Turandot Stölzl

Foto: Matthias Baus


Turandot als Parabel über Diktatur und Lüge, Verdummung und Verführung als Werkzeug des  Populismus.


Ein gruslig-kulinarisches Puppenspiel-Theaterfest und Opernereignis


Staatsoper Berlin, Premiere 18.06.2022

 

Das erst zwei Jahre nach Puccinis Tod, 1926 (von keinem Geringeren als Arturo Toscanini) in Mailand uraufgeführte Werk, frei nach dem Stück des venezianischen Dramatikers Gozzi, die letzte und unvollendete Oper Puccinis, zu der Franco Alfano den Schluss nachkomponierte, bleibt bis heute unglaubwürdig, rätselhaft und doch faszinierendes Fragment, ein Stück des Nicht mehr und Noch nicht zwischen Verismo und Faschismus, Operette und Filmmusik, Hollywood und Gabriele D`Annunzio.


Der Regisseur Philipp Stölzl misstraut denn auch der Handlung und Fabel dieser Oper. So, wie es in der Partitur steht, „kann man es heute schlicht nicht mehr erzählen,“ bekennt er. Deshalb zeigt er assoziatives, traum- und albtraumartiges Theater aus dem Geist des Expressionismus, Surrealen und Symbolistischen. Er zeigt parabelhaft eine zweifache Obsession, die Kalafs und Turandots. Es sind Obsessionen eines hoffnungslos grotesken Liebessuchenden und einer eisumgürteten Männermörderin und Liebesverweigerin. Zentrale Metapher der Inszenierung ist eine riesige, die Bühne beherrschende Puppe, die wie eine Marionette von Strippenziehern aus dem Volk von Peking bedient und verlebendigt wird. Man denkt unfreiwillig an Stölzls „Rigoletto“ bei den Bregenzer Festspielen, dessen Hauptattraktion ja auch eine gigantische Puppe war. Die Turandot-Puppe ist sowohl Symbol einer Diktatur wie eines inszenierten Kults, einer Art Religion, die nach Menschenopfern verlangt und nach hartem polizeistaatlichem Durchgreifen der Sicherheitsorgane. Beides wird gezeigt, schreckliche, blutrünstige Morde (die grausamsten unter der Krinoline der Puppe), aber auch an Mao-Militärparaden erinnernde Massenszenen, abwechselnd mit fast musicalhaften, ja expressionistischen Szenen von suggestiver Farbpacht und Beleuchtung (Philipp Stölzl und Irene Selka). Auch gibt es gespensterhafte Prozessionen von Mordopfern. Ein gruslig-kulinarisches Theaterfest, ein spektakuläres Opernereignis ohne Frage. Eindrucksvoll, wie Stölzl (Mitarbeit Regie Philipp M. Krenn, Mitarbeit Bühnenbild Franziska Harm) Kult als politische Erfindung der Herrschenden zeigt. Wenn sich der Rock der Riesenpuppe hebt, gähnt nichts als gähnende Leere, wenn darunter nicht gerade Morde geschehen, Schädelberge sichtbar werden oder schließlich die echte Turandot im selben Outfit wie die Puppe, mit enormer Krinoline, eingeschnürt in sinnenfeindliche Stoffmassen. Mit dem Lösen des Rätsels wird die Puppe demontiert, demaskiert, skelettiert zu einer geschlechtslosen sechsbeinigen (-händigen) Totenkopfspinne. Das alles ist, wenn auch gelegentlich etwas plakativ und grell, so doch bewundernswert in Szene gesetzt, organisiert und illuminiert, ein Kompliment an Regiehandwerk und Bühnentechnik, Stunts (die halsbrecherischer Aktionen) vollführen und Statisterie.


