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Dionysos contra Parsifal, Selbstentgrenzung contra Selbstverleugnung, Nietzsche contra Wagner
„Dionysos und Parsifal“ heißt ein neues Buch, in dem Jutta Georg-Lauer, Vorsitzende der Nietzsche Stiftung, jetzt dieser Beziehung zwischen Wagner und Nietzsche nachspürt! Dieter David Scholz hat es für uns gelesen!
Herr Scholz, Nietzsches Wagner-Verehrung war ja keineswegs von Dauer!
1.Was war das für eine turbulente Beziehung?
Na ja, das war eine Beziehung voller Euphorie, gegenseitiger Bewunderung und Idealismus - jedenfalls am Anfang dieser Freundschaft. Mit Siebzehn hat Nietzsche den Tristan studiert, sieben Jahre später ist er Wagner zum ersten Mal persönlich begegnet, im Hause von dessen Schwager Hermann Brockhaus in Leipzig. Und seit 1869 besuchte Nietzsche, inzwischen Professor in Basel, Wagner und Cosima in ihrem Haus in Tribschen am Vierwaldstätter See regelmäßig. Da entwickelte sich eine sehr herzliche, enge Freundschaft und Verbundenheit im Geiste. Wagner und Nietzsche waren beide an einer Revitalisierung der attischen Tragödienkunst interessiert. Wagner hat das in mehreren seiner theoretischen Aufsätze erklärt, dass sich sein Musikdrama auf das griechische Drama berufe. Das faszinierte Nietzsche. Da hatte man eine gemeinsame Vision. Und er schrieb mit dem Essay „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ eine Hymne auf Wagner. Der sich natürlich geschmeichelt fühlte. Er mochte diesen jungen Professor, auch wenn er etwas schrullig war. Und der konnte ihm und seinem „Kunstwerk der Zukunft“ dienlich sein, als Sprachrohr und als Propagandist. Man unternahm viel miteinander, man träumte von einer gemeinsamen Kulturerneuerung, zumindest zu Anfang dieser Beziehung. Aber spätestens als Wagner vereinnahmt wurde zum deutschen Staatsmusiker, wie Karl Marx das einmal so sagte, und Bayreuth zu einem nationalen wie touristischen Event, spätestens da waren Wagner – ein rebellischer Komponist, der sich nach Publikumserfolg sehnte, und Nietzsche – der immer einsamer werdende, seine Zeit geißelnde Philosoph - weit voneinander entfernt.
Ich würde eher sagen, am Anfang war man in einem Punkt einer Meinung, dem der Kulturerneuerung durch die Rückbesinnung auf das Tragische der Antike. Aber dann entwickelte man sich doch mehr und mehr voneinander weg. Nietzsche wurde immer beißender und sezierender, auch psychologischer und kompromissloser in seiner Kultur- und Zeitkritik, Wagner wurde Kult, wurde national vereinnahmt. - Hinzu kommt eine Sache, die meist übersehen oder nicht wichtig genommen wird, sie war aber wichtig, jedenfalls für Nietzsche. Nietzsche wollte von Wagner nicht nur als Schriftsteller und Bundesgenosse in der Revitalisierung der attischen Tragödie ernst genommen werden, sondern auch als Komponist. Er hat ja einige Stücke komponiert, er hat Wagner einiges davon vorgespielt, beispielsweise dien „Nachklang einer Sylvesternacht", den er Cosima zum Geburtstag schenkte. Wagner hat darüber nur herzhaft gelacht, er konnte das nicht ernst nehmen und hat Nietzsche unmissverständlich klar gemacht, dass er in Sachen Musik ein Dilletant sei und er, Wagner der Meister. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war klar, dass diese Freundschaft zumindest aus Sicht Nietzsches ein Missverständnis war. Sie war es auch in anderer Hinsicht, denn beispielsweise waren sich Wagner und Nietzsche in der Beurteilung der Judenfrage nicht einer Meinung. Auch war Wagners stark politische Seite, er war vom französischen Frühsozialismus stark beeinflusst Nietzsches Sache gar nicht. Aber diese Dinge schälten sich erst nach und nach heraus.
Also ganz konkret war es der Parsifal, den Nietzsche Wagner übelnahm. Von da an hat er sich gegen Wagner gestellt und seine berühmten, wunderbaren polemischen Antiwagnerschriften verfasst, die bis heute zum Besten gehören, was es an Kritischem über Wagner gibt. Nietzsche glaubte, Wagner sei im Parsifal vor dem Christentum in die Knie gegangen. Das war für ihn, den Kirchen- und Christenhasser ein Sakrileg. Nietzsche schrieb diesen Kniefall Wagners zu einem Großteil dem Einfluss von Wagners Gattin Cosima zu, die wirklich eine fanatische Katholikin, Antisemitin und Reaktionärin war. Und als Nietzsche seine Wagner-Polemiken in die Welt gesetzt hatte, da hat natürlich auch Wagner die Schotten dicht gemacht. Keiner wie Nietzsche hatte ihn so intim, so glasklar kennen gelernt, keiner wie Nietzsche hat den Finger so zielsicher an die Unzulänglichkeiten,Schwachstelle, an die neuralgischen Punkte der Wagnerschen Kunst gelegt. Nietzsche traf Wagner an seinen empfindlichsten Stellen. Spätestens nach der Publikation von „Menschliches, Allzumenschliches“ waren Wagner und Nietzsche erbitterte Feinde.
