Musik-Theater & mehr
Photos: Reinhard Winkler / Landestheater Linz / theaterpur.net
(Dort wurde die Bayreuther Inszenierung 1983 rekonstruiert)
Unpolitisches, emotionsloses Designerstück
Tristan und Isolde, Regie Heiner Müller, Bühne Erich Wondter, Dirigat Daniel Barenboim. Bayreuther Festspiele, Premiere 25.7.1993
Moderator: Heiner Müller hat den Tristan inszeniert. Es ist sein Debüt auf der Opernbühne. Da war man natürlich sehr gespannt. Was hat Heiner Müller denn mit dem Tristan angestellt?
Ich: Ich muß sagen, es war sehr enttäuschend, was Heiner Müller da auf die Bühne gebracht hat. Man war ja aufgrund seiner Äußerungen im Vorfeld der Premiere auf nichts weniger als eine politische Inszenierung gefaßt. Nichts davon hat das - in diesem Jahr wieder einmal mit sehr viel Prominenz angereicherte - Publikum zu sehen bekommen. Eher gab es im Festspielhaus so etwas wie die Verweigerung des Politischen, vielleicht mit Rücksicht auf Gorbatschow, den prominentesten Gast der Premiere. In der Pressekonferenz vor der Premiere hat Müller König Marke noch recht keß als einen abgewirtschafteten Politiker wie Gorbatschow bezeichnet. Auf der Bühne hat man davon allerdings nichts bemerkt. Heiner Müller hat in den leuchtenden, kubischen, minimalistischen Räumen Erich Wonders überhaupt jeden Realismus vermieden. Er hat das Drama verweigert. Im Grunde hat er nur statuarische, bewegungsarme, leblos ritualisierte Tableaus arrangiert, mit leicht japanishem Touch. Über die japanische Haartracht der Darsteller, die alle Pferdeschwanz tragen, will ich ja gar nichts sagen. Aber die kuttenhaften, schwarzen Kostümen des japanischen Star-Designers Yamamoto, die sich eigentlich nur durch metall-glänzende Halskrausen auszeichneten, die wie verbogene Hula-Hup-Reifen aussehen oder wie Metallgerippe von Modellflugzeugen, wirkten doch reichlich deplaziert. Sie verstärkten nicht gerade die Glaubwürdigkeit der Kostümträger. Was an dieser mißratenen Inszenierung allerdings am schlimmsten wiegt, ist die Tatsache, daß Müller radikal gegen den Text und gegen die Musik arbeitet, denn er hat jede Emotionsdarstellung unterbunden, Tristan und Isolde dürfen auch und gerade im zweiten Akt - der übrigens in einer Art Rüstkammer spielt - ihren Gefühlen, die sie ja in eindeutigem Überschwang in Tönen und Worten mitteilen, nie körperlich adäquaten Ausdruck verleihen. Sie schreiten zwischen Brustpanzern hindurch, die in Reih und Glied aufgestellt sind wie eine Zwergenarmee. Ihr Zwiegesang voller Emotionen, die darstellerisch nicht zum Zuge kommen, wirkt in dieser vollgerüsteten Umgebung fast ironisiert. Und die wenigen zaghaften Annäherungen wirken eher lächerlich, ansonsten stehen die Personen in dieser Liebestragödie bewegungs- und emotionslos herum, zumeist an der Rampe, und ergehen sich in konventionellen Opern-Gesten. Heiner Müller kann mit dem Wagnerschen Drama offenbar wenig anfangen. Besonders stört ihn wohl der Liebestod, den er Isolde unvermittelt im goldflimmernden Abendlkleid singen läßt, während sich auf der Bühne eine goldenen Wand auftut. Isoldes Liebestod wird so zur Kitschnummer. Das hat man eigentlich hier in Bayreuth noch nicht gesehen. Aber das hat auch mit Wagner nichts mehr zu tun. Es ist eher Heiner Müllers Problem mit Wagner, das sich da Ausdruck verleiht. Man fragt sich nur, warum er überhaupt Wagner, warum er den Tristan inszeniert hat. Das Publikum hat seine nichtssagende Inszenierung denn auch mit einem Buh-Orkan quittiert, wie er in derartiger Einmütigkeit selten ist.
Moderator: Nun war man ja auch auf die Sänger der Aufführung gespannt. Waltraud Meier sang ihre erste Isolde in Bayreuth. War denn die Besetzung überzeugend?
Ich: Nein, im Grund nicht, obgleich es vereinzelte sängerische Lichtblicke gab, etwa den sehr kraftvollen König Marke von John Tomlinson, oder etwa den sehr virilen Kurwenal von Falk Struckmann. Auch Uta Priew hat eine zwar sehr hell timbrierte, aber doch solide Brangäne gesungen. Aber Tristan und Isolde waren doch, mit Verlaub gesgat, fehlbesetzt, denn Siegfried Jerusalem ist mit dem Tristan einfach überfordert, seine Stimme klingt rauh, unschön und verbraucht, er hat große Intonationsprobleme, er verausgabt sich mit permanneter Überanstrengung und Forcierung seiner stimmlichen Mittel. Von lyrischen Schmelz oder gar heldenhafte Kraft ist da leider nicht die Spur. Und Waltraud Meier, die ja eine großartige Sängerin ist, sie ist sicher eine der besten derzeitigen Darstellerinnen der Kundry, ist als Isolde ist überfordert. So schön sie in der Mittellage gestalten kann, in der Höhe fehlt ihr einfach die dramatische Durchschlagskraft, es mangelt ihr an überzeugendem Ausdruck und an Volumen. Ihre dunkel schattierte Stimme war denn auch gestern abend unsicher flackernd und klang unangenehm forciert. Also auch gesanglich muß man wohl von einer Enttäuschung sprechen.
Moderator: Bleibt, nach dem Dirigenten zu fragen. Hat sich Daniel Barenboims Dirigat wesentlich unterschieden von seinem letzten Tristan in Bayreuth?
Ich: Also es ist nach wie vor ein in Watte gepackter, dynamisch gebremster, ein unterbelichteter Tristan, den Barenboim präsentiert, trotz des wunderbar spielenden und klingenden Orchesters. Aber er hat doch immerhin seine extrem breiten Tempi jedenfalls streckenweise etwas angezogen und auch manchmal dramatischere Akzente gesetzt, aber ingesamt war seine romantisch behutsame, glatte und kantenlose Lesart des Tristan ,alles andere als aufregend, eher doch das Gegenteil, was um so schlimmer wiegt, als ja auch die Inszenierung jegliches dramatische Tempo und jegliche Kurzweil vermissen läßt. Die Aufführung zog sich in die Länge, das Publikum hatte denn auch am Ende kaum mehr Lust, aus dem Flop dieser Produktion einen Skandal zu machen in der gewohnten Weise. Nachdem Regisseur und Kostümbildner mit Buhsalven regelrecht von der Bühne vertrieben wurden, suchte das Publikum das Weite.
Frühkritik in SFB 3 am 26.7.1993
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2018 wurde die Inszenierung am Landestheater Linz originalgetreu rekonstriert.
Hierzu ein Zitat aus: http://theaterpur.net/nebenan/2018/09/linz-tristan.html
Heiner Müllers "Tristan" rekonstruiert
von Marieluise Jeitschko
Groß war die Empörung - bis hin zum legendären Weltstar Waltraud Meier, Bayreuths langjähriger Isolde - über Heiner Müllers einzige Opernregie, seine Inszenierung von Tristan und Isolde 1993 auf Einladung von Festspielleiter Wolfgang Wagner. Ein Faux-Pas auf dem Weg von Wagners hochromantischen Musikdramen in unser Heute?
Der politisch linkslastige Autor und Ost-Berliner Schauspielregisseur gestand seine Überforderung selbst ein. Von Waltraud Meier während der Proben mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei nicht vorbereitet, gab er freimütig zu, die Aufgabe unterschätzt zu haben. Als Shakespearesches Königsdrama lässt sich Wagners Liebestragödie eben nicht „mal eben“ umfunktionieren. Was Müller wollte, welche Ansätze er sah, beschrieb er damals in Notizen, die seine eklatante Hilflosigkeit gegenüber einem Meisterwerk musikalischer Bühnengeschichte und der Vielschichtigkeit der Aufgaben von Opernsängern zeigen. Heraus kam eine abstrakte, statuarische Inszene der mittelalterlichen Liebestragödie in der hintergründig nüchternen Geometrie aus Albers-Quadraten von Bühnenbildner Erich Wonder, die nun - 25 Jahre später - als wunderbar respektvoll den musizierenden Künstlern entgegenkommend am Linzer Landestheater erlebt werden kann.
