Der "Ring" Castorfs in Bayreuth 2013

© Bayreuther Festspiele / Photos: Enrico Nawrath


BAYREUTHER FESTSPIELE 2013


Der Kampf ums Erdöl korrumpiert alle Systeme

Frank Castorfs Bayreuther "Ring" 2013 .

Ein politisches  Stationen- bzw. Anekdotendrama aus DDR-Weltsicht.



Gespäch in MDR Figaro, 27.07.2013


Gestern abend war es soweit. Der mit Spannung erwartete  „Ring des Nibelungen“ in der Insze-nierung von Franck  Castorf startete bei den 102. Richard Wagner-Festspielen mit dem „Rhein-gold“, dem ersten der vier Teile des Monumental-Musikdramas. Unser Wagnerexperte Dieter David Scholz war für uns dabei. Herr Scholz, die Öffentlichkeit ist so neugierig, wie selten zuvor auf einen „Ring“ im 200sten Geburtsjahr Wagners in Bayreuth. Wird dieser „Ring“  ein Flop oder ein Erfolg?


Das Rheingold


Also es sieht eher nach Erfolg aus. Das Publikum jedenfalls hat mit überwiegender Mehrheit ges-tern abend die Aufführung des Rheingolds bejubelt, stürmisch sogar. Und ich finde zurecht, denn nach dem letzten "Ring" von Tancred Dorst ist dieser von Castorf  jedenfalls ein geradezu span-nender, ein sehr konkreter, aussagenkräftiger und auch optisch sehr origineller Ring, soweit er sich nach dem Rheingold jedenfalls andeutet. Eine opulente Bühne, eine starke Regiehandschrift ist zu erkennen, große Professionalität in der technischen und inszenatorischen Umsetzung des Konzepts. Ich glaube, dieser Ring wird besser, als die meisten sich das wohl gedacht haben.


Die Grundidee, man konnte es in diversen Zeitungen ja schon lesen, ist doch wohl, dass Castorf das Gold ( um das es ja im Ring geht), mit dem Symbol des Erdöls auf die Bühne bringen wollte. Wie macht er das im Rheingold?


Er hat sich von seinem serbischen Ausstatter Aleksandar Denic ein komplettes, dreidimensionales  „Golden Motel“, auf eine gigantische Drehbühne bauen lassen, ganz realistisch, um nicht zusagen filmrealistisch, samt angrenzender Tankstelle, eine vollplastische Architektur mit mehreren Ebenen, Innen- und Aussenräumen, mit Bar und Schlafzimmer, Swimmingpool und Dachterrasse. Und Öltank, versteht sich. Und in diesem sich ständig drehenden Kosmos an der Route 66 in Texas siedelt er sozusagen den ersten  Teil seiner Erdöl-Parabel an. Und läßt ganz nah an Wagners Hand-lung dieses kapitalismuskritische Rheingold abschnurren als quasi amerikanische Soap, als Fami-lienstory, als Realityshow im Mafiamilieu, und in schmuddeliem Ambiente, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Das Fernstehen ist auch stets präsent. Es wird wie beim Filmset alles von einem Kameramann mitgefilmt, und auf einer großen LCD Wand kann man dann in Nahaufnahmen mitverfolgen, was für eine böse Geschichte sich da im Innern des Motels eigentlich ereignet.


Und geht diese Rechnung denn überzeugend auf? Man hat im Vorfeld gehört, Castorf hätte nur neun Tage Probenzeit gehabt für sein Rheingold?