Welche Rolle spielt das Biographische, das Private denn hier?
Das Biographische war enorm wichtig, auch wenn Jutta Georg Lauer es vollkommen ausspart in ihrem Buch. Als Nietzsche und Wagner sich kennenlernten, da wurde Wagner für Nietzsche zu einer Art Vaterfigur. Wagner und Cosima wurden für ihn zu einer Art Familie, die er selbst ja nicht besaß. Zu Cosima besonders entwickelte eine sehr intime Beziehung. Sie wurde für ihn zu einer Idealfrau, die er stilisierte zur Ariadne, der er Gedichte schrieb. Dass er sie später so verachtete, mag seinen Grund in unerfüllten Wünschen gehabt haben. Also in dieser Freundschaft mit den Wagners war am Anfang neben weltanschaulicher Übereinstimmung auch sehr viel Gefühl mit im Spiel. Und Wagner, der ja auch ein guter Psychologe war, hatte natürlich den Menschen Nietzsche durchschaut. Und dann geschah etwas, was Nietzsche als wie er sagte „tödliche Beleidigung“ auffasste: Wagner hat offenbart dem Arzt Nietzsches, Dr. Eiser gegenüber geäußert, die schlechte Gesundheitsverfassung Nietzsches rühre von zu häufigem Onanieren her. Nietzsche müsse endlich heiraten. Nietzsche erfuhr durch Indiskretionen davon und war außer sich. Das hat er Wagner nie verziehen. Und hat bis nach Wagners Tod öffentlich jedenfalls nur noch Hasstiraden gegen Wagner in die Welt geschleudert. In Briefen an Freunde hat er allerdings bis zuletzt bedauert, der Freundschaft Wagner verlustig gegangen zu sein. Wagner sei „der vollste Mensch“, gewesen, den er kennengelernt habe in seinem Leben, schrieb Nietzsche an Franz Overbeck 1883, also wenig Tage nach dem Tode Wagners. Aber wie gesagt, Jutta Georg-Lauer klammert das ganz aus. Sie geht ausschließlich philosophisch und ideengeschichtlich an Wagner und Nietzsche heran.
Nein, dazu ist sie viel zu sehr akademische Philosophin. Sie ist ja Professorin dieses Fachs an der Universität Mainz. Und sie konzentriert sich ganz auf die theoretische Herausarbeitung des Gegensatzes von Dionysos, dem Gott des Rausches und "Parsifal“ als Inbegriff der Selbstverleugnung. In zehn Kapiteln konzentriert sie sich auf die zentralen Berührungs- und Entfremdungspunkte Wagners und Nietzsches: also beispielsweise das gemeinsame Ideal der attischen Tragödie, Schopenhauers Willlensmetaphysik, Wagners Entwicklung vom Revolutionär zum Propheten einer kulturellen Regeneration, auf den Parsifal-Konflikt, auf die Idee der Bayreuther Festspiele und das Verhältnis von Wort- und Tonsprache. Das alles ist sehr gelehrt, sehr kenntnisreich, aber doch in so hölzernem und hochgestochenen Gelehrtenjargon geschrieben, dass die Lektüre wohl nur studierten Philosophen wirklich leicht fallen dürfte.
Auch setzt das Buch sehr gute Wagner- und Nietzschekenntnisse voraus. Das Steckenpferd der Autorin ist die philosophische Figur des „Noch einmal“, die sie bei beiden herauspräpariert, bei Nietzsche im Gedanken an die ewige Wiederkehr des Gleichen, bei Wagner in der Selbstversagung und Reinigung der Triebe und Affekte. Das alles ist nicht leicht zu verstehen und zu verdauen. Aber immerhin gelingt es Jutta Georg-Lauer, das intellektuelle Missverständnis Wagners und Nietzsches als Gegensatz zweier ästhetischer Positionen auf den Punkt zu bringen: Nietzsche vertrete das Dionysische, Wagner das Parsifaleske. Selbstentgrenzung stehe Selbstverleugnung gegenüber, Zarathustra Parsifal. Die Kunstbegriffe Nietzsches und Wagners seien unvereinbar: Hier Kunst als Rausch und Ekstase, dort Kunst als Religion und Religionsersatz. Das ist die Quintessenz des Buches.
Und wenn man es vor dem Hintergrund der in knapp einer Woche beginnenden Bayreuther Festspiele liest, dann liest man mit einer gewissen Genugtuung in diesem Buch die Warnung Nietzsches vor der „Tyrannei des Zeitgemäßen“. Das wäre doch ein Denkanstoß für die heutigen Herrinnen von Bayreuth. Vielleicht sollte man ihnen das Buch zur Lektüre empfehlen.
Dieter David Scholz war das! Über „Dionysos und Parsifal“ von Jutta Georg-Lauer, erschienen bei Königshausen & Neumann, 148 Seiten, kostet 24,80! Sie können alles im Internet nachlesen unter dradio.de!
Buchkritik in DLR Kultur ,Berlin Freitag, 15.07.2011: