersten "Ring" dirigierte. Heute ist er Chef der Berliner Philharmoniker. Er musste sich noch – und das ist ganz normal, mit den spezifischen und eben sehr schwierigen akustischen Verhältnissen des Bayreuther Festspielhauses zurechtfinden. Aber was erkennen liess, ist vielversprechend. Er hat mit großer Kraft und Sensibilität immer wieder aufhorchen lassen und starke Momente hörbar gemacht, auch wenn er den großen Spannungsbogen noch nicht ganz raus hatte, auch das Orchester noch nicht so ganz im Griff, da gab es immer wieder Irritationen. Man war gespannt, was da noch kommt, in den nächsten drei Abenden dieser Tetralogie.

 

Sängerisch war die Aufführung recht durchwachsen, um es mit einem Wort zu sagen, es gab sehr überforderte, sehr mittelmäßige Sänger in diesem Rheingold. Die größte Enttäuschung war Wolfgang Koch als autoritätsloser, kleinstimmiger, blasser Wotan. Da hat man nicht nur in Bayreuth, auch an so manchem Provinztheater wesentlich überzeugendere Götterväter gehört. Aber es gab auch Lichtblicke, etwa mit Claudia Mahnke als Fricka und Günter Groissböck als Fasolt im Blaumann, auch Burkhard Ulrich als Mime. Nun muss man sagen, dass die Temperaturen im Festspielhaus bei dieser Premiere an der Grenze des Zumutbaren für Sänger wie Publikum lagen. Die Aufregung war groß und möglicherweise haben die extremen Hitzegrade so manchem Sänger auf die Stimmbänder geschlagen. Also es war kein wirkliches Sängerfest, aber doch so spannend und interessant als Ganzes, dass man mit großer Neugier dem weiteren Verlauf dieser Inszenierung entgegen sah.

 

In der „Walküre“, dem zweiten Teil des mit Spannung erwarteten „Rings des Nibelungen“ in der Inszenierung von Franck Castorf Premiere. hat Frank Castorf das Publikum in eine ganz andere Welt entführt. Er machte in der „Walküre“ historisch gesehen einen Schritt zurück, denn im "Rheingold", dem Vorabend, hat er ja nicht die Vorgeschichte, sondern gewissermaßen das Ergebnis des „Rings“ vorgeführt: Den Zusammenbruch der kommunistischen Utopie und den Triumph des Kapitalismus, der zum Nihilismus und zu geradezu becketthaftem Überdruss des amerikanischen Mittleren Westen führte, wo es keine verantwortungsvolle Gesellschaft, keine Moral, keine menschenwürdige Politik, sondern nur noch "Lonely heroes" gibt, Mafiosi, Verbrecher, Geschäftemacher und Sexmonster (die Aktualität liegt auf der Hand). Er zeigte eine Schlüsselepisode in der Dekadenzgeschichte des Marxismus. Die spielte in Aserbeidschan, wo der junge Stalin 1905 das Revolutionshandwerk als Agitator auf den Ölfeldern von Baku lernte.

 

Castorf hat sich von seinem großartigen Ausstatter Aleksandar Denic eine historische Ölförderanlage, wie sie in Baku zu hunderten standen, nachbauen lassen, eins zu eins, vollplastisch, massiv und riesig, samt Ölbohrturm und angebauter Werkshalle sowie Wellblechbehausung von Hunding, der wohl als Betreiber oder Aufseher einer dieser Anlagen betrachtet werden durfte, und seiner Frau Sieglinde. Auch ein Gehege mit hauseigenem, Getier, man sieht vor allem einen Truthahn. Aber auch ein offenbar zu Tode geschundener Werksarbeiter liegt blutüberströmt in einer Schubkarre. Parallel dazu wurden immer wieder auf verschiedenen Projektionsflächen historische Propagandafilme über Stalin und über die Ölfelder von Baku gezeigt, auch Prawda-Zitate, die natürlich nur von dem russischsprechenden Teil des Publikums gelesen werden konnten, was aber das Verständnis dessen, worum es Castorf geht, nicht mindert: Um den Zusammenbruch der Systeme, um Kapitalismus contra Marxismus, festgemacht am Beispiel des Kampfes ums Erdöl, im Westen wie im Osten. Castorf nahm Wagners "Ring" als erklärtes Revolutionsstück ernst. Beim Walkürenritt zeigte er im Kleinen die Niederschlagung einer Gruppe von Revolutionären mit Roter Fahne. Anschließend prangte ein rotglühender Sowjetstern am Bohrturm.