Also ich muss sagen, ohne ein besonderer Castorf-Fan zu sein, die Rechnung geht bisher jedenfalls sehr gut auf. Castorf zeigt zwar nicht das, was Wagner in seiner Partitur vorschreibt, sondern erzählt im Rheingold eine amerikanische Familiensaga mit Sex and Crime, mit einem Personal, das ausschließlich aus Zuhältern, Ganoven, Schlampen,  Prostituierten, Dealern und Barleuten ein-schließlich zombiehaften Gästen des zweifelhaften Etablissements zu bestehen scheint. Aber diese Story zeigt er perfekt getimet, hinreißend beleuchtet von Rainar Caspar und so realistisch im regie-lichen Detail und in den Abläufen der Personenführung wie in einem Film. Völlig unopernhaft. Und die Sänger machen das bewundernswert mit. Viele Szenen werden zwar am Pool, an der Motel-Bar oder bei statischen Gesprächen in Liegestühlen abgehandelt,  es gibt auch ein paar frag-würdige Momente, immer wieder auch Leerlauf, aber als Ganzes ist das doch sehr eindrucksvoll, auch was die Videos angeht: Jens Krull und Andreas Deinert können natürlich zaubern, etwa bei der Verwandlung Alberichs in Schlange oder Kröte. Und natürlich beim finalen Tauchgang der Rheintöchter am Ende des Rheingolds, da verweigert Castorf jegliche Apotheose auf  dem kling-enden Regenbogen, aber er deutet bereits eine Katastrophe an, indem der Tankwart, der zugleich der Barmann ist, den Boden der Tankstelle mit Benzin übergiesst und Loge bei seiner ironischen Schlußansprache, die den Aufstieg der Götter als eigentlichen Anfang vom Ende zum Thema hat, gefährlich mit dem Feuerzeug spielt.


Also szenisch faszinierend, sagen Sie , war´s  den auch musikalisch  eine Offenbarung?


Also wir reden ja vom Auftakt eines neuen Rings, mit einem neuen Mann am Pult, Kirill Petrenko, dem neuen GMD der Münchner Staatsoper, der aber schon als Chef des Meininger Theaters seinen ersten "Ring" dirigierte.   Der muss sich noch – und das ist ganz normal, mit den spezifischen und eben sehr schwierigen akustischen Verhältnissen des Bayreuther Festspielhauses zurechtfinden. Aber was er gestern erkennen liess, ist vielversprechend. Er hat mit großer Kraft und Sensibilität immer wieder aufhorchen lassen und starke Momente hörbar gemacht, auch wenn er den großen Spannungsbogen noch nicht raus hatte, auch das Orchester noch nicht so ganz im Griff, da gab es immer wieder Irritationen. Aber alle Achtung! Man ist gespannt, was da noch kommt, in den nächsten drei Abenden dieser Tetralogie.


Und wie war´s sängerisch?


Sehr durchwachsen, um es mit einem Wort zusagen, es gab sehr überforderderte, sehr mittelmäßige Sänger in diesem Rheingold. Die größte Enttäuschung war für mich Wolfgang Koch als autoritäts-loser, kleinstimmiger, blasser Wotan. Da hat man nicht nur in Bayreuth, auch an so manchem Pro-vinztheater wesentlich überzeugendere Götterväter gehört. Aber es gab auch Lichtblicke, etwa mit  Claudia Mahnke als Fricka und Günter Groissböck als Fasolt im Blaumann, auch Burkhard Ulrich als  Mime. Nun muss man sagen, dass die Temperaturen gestern abend im Festspielhaus an der Grenze des Zumutbaren für Sänger wie Publikum lagen. Die Aufregung war groß und möglicher-weise haben die extremen Hitzegrade so manchem Sänger auf die Stimmbänder geschlagen. Also es war kein wirkliches Sängerfest gestern abend, aber doch so spannend und interessant als Ganzes, dass man mit großer Neugier dem weiteren Verlauf dieser Inszenierung entgegen sieht

 


Die Walküre

Rezension in MDR Figaro, 29.07.2013


Am Samstag abend hatte bei den Bayreuther Festspielen der zweite Teil des mit Spannung erwarte-ten  „Rings des Nibelungen“ in der Inszenierung von Franck  Castorf Premiere. Unser Wagner-experte Dieter David Scholz, der ja schon vom "Rheingold" berichtete,  war für uns wieder dabei. Herr Scholz, im Rheingold hat uns Frank Castorf nach Texas entführt, in ein Motel, in dem er eine mafiose Sex and Crime-Familienstory zeigte. Wohin hat er denn die Zuschauer in der Walküre entführt?


In eine ganz andere Welt, und er macht in der Walküre historisch gesehen einen Schritt zurück, denn im "Rheingold", dem Vorabend, hat er ja nicht die Vorgeschichte, sondern gewissermaßen das Ergebnis des  "Rings" vorgeführt: Den Zusammenbruch der kommunistischen Utopie und den Triumph des Kapitalismus, der zum Nihilismus und zu geradezu becketthaftem Überdruß des amerikanischen Mittleren Westen führt, wo es keine verantwortungsvolle Gesellschaft, keine Moral, keine menschenwürdige Politik, sondern nur noch "Lonely heroes" gibt, Mafiosi, Verbre-cher, Geschäftemacher  und Sexmonster.  In der Walküre zeigt er nun eine Schlüsselepisode in der Dekadenzgeschichte des Marxismus. Die spielt in Aserbeidschan, wo der junge Stalin 1905 das Revolutionshandwerk als Agitator auf den Ölfeldern von Baku lernte.


