Korngolds "Tote Stadt" in Venedig

Brügge ist Venedig ist eine "Tote Stadt"


Pier Luigi Pizzis schaurig-schöne Spiegelung der todessüchtigen Welterfolgsoper Erich Wolfgang Korngolds in der Serenissima


Teatro La Fenice 2009

Photos: Teatro La Fenice / Michele Crosera

Korngold in Venedig

Pizzis prachtvoll-schöne Phantasmagorie der "Toten Stadt"

im La Fenice 2009


Heute ist der Komponist Erich Wolfgang Korngold den meisten wohl nur noch als einer der großen Hollywood-Komponisten geläufig. Dass er als 23-Jähriger auf Anhieb einen der größten Opernerfolge des zwanzigsten Jahrhunderts landete, ist weithin vergessen. Nachdem er 1938 in die USA emigriert war, und seine Musik von den Nationalsozialisten verboten wurde, konnte er nach dem Zweiten Weltkrieg als Opernkomponist in Europa nicht mehr an seinen frühen Sensationserfolg anknüpfen. Noch immer ist jede Wiederaufführung seiner Oper „Die Tote Stadt“ eine Ausgrabung, die zu besichtigen sich lohnt. Die jüngste fand vergangenes Wochenende (23.01.09) in Venedig statt.




"Die tote Stadt" war bei ihrer Uraufführung 1920 ein durchschlagender Erfolg. Und wurde binnen eines Jahres schon an allen wichtigsten Bühnen der internationalen Opernwelt nachgespielt. Erstaunlicherweise ist jetzt erst, mit 89 Jahren Verspätung, die Oper auch im  traditionsreichen Teatro La Fenice angekommen, nach dem verheerenden Brand des Hauses 1996 und seiner detailgetreuen Wiederauferstehung 2003. 


In Erich Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt" ist viel die Rede von Wasser, Kanälen, engen Gassen und dunklen Kirchen. Venedig wird im Libretto sogar einmal erwähnt, auch wenn der Handlungsort der Oper die belgische Stadt Brügge ist, eine – wie Venedig - in ihrer Vergangenheit konservierte, ihre alte Schönheit vor jeder hässlichen Moderne abschottende Stadt im Wasser. Mit einer faszinierend eklek-tischen Musikmischung aus Parsifalglocken- und Pelléas-Klängen, aus Spätromantik und Impressionismus hat Korngold das Stück ausgestattet und damit demonstriert, dass er als Komponist auf der Höhe seiner Zeit war und Alexander Zemlinsky, Franz Schreker und Richard Strauss durchaus das Wasser reichen konnte.


Die Geschichte der Oper „Die tote Stadt“ , zu der Korngolds Vater, der berühmt gefürchtete Wiener Musikkritiker Julius Korngold unter dem Pseudonym Paul Schrott das Libretto schrieb, erzählt frei nach Georges Rodenbachs Roman „Bruges-la-Morte“, ist wie gemacht für eine Spiegelung in Venedig. Es ist die Geschichte eines Mannes namens Paul, der sich nach dem Tod seiner geliebten Frau in die Tote Stadt  zurückgezogen hat, um sich dort zwischen alten Mauern und Grachten, vom realen Leben unbehelligt, einer Traumexistenz hingeben zu können. Sein Wohnhaus hat er zur „Kirche des Gewesenen“ ausgestattet, wie seine Haushälterin Brigitta dem Hausfreund Frank mitteilt. Mit alten Erinnerungsstücken, Bildern, Kleidern und einer Haarlocke betreibt Paul einen Kult der Vergangenheit, um allein zu bleiben mit seiner toten Frau.


Diesen Totenkult zeigt Pier Luigi Pizzi, Altmeister der italienischen Regisseure und Bühnenbildner, in einem mit schwarzen Vorhängen, schweren Plüschkissen, Silberkandelabern und Reliquien der Verstorbenen angefüllten Raum, der Friedhofskapelle und Boudoir zugleich ist. Im Hintergrund eine Wand aus schwarzen Spiegeln, in der sich der ganz mit Wasser gefüllte Bühnenboden spiegelt, aber auch vorbeiziehende plastisch gebaute Häuser und Kirchtürme Brügges, tanzende Nonnen, ein Karnevalszug mit Arlecchino und großer schwarzer Gondel und schließlich eine surrealistische Prozession skurriler kirchlicher Würdenträger in rotem Licht zu einem der eindrucksvollen sinfonischen Zwischenspiele.


Auf seinen Spaziergängen lernt Paul die Tänzerin Marietta kennen, die seiner verstorbenen Frau äußerlich aufs Haar gleicht, von ihrem Wesen allerdings ganz anders ist. Brügge ist für sie ein „totes Nest mit seiner düstern Starre“, und nur aus Gefälligkeit singt sie, die Übermütige, für Paul ein trauriges Lied, sie nennt es „ein dummes Lied“, das aber zum Evergreen der Oper wird. Es ist der letzte deutsche "Opernschlager", der  Weltruhm erlangte! Solveig Kringelborn leiht Marietta ihre Stimme. Leider ohne jenen sängerischen Zauber, mit dem einst eine Lotte Lehmann diesen Hit weltberühmt machte.


Paul, der sich in Marietta als Widergeburt seiner Frau verliebt, gerät in den Konflikt zwischen Realität und Traum, den er nur dadurch zu lösen vermag, dass er Marietta mit der Haarlocke seiner Frau erwürgt. Doch anders als im Roman ist dieser Mord in Korngolds Oper nur ein Tagtraum. Zwei Drittel der Oper nimmt er ein. Am Ende erkennt Paul, dass er, wenn er  ins Leben zurück will, von der Vergangenheit Abschied nehmen muß. Und er verlässt mit seinem Freund Frank Brügge, die Stadt des Todes. Stefan Vinke singt in Venedig den Paul, leider im ganz und gar falschen, heldenhaften Wagner-Format ohne alle Wort-Verständlichkeit, mit der einstens ein eleganter Operettentenor wie la Richard Tauber triumphierte. 


Auch wenn mit Stefan Vinke und Solveig Kringelborn keine adäquaten Sänger zur Verfügung standen, die „Tote Stadt“ angemessen auf-zuführen, beide haben nur auf Lautstärke, stattt auf  Poesie, Wortsinn und Wortverständlichkeit gesetzt, so haben immerhin Stephan Genz als Frank und Christa Mayer als Haushälterin Brigitta jene Gesangskultur bewiesen, die gefragt ist. Und Eliahu Inbal hat mit dem sehr gut  disponierten Orchester des Teatro La Fenice das schillernd sich Überlagernde, Vielfältige und doch durchaus Eigene der Musik Korngolds mit vollen Zügen, aber auch aller nötigen Kompetenz und handwerklichen Präzision ausgekostet. Er hat Korngolds klangüppigen Werk damit alle Ehre erwiesen.


Obwohl der hochverehrte Ausstattungs- und Opernregiealtmeister Pier Luigi Pizzi die psychologische Analyse des Stücks und die allegorische Gleichsetzung von Brügge und Venedig nur andeutete, schon gar nicht zu aktualisierenden Betrachtungen über die Tote Stadt und die bis heute von der Vergangenheit lebende Serenissima, so muß doch seine prachtvolle, schaurig-schöne Bebilderung der Oper angesichts der vielen (gesehenen) häßlichen Werkverunstaltungen des Werks durch Taten des sogenannten „modernen Regietheaters“ als eine geradezu wohltuende Produktion bezeichnet werden. Der Beifall des Publikums sprich tfür sich.


 


SWR 2 Musik aktuell, Freitag 30.01.2009