 

Ein einleuchtendes Konzept. Die Frage war, ob es als Handlung und Geschehen auf der Bühne wirklich glaubwürdig war. Darüber gingen die Meinungen auseinander. Aber ich muss sagen, und ich entschuldige mich bei all denen, die dachten, ich würde Castorf in die Pfanne hauen, ich fand diese Inszenierung sehr schlüssig und faszinierend! Gerade in der „Walküre“ hat Castorf einen sehr eindringlichen, bewegenden, geradezu poetischen Abend hingelegt. Weniger vielleicht beim Feuerzauber, der aufs Format eines brennenden Ölfasses zusammenschrumpfte, als im ersten Akt, der als sehr intimes Dreipersonenstück vorgeführt wird, in einem imposanten, realistischen Bühnenbild, das immer wieder in magisches Licht getaucht wurde, und von den Videos von Jens Krull und Andreas Deinert kommentiert wurde. Nicht nur politisch, was man vielleicht als plakativ bezeichnen könnte, obgleich diese Videos das Verständnis der Inszenierung aufschlossen, sondern auch psychologisch und menschlich konkret. Beispielsweise sah man in einem dieser Videos, wie Sieglinde ein Schlafmittel in den Nachttrank ihres Gatten schüttet, und wie sie ihn ins Bett bringt, und wartet, bis er eingeschlafen ist, damit der Weg frei ist für das rauschhafte Erkennungs, Prüfungs- und Liebeserlebnis mit Siegmund.

 

Die Einschränkungen, die ich noch beim „Rheingold“ gegen Kyryil Petrenko erhoben habe. musste ich voll und ganz zurücknehmen, denn bei der "Walküre" hat sich Petrenko auf bewundernswerte Weis gefangen und unter Beweis gestellt, dass er ein großer Wagnerdirigent ist und dass er nach verständlichen, anfänglichen Irritationen doch mit dem Bayreuther Klang und Graben umzugehen gelernt hat. Anders als etwa Thielemann vermied Petrenko erfreulicherweise alles deutschtümelnd Weihevolle, alles narkotisierende Parfüm. Petrenko konzentrierte sich stattdessen darauf, die Architektur der Musik Wagners und ihre Struktur in zuweilen beissender Schärfe, aber auch ausgeprägter Subtilität wohldurchdacht, deutlich und prägnant herauszuarbeiten. Mit enormer Kraft, aber auch mit Sinn für die leise Musik Wagners. Und er dirigierte sängerfreundlich. Lange hat man nicht mehr so einen analytisch klaren "Ring“ in Bayreuth gehört, ohne alles falsche Wagner-Pathos. Ich fand damals, dass Kirill Petrenko ein Glücksfall für Bayreuth war.

 

Die sängerische Besetzung war bei der "Walküre" überzeugender als im Rheingold“. Wenngleich ich dabei blieb: Wolfgang Koch war ein stimmlich einfach zu kleiner, weil zu unmajestätischer Wotan, der ja immerhin so etwas wie Gott Zeus persönlich ist. Und das muss – bei aller Gebrochenheit des Charakters - auch stimmlich beglaubigt werden. Zumal ihm mit der großartigen Catherine Foster eine Brünnhilde von großem Format gegenüberstand. Sie hat zwar im zweiten Akt irritierend, man könnte auch sagen bewundernswert leise zu singen gewagt, wofür sie zu Unrecht Buhs einstecken musste, dafür hat sie dann im dritten Akt unter Beweis gestellt, was für eine großkalibrige Hochdramatische sie ist, was dann einhellige Begeisterungsstürme nach sich zog. Aber auch Johan Botha als tenoral siegesssicherer, sanfter, wenn auch monströs leibesfülliger Siegmund und die imposante Anja Kampe, die als Sieglinde in Bayreuth debütierte, wurden zurecht gefeiert. Auch Franz Josef Selig als Hunding im Frack mit Zylinder und Claudia Mahnkes Fricka in beinahe antiker Messalina-Gewandung. Diese „Walküre“, der zweite Abend in einem kostümlich alle Moden und Zeiten zitierenden "Ring" war ein großer Abend gewesen und ich freuete mich schon – trotz aller Hitze-Strapaze im unklimatisierten Festspielhaus auf die Fortsetzung dieses "Rings" mit dem Lange war der "Ring" in Bayreuth nicht mehr so interessant wie bei Castorf und Petrenko!

