Herheims Götterdämmerung

Foto: Deutsche Oper / Bernd Uhlig

Stefan Herheims Götterdämmerung in Berlin: Kofferrücken, Karikatur eines Wagnertenors und Putzfrau 

 

 

Nun ist er also in der Gegenwart angekommen, der neue „Ring“ von Stefan Herheim. Noch vor dem dritten Teil "Siegfried" gab es – coronabedingt – nach einem halbszenischen „Rheingold“ im Parkhaus und einer „Walküre“ in der Deutschen Oper Berlin nun die Premiere des vierten Teils – die "Götterdämmerung". Die Flüchtlinge der Walküre sind inzwischen sesshaft geworden als gegenwärtige Spaßgesellschaft, die sich am liebsten mit Jubeln, Konfettiwerfen und Sekt-Zuprosten beschäftigt. Auf der Bühne sieht man - akribisch nachgebaut - das Parkett-Foyer der Deutschen Oper Berlin mit der düsteren Holzwand und der kinetischen Metallskulptur des Künstlers George Baker.


Die Menschen auf der Bühne, darunter Dutzende von Statisten, sind gekleidet wie das Publikum der Deutschen Oper heute. Als Kontrast wird das Koffergebirge, das man schon aus Herheims Walküre kennt, immer wieder auf der Hinterbühne herangefahren, darauf historisch kostümierte Germanenmenschen- und -Götter mitsamt Wotan. Die beiden Ebenen durchdringen sich immer wieder. Die Holzwand öffnet sich dank diverser Türen, der Plastik von Baker nachgebildete Quasi-Wolken mutieren zu Baumkronen eines Waldes, Licht (Ulrich Niepel) tut ein Übriges zur Stimmungserzeugung im tristen Einheitsraum: Grün, Rot vor allem, flimmernde Sonnenstrahlen und blau wogende Wasserwellen (Videos Torge Meller).


Wichtigstes Requisit der langatmigen Inszenierung ist ein Konzertflügel, der als Brünnhildenfelsen dient, als Aufbahrungsort Siegfrieds und Selbstopferungsstätte der abtrünnigen Wotanstochter, die am Ende Götter und Menschen, Natur und Welt erlöst.  Absurderweise setzt sich immer mal Jemand an den Flügel und haut in die Tasten. Zweitwichtigste Requisiten sind weiße Tücher, auf denen Menschen hereingezogen, in die Menschen eingepackt und wieder ausgepackt, weihevoll ummantelt und dekoriert werden, und auf die schließlich Wasser und Flammen projiziert werden.


Verhüllen und Enthüllen ist eine der Konzeptionsideen Herheims, so wie Ausziehen (bis auf die weiße Unterwäsche) und wieder Anziehen. Weiße Wäsche soll offenbar das „Reinmenschliche“ markieren, um es mit Wagner zu sagen, Gekleidetsein (ob nun in historischen oder modernen Kostümen) die dekadente Zivilisation, an der der „Ring“ ja bekanntermaßen Kritik übt. Ein ständiges hin und her. Massenchoreogaphien der Statisten mit Ringelreihen und Händeflattern à la Eurythmie durchziehen den langweiligen und erschreckend wenig sagenden Abend. Überhaupt darf viel gebarmt, opernhaft gestikuliert, an der Rampe gesungen und gespielt, herumgekrochen, getänzelt und gefuchtelt werden. Fragwürdig sind die Kostüme von Uta Heisecke. Völlig überflüssig sind die Killerclown-Masken (dem Joker in Christopher Nolans Superheldenfilm The Dark Knight nachempfunden), von anderen Regiegags zu schweigen. Der Inszenierung mangelt es an gutem Geschmack, Plausibilität, gedanklicher Tiefe oder gar politischen Tiefenschärfe.