Es dürfte nicht einfach sein, diese, wie Sie sagen, „marxistische Schlüsselepisode“ zu zeigen? Was sieht man denn da auf der Bühne? 



Castorf hat sich von seinem großartigen Ausstatter Aleksandar Denic eine historische Ölföder-anlage, wie sie in Baku zu hunderten standen, nachbauen lassen, eins zu eins, vollplastisch, massiv  und riesig, samt Ölbohrturm und angebauter Werkshalle sowie Wellblechbehausung von Hunding, der wohl als Betreiber oder Aufseher dieser Anlage betrachtet werden darf, und seiner Frau Sieg-linde. Auch ein Gehege mit hauseigenem, echtem Getier, man sieht vor allem einen Truthahn. Aber auch ein offenbar zu Tode geschundenerWerksarbeiter liegt blutübersträmt in einer Schubkarre. Parallel dazu werden immer wieder auf verschiedenen Projektionsflächen historische Propagan-dafilme über Stalin und über die Ölfelder von Baku gezeigt, auch Prawda-Zitate, die natürlich nur von dem russischsprechenden Teil des Publikums gelesen werden können, was aber das Verständnis dessen, worum es Castorf geht, nicht mindert: Um den Zusammenbruch der Systeme, um Kapitalis-mus contra Marxismus, festgemacht am Beispiel des Kampfes ums Erdöl, im Westen wie im Osten. Castorf nimmt Wagners "Ring" als erklärtes Revolutionsstück ernst. Beim Walkürenritt zeigt er im Kleinen die Niederschlagung einer Gruppe von Revolutionären mit Roter Fahne. Anschließend prangt ein rotglühender Sowjetstern am Bohrturm.


Das hört sich als Konzept einleuchtend an. Aber ist das denn als Handlung und Geschehen auf der Bühne wirklich glaubwürdig?


Darüber gehen die Meinungen auseinander, wenn man sich so umhört. Aber ich muss sagen, und ich entschuldige mich bei all denen, die dachten, ich würde Castorf in die Pfanne hauen, ich finde diese Inszenierung sehr schlüssig und faszinierend! Bisher jedenfalls. Gerade in der Walküre hat Castorf einen sehr eindringlichen, bewegenden, geradezu poetischen Abend hingelegt. Weniger vielleicht beim Feuerzauber, der aufs Format eines brennenden Ölfasses zusammenschrumpft, als im ersten Akt, der als sehr intimes Dreipersonenstück vorgeführt wird, in einem imposanten, realis-tischen Bühnenbild, das immer wieder  in magisches Licht getaucht wird,  und von den Videos von Jens Krull und Andreas Deinert kommentiert wird. Nicht nur politisch, was man vielleicht als pla-kativ bezeichnen könnte, obgleich diese Videos das Verständnis der Inszenierung aufschließen, sondern auch psychologisch und menschlich konkret. Beispielsweise sieht man in einem dieser Videos, wie Sieglinde ein Schlafmittel in den Nachttrank ihres Gatten schüttet, und wie sie ihn ins Bett bringt, und wartet, bis er eingeschlafen ist, damit der Weg frei ist für das rauschhafte Erkennungs, Prüfungs-  und Liebeserlebnis mit Siegmund.


War diese "Walküre" denn auch musikalisch ein Rausch? Sie hatten ja beim Rheingold einige Einwände gegen  Kirill Petrenko am Pult erhoben.