  

So sehr ich über die beiden ersten Teile dieses Bayreuther Jubiläums-„Rings“ begeistert war, so wenig hat mich der "Siegfried" von Frank Castorf überzeugt.  Castorf hat es sich in diesem "Siegfried" doch etwas einfach gemacht, er hat sich großzügig, will sagen ziemlich hemdsärmelig über Wagners Libretto und Partitur hinweggesetzt und hat Gags eingebaut, die nichts mit dem Stück zu tun haben. Das sollten sie ja wohl auch nicht, sie sollten wohl eher ironisieren und Pathos brechen, Gags, die das Publikum tatsächlich zum Lachen brachten, allerdings auch zu kräftigem Buhsalven veranlassten, als der Schlussvor hang runterging. Also ich fürchte, diese Produktion - die ich ja nach wie vor faszinierend fand – war etwas in Schieflage geraten.   

 

Castorf hat den "Siegfried" vor einem Mount Rushmore der anderen Art angesiedelt, also einer massiven Felswand, aus der die Köpfe der vier Erzheiligen des Sozialismus heraus gemeißelt waren: Marx, Lenin, Stalin und Mao. Und auf der Rückseite dieses Politmonuments, das auch wieder auf einer Drehbühne stand, befand sich ein hochsymbolischer Ort der DDR und des Kalten Kriegs: Berlin Alexanderplatz mit der bekannten Weltzeituhr, mit Postamt, Restaurant und Architekturzitaten, die zu diesem Ort gehören. Ein Ort, der in dem Konzept Castorfs von besonderer Bedeutung war. Aber leider eher theoretisch, als dass sich das als glaubwürdiges Theater einlöste.

 

Um nur ein paar Gags zu nennen. Die Castorf eingebaut hat, die wenig oder nichts mit dem Stück zu tun haben:  Es befremdete zum Beispiel, dass Castorf sich gestattete, die Schmiedeszene im ersten Akt ad absurdum zu führen durch schlichte Verweigerung, sie zu inszenieren. Entgegen der eindeutigen Schmiedelieder Siegfrieds darf dieser – ohne auch nur ans Schmieden zu denken - in aller Ruhe seine Kalaschnikoff auspacken, mit der er im zweiten Akt dann Fafner lautstark niederknallen wird. Woraufhin prompt ein Zuschauer zusammenbrach und unter großem Aufsehen aus dem Zuschauerraum getragen werden musste. (Obwohl eine offizielle Warnung vor der phonstarken Gewehrsalve ausgeteilt wurde) Aber auch, dass die Urmutter Erda als Prostituierte auftrat und Wotan, den Wanderer oral befriedigt, und dafür mit Dollars bezahlt wurde, ist ein billiger Regieeinfall, der nichts aussagt. Ebenso wenig haben die schweinischen Manieren Wotans beim Spagetti-Essen etwas mit Wagners Stück zu tun. Dass Siegfried den Waldvogel, der einer glitzernden Vogel-Revue aus dem Friedrichstadtpalast entsprungen sein könnte, an einem Laternenpfahl des Alexanderplatz penetrierte, widerspricht natürlich  seinem unschuldigen Entdecken von Weiblichkeit bei der Erweckung Brünnhildes. Bei der Schlußszene des dritten Aktes, dem jubelnden Liebesfinale der aus jahrelangem Schlaf erweckten Wotanstochter mit ihrem Erwecker Siegfried, krochen zwei Krokodile auf den Alexanderplatz und begatten sich. Ein zufällig herbeieilendes Mädchen (oder war es der Waldvogel) wurde von  einem der beiden aufgefressen. Dem anderen Krokodil steckte Brünnhilde beherzt den zusammengefalteten Sonnenschirm der HO-Gaststätte ins Maul. Das waren sind doch sehr banale, klamaukige Gags, die zwar komisch daherkamen, aber nichts über das Stück Wagners aussagten, auch nichts zu dem großen Thema Castorfs. Und die den Abend trotz der wiederum grandiosen Bühnenbilder Aleksandar Denics etwas verwässern.

