O. G. Bauer Geschichte der Bayreuther Festspiele

Bewundernswerte Dokumentation des "verlorenen Paradieses"

Bayreuth

Oswald Georg Bauer: Die Geschichte der Bayreuther Festspiele


Deutscher Kunstverlag

2 Bände, 1456 Seiten, 128,00 Euro                     


Mit der Uraufführung der kompletten Nibelungentetralogie 1876 begannen die ersten Bay-reuther Festspiele, die von Richard Wagner ins Leben gerufen wurden und bis heute von sei-nen Nachkommen geleitet werden. Der Theaterwissenschaftler Oswald Georg Bauer stellt die wechselhafte Geschichte der ältesten Opernfestspiele der Neuzeit, die immer wieder natio-nalistisch und propagandistisch vereinnamt wurden, akribisch dar, vor allem, was das Künst-lerische angeht. Er klammert allerdings auch die politischen Verstrickungen Bayreuths und der Wagner-Nachommen nicht aus. Als langjähriger Mitarbeiter der Bayreuther Festspiele hatte er, vom damaligen Festspielleiter Wolfgang Wagner um die Anfertigung dieses chro-nistischen Mammutunternehmens gebeten, ungehinderten Zugang zu allen Archiven Bayreuths. Aber er hat in jahrzehntelanger Fleissarbeit auch zahlreiche  Archive aus dem Rest der Welt durchforstet, private  Nachlässe gesichtet und viele Künstler, Regisseure und Dirigenten der jüngeren Festspielgeschichte noch selbst befragt. Was den wohl dienstältesten Wagnerkenner und -Experten Oswald Georg Bauer auszeichnet ist, dass er über immense Quellenkenntnis verfügt  und über ein gigantisches Pressearchiv, woraus er reichlich schöpft und damit seine übersichtlich gegliederte, chronologische Darstellung der Festspielgeschichte bereichert. Sie beginnt mit Wagners erster Idee im Jahre 1850 und spannt einen Bogen vom Bau des Fest-spielhauses über die ersten Festspiele1876, Alt- und Neubayreuth bis zum Ende der Ära Wolfgang Wagners. Das Jahr 2000 mit seiner begin-nenden Nachfolgesuche für den zum Rücktritt etschlossenen und aufgeforderten Festspiel-leiter war eine Zäsur, mit der Bauers detaillierte Geschichte der Festspiele endet. Was danach kam, hat er summarisch dargestellt.


Im Jahre 2001 stand zum letzten Mal Wolfgang Wagners sich allem sogenannten Regiethea-ter bewusst widersetzende Parsifalinszenierung auf dem Programm.  Für sie wurde der Re-gisseur als altbacken, als unzeitgemäß, ja als reaktionär gescholten, wie Bauer  zitiert. Aber er weist darauf hin, dass Wolfgang Wagner - im Gegensatz zu seiner Tochter Katharina, die  heute die Festspiele leitet - zeitlebens ein Skeptiker gewesen sei, der allem Zeitgeist und Mainstream kritisch gegenüber gestanden habe. Wie Wolfgang Wagner dem Autor anvertraut habe, sei gerade seine Parsifalinszenierung als sein "künstlerisches Vermächtnis" zu betrach-ten.


Dass er den Parsifalschluss als "verlorenes Paradies" inszenierte,  mag man als weise  Voraus-sicht auf die Zeit nach ihm verstehen. Oder auch nicht. Es ist jedenfalls erstaunlich, was man aus dem Munde Wolfgang Wagners so alles erfährt in dem Buch seines langjährigen Mitar-beiters Oswald Georg Bauer. Der verleugnet seine Anhänglichkeit an den viel kritisierten, in mancher Hinsicht aber auch ungerecht bewerteten, ja unterschätzten Fetspielleiter  nicht. Wa-rum auch. Nur wofür man brennt, kann man sich derart engagieren. Bauer hat eine bewun-dernswerte, eine konkurrenzlose Gesamtschau von Richard Wagners Festspielutopie und ihrer Realisierung durch drei Generationen seiner Erben vorgelegt. Er lässt souverän historische Fakten, unternehmensrelevante, familiäre und künstlerische Ereignisse, vor allem aber Insze-nierungen Revue passieren.


Die beiden Bände sind äußerst leserfreundlich geschrieben, aber auch theaterwissen-schaft-lich präzise und fundiert. Die Bebilderung ist schlichtweg überwältigend. Eine außergewöhn-liche Publikation, die ihren außergewöhnlichen Preis wert ist.


Vom schleichenden Niedergang der Festspiele seit Wolfgang Wagners Tod will Bauer in seiner Nibelungentreue und Diskretion allerdings nicht sprechen. Aber die Fakten sprechen für sich. 


Beitrag auch in MDR Kultur