Richtig, aber diese Einschränkungen nehme ich jetzt voll und ganz zurück, denn bei der "Walküre" hat Petrenko auf bewundernswerte unter Beweis gestellt, dass er ein großer Wagnerdirigent ist und dass er nach verständlichen, anfänglichen Irritationen doch mit dem Bayreuther Klang und Graben umzugehen gelert hat.  Anders als etwa  Thielemann vermeidet Petrenko  erfreulicherweise alles deutschtümelnd Weihevolle, alles narkotisierende Parfüm. Petrenko konzentriert sich stattdessen darauf, die Architektur der Musik Wagners und ihre Struktur in zuweilen beissender Schärfe, aber auch ausgeprägter Subtilität wohldurchdacht, deutlich und prägnant herauszuarbeiten. Mit enormer Kraft, aber auch mit Sinn für die leise Musik Wagners. Und er dirigiert sängerfreundlich. Lange hat man nicht mehr so einen analytisch klaren "Rin"g in Bayreuth gehört, ohne alles falsche Wagner-Pathos. Ich finde, Kirill Petrenko ist ein Glücksfall für Bayreuth und man muss es den Festspiellei-terinnen hoch anrechnen, dass sie diesen unkonventionellen Wagner-Dirigenten für die Bayreuther Festspiele entdeckt und unter Vertrag genommen haben für  diesen Jubiläums-Ring. 


Sängerisch waren Sie ja beim Rheingold etwas enttäuscht. War die Besetzung bei der "Walküre" überzeugender, Ihrer Meinung nach?


Ich  bleibe dabei:  Wolfgang Koch ist ein stimmlich einfach zu kleiner, weil  zu unmajestätischer Wotan, der ja immerhin so etwas wie Gott Zeus persönlich ist. Und das muss – bei aller Gebrochen-heit des Charakters - auch stimmlich beglaubigt werden. Zumal ihm mit der großartigen Catherine Foster eine Brünnhilde von großem Format gegen-übersteht. Sie hat zwar im zweiten Akt irritie-rend, man könnte auch sagen bewundernswert leise zu singen gewagt hat, wofür sie zu Unrecht Buhs einstecken musste, dafür hat sie dann im dritten Akt gezeigt, was für eine großkalibrige Hochdramatische sie ist, was dann einhellige Begeisterungsstürme nach sich zog. Aber auch Johan Botha als tenoral siegesssicherer, sanfter, wenn auch monströs leibesfülliger Siegmund und die imposante Anja Kampe, die als Sieglinde in Bayreuth debütierte, wurden  zurecht gefeiert.  Auch  Franz Josef Selig als Hunding im Frack mit Zylinder und Claudia Mahnkes Fricka in beinahe antiker Messalina-Gewandung.  - Diese Walküre, der zweite Abend  in diesem kostümlich alle Moden und Zeiten zitierenden "Ring" ist ein großer Abend gewesen und ich freue mich schon – trotz aller Hitze-Strapaze im unklimatisierten Festspielhaus auf die Fortsetzung dieses "Rings" mit dem "Siegfried". Lange war der "Ring" in Bayreuth nicht mehr so interessant wie bei Castorf und Petrenko!



Siegfried

Rezension in MDR Figaro, 30,07.2013


Gestern abend hatte der dritte Teil des neuen „Rings des Nibelungen“ in der Regie von Frank  Castorf  bei den Bayreuther Festspielen Premiere. Unser Wagnerexperte Dieter David Scholz, der ja schon vom "Rheingold" und von der "Walküre" berichtete,  war für uns wieder dabei. Herr Scholz, über  die beiden ersten Teile dieses Bayreuther Jubiläums-„Rings“ haben Sie sich ja ziemlich begeistert geäußert. Hat Sie der "Siegfried" von Frank Castorf  ebenso überzeugt?



Nicht wirklich, denn Castorf hat es sich in diesem "Siegfried" doch etwas einfach gemacht, er hat sich großzügig, will sagen ziemlich hemdsärrmelig über Wagners Libretto und Partitur  hinweg-gesetzt und hat Gags eingebaut, die nichts mit dem Stück zu tun haben. Das sollen sie ja wohl auch nicht, sie sollen wohl eher ironisieren und Pathos brechen, Gags,  die das Publikum tatsächlich zum Lachen brachten, allerdings auch zu kräftigem Buhsalven veranlassten, als der Schlussvorhang runterging. Also ich fürchte, gestern abend ist diese ganze Produktion - die ich ja nach wie vor faszinierend finde - doch etwas in Schieflage geraten. Aber ich will kein abschliessendes Urteil abgeben, es kommt ja noch die „Götterdämmerung.“


Die Handlungsorte dieses Castorfschen „Rings“ sind ja recht unkonventionell. Das "Rheingold" spielte in einem Motel in Texas, die Walküre in einer Ölförderanlage im aserbeidschanische  Baku. Wo hat Castorf denn den  "Siegfried" angesiedelt.?


Er hat ihn vor einem  Mount Rushmore der anderen Art angesiedelt, also einer massiven Felswand, aus der die Köpfe der vier Erzheiligen des Sozialismus heraus gemeißelt sind: Marx, Lenin, Stalin und Mao. Und  auf der Rückseite dieses Politmonuments, das auch wieder auf einer Drehbühne steht, befindet sich ein hochsymbolischer Ort der DDR und des Kalten Kriegs: Berlin Alexander-platz mit der bekannten Weltzeituhr, mit Postamt, Restaurant und Architekturzitaten, die zu diesem Ort gehören. Ein Ort, der in dem Konzept Castorfs  von besonderer Bedeutung ist. Aber leider eher theoretisch, als dass sich das als glaubwürdiges Theater einlöste.


Sie haben vorhin gesagt, dass Castorf  sich hemdsärmlig  über Wagner hinweggesetzt und in diesem "Siegfried" Gags eingebaut hat,  die wenig oder nichts mit dem Stück zu tun haben. Können sie ein paar Beispiele nennen?


Ja natürlich. Es befremdet zum Beispiel, dass Castorf sich gestattet, die Schmiedeszene im ersten Akt ad absurdum zu führen durch schlichte Verweigerung, sie zu inszenieren. Entgegen der eindeutigen Schmiedelieder Siegfrieds darf  dieser – ohne auch nur ans Schmieden zu denken -  in aller  Ruhe seine Kalaschnikoff auspacken, mit der er im zweiten Akt dann Fafner lautstark nieder-knallen wird. Woraufhin prompt ein Zuschauer zusammenbricht und unter großem Aufsehen aus dem Zuschauerraum getragen werden muss.  (Obwohl eine offizielle Warnung vor der phonstarken Gewehrsalve ausgeteilt wurde). Aber auch, dass die Urmutter Erda als Prostituierte auftritt und Wotan, den Wanderer oral befriedigt, und dafür mit Dollars bezahlt wird, ist ein billiger Regie-einfall, der nichts aussagt. Ebensowenig haben die schweinischen Manieren Wotans beim Spagetti-Essen etwas mit Wagners Stück zu tun. Dass Siegfried den Waldvogel,  der einer glitzernden Vogel-Revue aus dem Friedrichstadtpalast entsprungen sein könnte, an einem Laternenpfahl des Alexan-derplatzes penetriert, widerspricht seinem unschuldigen Entdecken von Weiblichkeit bei der Er-weckung Brünnhildes. Und wo wir schon Mal bei Brünnhilde sind: Bei der Schlußszene des dritten Aktes, dem jubelnden Liebesfinale der aus jahrelangem Schlaf erweckten Wotanstochter mit ihrem Erwecker Siegfried, kriechen zwei Krokodile auf den Alexanderplatz und begatten sich. Ein zufäl-lig herbeieilendes Mädchen (oder ist es der Waldvogel?) wird von dem einen aufgefressen. Dem anderen Krokodil steckt Brünnhilde beherzt den zusammengefalteten Sonnenschirm der HO-Gast-stätte ins Maul. Also das sind doch sehr banale, klamaukige Gags, die zwar komisch sind, aber nichts  über das Stück Wagners aussagen, auch nichts zu dem großen Thema Castorfs. Und die den Abend trotz der wiederum grandiosen Bühnenbilder Aleksandar Denics etwas verwässern.


Aber ich nehme an, aus dem mystischen Abgrund heraus war kein verwässerter  "Siegfried"  zu hören, Sie haben ja Kirill Petrenkos Dirigat zuletzt außerordentlich gewürdigt. War es auch im "Siegfried" so überzeugend.


Ja, außerordentlich! Musikalisch war dieser "Siegfried" wirklich hinreißend. Die Souveränität, mit der der Bayreuth-Debütant Petrenko das Orchester, die schwierigen akustischen Verhältnisse des Festspielhauses und die Partitur Wagners bewältigt, und nicht nur das, sondern auch gestaltet, ist beeindruckend. So einen dramatisch zupackenden, attackierend geschärften, glasklaren, analytisch durchleuchteten, und doch klangopulenten und farbigen Siegfried  von hat man lange nicht gehört in Bayreuth. Ein großes Ereignis.