Der Gesamtkunstwerker Stölzl (Regie, Bühnenbild und Beleuchtung) zeigt ein „Stück über eine brutale Diktatur und Lüge, Verdummung und Verführung als Werkzeug eines Populismus. Ein leider sehr aktuelles Thema.“ So schreibt Stölzl im Programmheft. Das darzustellen, ist ihm wahrlich gelungen. Die Psychologie des Stücks, die (zugegeben) unglaubwürdige Wandlung der „eisumgürteten Prinzessin“ zur liebenden, traumatisierten Frau bleibt indes auf der Strecke. Bei Stölzl stirbt die bis aufs Krinolinengerüst entkleidete, dicke, glatzköpfige und nicht eben fraulich anmutige Herrscherin einfach so vor sich hin, nach ihrem ersten Kuss. Und alle Fragen bleiben offen. Da war die kürzlich in Hamburg zu sehende Inszenierung von Mona Kim wesentlich einleuchtender.


Dennoch muss man von einer spektakulären Produktion sprechen, auch wegen superben Sängerbesetzung: Die russische Sopranistin Elena Pankratova singt eine superlativische, staunenerregend trompetenhaft souveräne, monströse Prinzessin Turandot. Siegfried Jerusalem (der ehemalige Wagnertenor) leiht die brüchigen Reste seiner Stimme (überzeugend) der kleinen ehrwürdigen Partie des Kaisers von China, Altoum. Umso eindrucksvoller singt der aserbaidschanische Netrebko-Gatte Yusif Eyvazov mit imposanter Stimm- und nahezu beispielloser tenoraler Strahlkraft den unbekannten Prinzen Calaf, den um Turandot erfolgreich Werbenden, der ihre drei Rätsel lösen kann Prinzen.  René Papes Timur (entthronter König der Tartaren) verströmt edelste Basstöne.  Die sich aus Liebe zu Kalaf selbst tötende Sklavin Liu der russisch-österreichischen Sängerin Aida Garifullina ist ebenfalls eine Stimmschönheit und die Idealbesetzung einer großen und doch lupenreinen lyrischen Sopranistin.

Auch die drei Minister (Großkanzler, Großinspektor und Küchenmeister), Ping, Pang und Pong mit obligaten Melonen auf dem Haupt (Gyula Orendt, Andrés Moreno Garcia, Siyabonga Maqungo) sind vorzüglich, ebenso der virile Mandarin von David Ostrek. Ein rundum überzeugendes, geradezu festpielwürdiges Sängerensemble. Zuverlässig wie immer sind Staatsopernchor, Kinderchor der Staatsoper (Einstudierung Martin Wright) und Staatskapelle Berlin. 


Musikalisch ist die Aufführung trotz einiger Ungenauigkeiten und Koordinations-Probleme zwischen Graben und Bühne vor allem monumental und (nicht selten) ohrenbetäubend laut. Der von Alter und Krankheit gezeichnete, immer noch auratische Star-Maestro Zubin Mehta (86) kennt das Werk wie kaum ein anderer. Aber er vermag nicht mehr, wie in seinen früheren „Turandot“-Produktionen in aller Welt, einen klaren, transparenten, brillanten Spagat zwischen großer italienischer Oper und schroffer Moderne, asiatischen Anklängen und rhythmisch aggressiver Überrumpelungs-Musik à la Strawinsky hinzulegen. Da bleibt Manches auf der Strecke, sinkt immer wieder ab ins Kraftlose, Harmlose und Routinierte. Schade, Man hat diese Oper von Zubin Mehta schon anders gehört. Ist es Altersstil oder Nachlassen der Kräfte, dass er inzwischen (auch bei seinem letzten „Tristan“ war es zu beobachten) so langsam, breit, ohne jugendliches Feuer und ohne Spannkraft dirigiert, eher im Sinne eines Zelebrierens als Auslotens. Ja, ja: „die Zeit die ist ein sonderbar Ding.“ Aber das ist ein anderes Stück. Wie auch immer, ein großer Abend diese „Turandot“ von Stölzl und Mehta an der Lindenoper!



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