Dass der bereits erschlagene Siegfried von Hagen mit dem Siegfriedschwert auch noch enthauptet wird ist nicht so peinlich wie die Kostümierung des kleinwüchsigen, außerordentlich korpulenten Helden mit Brustpanzer, Schwanenflügelhelm, überkreuz hochgebundenen Lederriemen an den Beinen und blonder Langhaarperücke: Ein Rittertrottel, die Karikatur eines Wagnertenors. Man denkt unfreiwillig an Obelix. Ein schlechter Witz. Er raubt der Tragödie alle Glaubwürdigkeit.  Lächerlich ist aber auch das Ende. Nach der Verbrennung Brünnhildes, die man freilich hinter der kreisenden Masse der Statisten, die eingenebelt und rot beleuchtet werden, nicht sieht,  gehen die entkleideten Germanen und das Opernpublikum von der Bühne. Hoffnungsblaue Lichtstrahlen dringen durch den rotilluminierten Himmel, die Bühne wird radikal leergeräumt, desillusioniert, Arbeitslicht geht an, Beleuchtungsbatterien fahren mal herunter, dann wieder herauf, die vollgerümpelte Hinterbühne wird in desillusionierendem Arbeitslicht sichtbar, eine Putzfrau kehrt zu den schönsten Takten der finalen Erlösungmusik den hinterlassenen Dreck von der Bühne und alle Fragen bleiben offen. So kann man sich auch um eine eindeutige Interpretation herumdrücken. Dass ein großer Teil Publikums darüber „not amused“ war, verwundert nicht. Es gab viele Buhs.


Leider war der Abend auch musikalisch uninspiriert und alles andere als ein Sängerfest. GMD Donald Runnicles erging sich in Langsamkeit und Routine, was nicht gerade vom Hocker riss, er setzte mehr auf wattierten Klang als auf Dramatik und geschärfte Durchhörbarkeit der Strukturen. Die Polyphonie der Wagnerschen Musikpsychologie verwässerte. Der erste Akt allein brauchte zwei geschlagene Stunden, dann endlich kam der Maestro etwas in Fahrt. Dennoch hat man die Ring-Musik schon weit beeindruckender gehört.


Aber auch die sängerischen Leistungen lassen zu wünschen übrig: Die Schwedin Nina Stemme, eine der gefeiertsten Hochdramatischen weltweit, hat ihren Zenit hörbar überschritten und setzt bei Ihrer Brünnhilde vor allem auf angestrengte Trompetentöne ihres abgedunkelten Soprans. Das ist nicht immer schön und oft wortunverständlich. Von ihrer unvorteilhaften Kostümierung in kurzem, weißem Nachthemd nicht zu reden. Ihr Schlussgesang war immerhin kultiviert. Clay Hilley, der schwergewichtige, junge US-amerikanische Tenor, der als zukünftiger Super-Wagnerheld mit reichlich Vorschusslorbeeren bedacht wurde, beglückte mit phänomenalen Spitzentönen, mit  Schmettern und Stemmen aber nicht wirklich. Schon seine Erscheinung auf der Bühne (das hat die Regie zu verantworten) sorgte eher für Komik als Glaubwürdigkeit, stimmlich wie darstellerisch. Zumindest in seiner Sterbeszene zeigte er aber, dass er auch leise, beseelt und wortverständlich singen kann. Der amerikanische Bariton Thomas Lehman überzeugte hingegen durchweg stimmschauspielerisch als Gunther (in verblüffender Laschet-Ähnlichkeit). Gidon Saks (als Hagen) ließ sich als indisponiert ankündigen.  Das kann passieren, aber sein katastrophaler stimmlicher Ausfall beschädigte bedauerlicherweise die Aufführung sehr. Man hätte ihn austauschen sollen. Die Estin Aile Asszonyi enttäuschte weniger durch ihre korpulente optische Erscheinung als durch ihre ungenaue und unschön gesungene Gutrune. Okka von der Damerau als Waltraute war immerhin stimmlich erfreulich, auch wenn man schon weit bessere Interpretinnen der Partie selbst an kleineren Häusern hörte. Jürgen Linn (als etwas polternder Alberich) sang durchaus rollendeckend. Anna Lapkovskaja, Karis Tucker und Meechot Marrero waren als Nornen und Rheintöchter geradezu superb. Chor und Extrachor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Jeremy Bines) sind eine zuverlässige Größe des Hauses, auch wenn sie diesmal zu sehr nur auf Lautstärke setzten.


Fazit: Der Abend war eine sechseinhalbstündige Strapaze. Dieser „Ring“ – soweit er sich derzeit präsentiert - ist so missraten wie überflüssig.


Kritik auch in "Oper & Tanz"