War der Siegfried denn auch sängerisch ein Ereignis?


Also auf jeden Fall ist  Catherine Foster  als Brünnhilde ein Ereignis. Sie ist eine der gegenwärtig beeindruckendsten Hochdramatischen im Wagnerfach. Sie hat eine Riesenstimme, aber auch eine schöne Stimme, sie kann bei ihren Spitzentönen aufdrehen, dass die Gläser wackeln, aber sie kann auch im Leisen auf anrührende Weise gestalten. Letzteres kann man leider vom Siegfried Lance Ryans nicht behaupten. Er setzt ausnahmslos auf Kraftmeierei, hat ein unschönes Timbre und keine Farben. Wolfgang Koch finde ich nach wie vor auch in der Partie des Wanderers  zu kleinstimmig. Burkhard Ulrich als Mime ist besser als im "Rheingold". Martin Winkler als Alberich bellt nach wie vor etwas zu viel, für meinen Geschmack. Dafür ist Solin Coliban ein sehr profunder Fafner und Mirella Hagen als soubrettenzwitschernder Waldvogel stiehlt schon durch ihr phantastisch ausladendes  Kostüm allen die Show.

 


Götterdämmerung

Rezension in MDR Figaro, 01.08.2013



Gestern abend hatte der abschließende, vierte Teil des neuen „Rings des Nibelungen“ in der Regie von Frank  Castorf  bei den Bayreuther Fest-spielen Premiere. Unser Wagnerexperte Dieter David Scholz, der ja schon von den ersten drei Abenden der Tetralogie aus Bayreuth berichtete,  war für uns wieder dabei. Herr Scholz, Sie haben sich trotz einiger Irritationen und Einwände insgesamt fasziniert geäußert über die ersten drei Teile dieses unkonventionellen „Rings“.  Bleiben Sie auch nach der Götterdämmerung bei ihrer positiven Bewertung?


Ja, denn ich sehe in diesem romantisch-postmarxistischen Gang durch die Geschichte, durch ver-schiedene Zeiten  und Herrschaftssysteme, in dieser Konfrontation von Kapitalismus und Sozia-lismus mit dem Fazit, dass die Machtgier, sprich der Kampf ums Erdöl jeden politischen Idealismus korrumpiert, eine ernsthafte Lesart des Rings. Durchaus nahe an Wagners revolutionärer, antikapi-talistischer Stoßrichtung.  Leider bleibt Castorfs Machart episodenartig, patchworkartig, unfertig. Er inszeniert den "Ring" als politisches  Stationen- oder besser gesagt Anekdotendrama aus DDR-sozialisierter Weltsicht. Wenn er inszeniert. Manche Szenen inszeniert er gar nicht. Castorf  erlaubt sich viele platte, banale Regiegags, er setzt zu sehr auf Sex and Crime und er blendet in Brechtscher Tradition jede Gefühlsäußerung, jede psychologische Personenführung aus. Wie der Teufel das Weihwasser meidet er Emotion, Pathos und Transzendenz. Daher ist seine "Ring"-Regie etwas blutleer und verschenkt viele Möglichkeiten, ja zerstört nicht selten musikalische Höhepunkte. Auch  dass er den Ring fast ausschließlich im Milieu von Strassenstrich, Skinhead-Halbwelt und Mafia zeigt, mit Russen-, DDR- und USA-Klischees, in tierischer Animalität und gnadenloser Brutalität,  auch ohne alle tröstende Schlußutopie, die Wagner ja andeutet, das beschneidet leider den durchaus faszinierenden Ansatz seines Ringkonzepts.


Die Handlungsorte dieses Castorfschen „Rings“ sind ja recht unkonventionell. Wo spielte eigentlich diese Götterdämmerung?