 

Musikalisch war es allerding alles andere als verwässerter, was da aus dem mystischen  Abgrund zu hören. Kirill Petrenkos Dirigat war wiederum außerordentlich! Musikalisch war dieser "Siegfried" hinreißend. Die Souveränität, mit der der Bayreuth-Debütant Petrenko das Orchester, die schwierigen akustischen Verhältnisse des Festspielhauses und die Partitur Wagners bewältigte, und nicht nur das, sondern auch gestaltete, war beeindruckend. So einen dramatisch zupackenden, attackierend geschärften, glasklaren, analytisch durchleuchteten, und doch klangopulenten und farbigen Siegfried hatte man lange nicht gehört in Bayreuth. Auch sängerisch war der Abend ein großes Ereignis. Schon weil Catherine Foster als Brünnhilde ein Ereignis war. Sie ist eine der gegenwärtig beeindruckendsten Hochdramatischen im Wagnerfach. Sie hat eine Riesenstimme, aber auch eine schöne Stimme, sie kann bei ihren Spitzentönen aufdrehen, dass die Gläser wackeln, aber sie kann auch im Leisen auf anrührende Weise gestalten. Letzteres konnte man leider vom Siegfried Lance Ryans nicht behaupten. Er setzte ausnahmslos auf Kraftmeierei, hat ein unschönes Timbre und keine Farben. Wolfgang Koch war für mein Dafürhalten nach wie vor auch in der Partie des Wanderers zu kleinstimmig. Burkhard Ulrich als Mime war besser als im "Rheingold". Martin Winkler als Alberich bellte etwas zu viel. Dafür sangt Solin Coliban einen sehr profunden Fafner und Mirella Hagen als soubrettenzwitschernder Waldvogel stahl  schon durch ihr phantastisch ausladendes Kostüm allen die Show.

Wie ich schon von den ersten drei Abenden der Castorfschen Tetralogie trotz einiger Irritationen und Einwände insgesamt fasziniert war, blieb ich auch nach der „Götterdämmerung“ bei meiner positiven Bewertung, denn ich ssah in diesem romantisch-postmarxistischen Gang durch die Geschichte, durch verschiedene Zeiten und Herrschaftssysteme, in dieser Konfrontation von Kapitalismus und Sozialismus mit dem Fazit, dass die Machtgier, sprich der Kampf ums Erdöl jeden politischen Idealismus korrumpiert, eine sehr ernsthafte Lesart des Rings. Durchaus nahe an Wagners revolutionärer, antikapitalistischer Stoßrichtung.

Leider blieb Castorfs Machart episodenartig, patchworkartig, unfertig. Er inszenierte den "Ring" als politisches Stationen- oder besser gesagt Anekdotendrama aus DDR-sozialisierter Weltsicht. Wenn er inszeniert. Manche Szenen inszenierte er gar nicht, so schien es. Castorf erlaubte sich viele platte, banale Regiegags, er setzte zu sehr auf Sex and Crime und er blendete in Brechtscher Tradition jede Gefühlsäußerung, jede psychologische Personen-führung aus. Wie der Teufel das Weihwasser mied er Emotion, Pathos und Transzendenz. Daher war seine "Ring"-Regie etwas blutleer und verschenkte viele Möglichkeiten, ja zerstörte nicht selten musikalische Höhepunkte. Auch dass er den Ring fast ausschließlich im Milieu von Strassenstrich, Skinhead-Halbwelt und Mafia zeigte, mit Russen-, DDR- und USA-Klischees, in tierischer Animalität und gnadenloser Brutalität, auch ohne alle tröstende Schlußutopie, die Wagner ja andeutet, das beschnitt leider den durchaus faszinierenden Ansatz seines Ringkonzepts.

 Was die Handlungsorte  dieser „Götterdämmerung“ anging: Nachdem man  im "Rheingold" ein Motel samt Tankstelle und Bar an der Route 66 in Texas gesehen hat, in der "Walküre" eine historische Ölförderanlage im aserbeidschanischen Baku und im "Siegfried" einen sozialistischen Mount Rushmore und Berlin Alexanderplatz zu DDR-Zeiten, spielte die "Götterdämmerung" vor der Börse in der New Yorker Wallstreet, auf deren Rückseite eine ganz und gar trostlosen Berliner Döner-Bude angesiedelt war, beides, wie in allen Teilen dieses "Rings" auf einer Drehbühne, verbunden durch Treppenschächte. Und dann gab es noch die geradezu legendäre Autobahnwerbung „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Für Castorf das Symbol für die aus Moskau gesteuerte Rohölfolgeproduktion in der DDR. Diese realistisch gebauten Bühnenbilder von Aleksandar Denic waren in ihrer filmreifen Realistik imposant, und dürften ein Vermögen gekostet haben, leider blieben sie in ihrer politischen Symbolik etwas steril und auch von der Regie etwas ungenutzt, und für viele Zuschauer, die in postsozialistischer Denke nicht geschult sind, sicher auch unverständlich.

 

Der Dirigent Kirill Petrenko hat sich zwar für den ersten Akt viel Zeit gelassen, aber wie er das riesige Orchester zusammengehalten und mit großer Energie angefeuert hat zu einer so glutvollen wie glasklaren Lesart der Götterdämmerung, das nötigte Respekt ab. Ich kann mich nur noch einmal wiederholen: So einen dramatisch zupackenden, scharfkantigen, analytisch durchleuchteten Ring hat man lange nicht gehört in Bayreuth. Ohne alles Wagnerpathos. Petrenko war ein Glücksfall für Bayreuth. Und eine ernstzunehmende Alternative zu Christian Thielemann.

Das sängerische Niveau dieses letzten Abends des „Rings“ war leider so durchwachsen wie in den vorigen drei Abenden der Tetralogie. Alessandro Marco-Buhrmeister war ein recht lauwarmer schwach-brüstiger Gunther, Martin Winkler machte als Alberich vor allem damit auf sich aufmerksam, dass er in Unterhose auftrat, den Hagen sang Attila Jun, mit Irokesenfrisur, er erschlug Siegfried übrigens mit dem Baseball-Schläger. Diese Partie hat man auch schon besser gesungen gehört. Und Lance Ryan als Siegfried, der ja schon zuvor durch seinen Schreigesang unangenehm auffiel, hatte im Schlußstein dieses „Ring“ einen besonders schlechten Abend, das war schon grenzwertig. Was ihm auch ordentlich Buhs einbrachte. Bei den Damen sah es besser aus: Alison Oakes sang eine ordentliche Gutrune, Claudia Mahnke eine sehr expressive Waltraute. Der Star dieses Abends, ja dieses ganzen Rings war Catherine Foster als Brünnhilde. Spätestens mit diesem Bayreuther "Ring“, das war klar wurde sie nicht nur in Bayreuth als Star gehandelt. Catherin Foster sang diese hochdramatische Partie so souverän und selbstverständlich, wie kaum eine zweite Sängerin unserer Tage.

Bemerkenswert war die Publikumsreaktion, als Meister Castorf endlich persönlich vor den Vorhang trat, worauf man ja vier Abende warten mußte. Da ging ein Buhsturm und ein Radau los, wie ich ihn in Bayreuth noch nicht erlebt habe in den letzten vierzig Jahren. Das Buhkonzert dauerte über eine Viertelstunde. Frank Castorf begegnete diesem Ablehnungsorkan mit arroganter Geste der Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum, ja er zeigte dem Publikum sogar mehrfach so etwas wie "einen Vogel". Was natürlich noch mehr Buhs provozierte. Am Ende wurde Castorf mitsamt seiner Crew regelrecht von der Bühne vertrieben. Pech für ihn. Aber ohne Frage ein Erfolg für die Festspielleiterinnen, denn lange hat ein "Ring" in Bayreuth nicht mehr so starke Emotionen und Kontroversen entfacht. Man kann sich über ihn streiten, er machte nachdenklich, vielleicht verärgert er sogar, aber gleichgültig ließ er niemanden. Ein Kracher mit Potential jedenfalls. Dieser Castorf-"Ring" reüssierte, wurde in den nächsten Jahren zur neuen Bayreuther Kultaufführung.

 

Diverse Rezensionen,u.a. auch im MDR