Die Oper Lyon hatte die Idee, Müllers Inszenierung zu rekonstruieren und beauftragte dessen damaligen Assistenten Stephan Suschke mit der „szenischen Leitung“. Der ehemalige Dramaturg ist unter dem neuen Linzer Intendanten Hermann Schneider Schauspieldirektor und holte das oberösterreichische Musiktheater ins Boot. Die Premiere im hochmodernen, eleganten Haus fand, mit Übertragung auf Videoleinwand im angrenzenden Volksgarten, zum Saisonauftakt 2018/19 statt und wurde vom Publikum als Triumph der Musik und der Musiker gefeiert. Die Niederländerin Annemarie Kremer - gefeiert als Chio-Chio San in Puccinis Madama Butterfly in Essen und Dortmund sowie als dessen Tosca dort - beeindruckt bei ihrem Rollendebut durch das gleichmäßig hohe Niveau ihrer schönen, intonationssicheren Stimme. Heiko Börner, ebenfalls gastierender Debütant in der Rolle des Tristan, muss haushalten mit seinem Stimmmaterial und fasziniert erst wirklich (in der besuchten Vorstellung) im letzten Akt. Dass die weiteren Rollen aus dem Linzer Ensemble besetzt werden können, spricht für das hohe Niveau des Theaters. Der Wiener Klemens Sander macht bei seinem Rollendebut als spontan eingesprungener Kurwenal beste Figur.
Markus Poschner, Nachfolger von Dennis Russell Davies als GMD des Bruckner-Orchesters in der oberösterreichischen Donaumetropole, hatte bereits in seiner ersten Saison, unter anderem mit Richard Strauss' Frau ohne Schatten, überzeugt. Dass er und das Bruckner-Orchester auch Wagner „können“, beweist diese Produktion. Sogar eine Horntrompete, die Wagner im 3. Akt ursprünglich einsetzte, kommt anstelle von Schalmei oder Oboe zum Einsatz. Die Lautstärke des Orchesters ist gerechtfertigt durch ein Wagner-Zitat, das den Sängern „ein gelegentliches Durchschimmern“ zubilligt.
Optisch verlässt sich Regisseur Heiner Müller völlig auf das sparsame Lichtdesign von Manfred Voss und die Bühnenbilder des bildenden Künstlers Erich Wonder. In zwei Kubikeln bewegen sich und verharren im ersten Akt die Paare Isolde-Brangäne vorn und Tristan-Kurwenal hinten. Im zweiten Akt mit dem großen Liebesduett geistern die Liebenden durch Reihen von Kriegerpanzern wie über einen Soldatenfriedhof als Symbol für die Basis dieser Konstellation: König Marke lässt sich die Tochter des Erzfeindes als Siegestrophäe zuführen. Dass es hier nur um Krieg und Frieden geht, nicht um Emotionen ist allerdings eher unglaubwürdig, zumindest unvollständige Motivation. Dominik Nekel (König Marke) besingt denn auch mit berückendem Legato den Verrat von Tristan in seinem berührenden Lamento. Über der verdunkelten Szene schwebt vorher ebenso eindrucksvoll die zweifache Warnung Brangänes an die Liebenden „Habet acht!“ Der Amerikanerin Katherine Lerner, neu im Linzer Ensemble, gelingt ein eindrucksvolles Rollendebut.
Eine graue Müllhalde mit grau verstaubten Gestalten dominiert den letzten Akt. Tristan stirbt - und wie berückend musikalisch! Hier zeigt Heiko Börner, was in ihm steckt. Dass nach seinem Tod Annemarie Kremer ihren „Liebestod“ ebenso kraftvoll, klangschön und sicher intoniert, ergänzt den musikalischen Höhepunkt eines eindrucksvollen Musiktheaterabends. Diese musikbetonte Inszenierung geht also durchaus nicht als „Faux Pas“ in die Tristan- Aufführungsgeschichte ein.