Nachdem wir im "Rheingold" ein Motel samt Tankstelle und Bar an der Route 66 in Texas gesehen haben, in den "Walküre" eine historische Ölförderanlage im aserbeidschanischen Baku und im "Siegfried" einen sozialistischen Mount Rushmore und Berlin Alexanderplatz zu DDR-Zeiten, spielt die "Götterdämmerung" vor der Börse in der New Yorker Wallstreet, auf deren Rückseite eine  ganz und gar trostlosen Berliner Döner-Bude angesiedelt ist, beides, wie in allen Teilen dieses "Rings" auf einer Drehbühne, verbunden durch Treppenschächte.  Und dann gibt es noch die geradezu legendäre Autobahnwerbung „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Für Castorf das Symbol für die aus Moskau gesteuerte Rohölfolgeproduktion in der DDR. Diese  perfekt gebauten Bühnen-bilder  von Aleksandar Denic sind in ihrer filmreifen Realistik imposant, und dürften ein Vermögen gekostet haben, leider bleiben sie in ihrer politischen Symbolik etwas steril und auch von der Regie etwas ungenutzt. Und für viele Zuschauer, die in postsozialistischer Denke nicht geschult sind, sicher auch unverständlich.


Wie war die Aufführung denn musikalisch? Hat der Debütant am Bayreuther Pult, Kirill Petrenko Sie in der Götterdämmerung auch so begeistert wie in den drei Teilen zuvor?


Absolut! Er hat sich zwar für den ersten Akt viel Zeit gelassen, aber  wie er das riesige Orchester zusammengehalten und mit großer Energie angefeuert hat zu einer so glutvollen wie glasklaren Lesart der Götterdämmerung, das nötigt schon Respekt ab.  Ich kann mich nur noch einmal wieder-holen: So einen dramatisch zupackenden, scharfkantigen, analytisch durchleuchteten Ring hat man lange nicht gehört in Bayreuth. Ohne alles Wagnerpathos. Petrenko ist ein Glücksfall für Bayreuth. Und eine ernstzunehmende Alternative zu Christian Thielemann.


Und wie war das sängerische Niveau dieses letzten Abends des „Rings“?


Also es war so durchwachsen wie in den vorigen drei Abenden der Tetralogie. Alessandro Marco-Buhrmeister war ein recht lauwarmer schwach-brüstiger Gunther, Martin Winkler machte als Albe-rich vor allem damit auf sich aufmerksam, dass er in Unterhose auftrat, den Hagen sang Attila Jun, mit Irokesenfrisur, er erschlägt Siegfried übrigens mit dem Baseball-Schläger. Diese Partie hat man auch schon besser gesungen gehört. Und Lance Ryan als Siegfried, der ja schon vor drei Tagen durch seinen Schreigesang unangenehm auffiel, hatte gestern einen besonders schlechten Abend, das war schon recht grenzwertig. Was ihm auch ordentlich Buhs einbrachte.  Bei den Damen  sah es wesentlich besser aus: Alison Oakes sang eine ordentliche Gutrune, Claudia Mahnke eine sehr expressive Waltraute. Der Star dieses Abends, ja dieses ganzen Rings ist Catherine Foster als Brünnhilde. Spätestens mit diesem Bayreuther "Ring"  wird sie nicht nur in Bayreuth als Star gehandelt werden. Catherin Foster singt diese hochdramatische Partie so souverän und selbstverständlich, wie kaum eine zweite Sängerin unserer Tage.


Und wie hat denn das Publikum auf diesen Schußabend des Rings reagiert. Hat es Castorfs Lesart angenommen?


Also als Meister Castorf endlich persönlich vor den Vorhang trat, worauf man ja vier Abende warten mußte, da ging ein Buhsturm und ein Radau los, wie ich ihn in Bayreuth noch nicht erlebt habe in den letzten dreißig Jahren. Das Buhkonzert dauerte über ein Viertelstunde. Frank Castorf  begegnete diesem Ablehnungsorkan mit arroganter Geste der Gleichgültigkeit gegenüber dem Publikum, ja er zeigte dem Publikum sogar mehrfach so etwas wie "einen Vogel". Was natürlich noch mehr Buhs provozierte. Am Ende wurde Castorf mitsamt seiner Crew regelrecht von der Bühne vertrieben. Pech für ihn. Aber ohne Frage ein Erfolg für die Festspielleiterinnen, denn lange hat ein "Ring" in Bayreuth nicht mehr so starke Emotionen und Kontroversen entfacht. Man kann sich über ihn streiten, er macht nachdenklich, vielleicht verärgert er sogar, aber gleichgültig lässt er niemanden. Ein Kracher mit Potential jedenfalls. Wenn an ihm noch nachgebessert wird , dann würde es mich nicht wundern, wenn dieser Castorf-"Ring" in den nächsten Jahren zur neuen Bayreuther Kultaufführung reüssierte.