Musik-Theater & mehr
Photo im Besitz von Dieter David Scholz,
Geschenk/Widmungsexemlar von E. Schwarzkopf
"Musik ist eine heilige Kunst"
"Ich will diesen Fall Karajan nicht berichtigen, weil er so schrecklich ist, daß ich es gar nicht veröffentli-chen darf. Wir haben viele Dinge zusammen gemacht, die gültig sind und ich will diesen schönen Ein-druck nicht so vernichten, wie er vernichtet würde, wenn ich in diesem Falle einmal die Wahrheit sagen würde."
"Wir waren nicht vom Leben verwöhnt"
Grande Dame und Hohepriesterin des deutschen Gesangs
Zum Tode Elisabeth Schwarzkopfs nach Einsamkeit, Angst,
Leugnung der Nazi-Vergangenheit und Verbitterung
Eine ganz persönliche Begegnung mit der großen Sängerin (1995).
Ein Nachruf am 4. Januar 2012
Die „helle Schwester der Callas“ wurde sie genannt, obwohl oder gerade weil ihre Gesangshaltung und ihr Bühnentemperament dem der griechischen, dunkel timbrierten Passionara diametral entgegengesetzt war. war. Konnte die Callas aus historischen Opernfiguren dramatisch exaltierte Menschen aus Fleisch und Blut hervorbringen, so verwandelte die blauäugige, blonde Elisabeth Schwarzkopf Bühnenpersonen in artifizielle Kunstgebilde von subtilsten Klangeigenschaften. Ihr silberner Sopran, ihre perfekte Gesangstechnik, äußere Schönheit und Bühnenpräsenz zeichneten sie schon früh aus. 1938 debütierte sie am Deutschen Opernhaus Berlin als Blumen-mädchen im „Parsifal“. 1972 hat sie sich nach langer erfolgreicher internationaler Karriere von der Opernbühne zurückgezogen, 1979 gab sie ihren letzten Liederabend. Danach widmete sie sich ausschließlich der Sängerausbildung. Ihre öffentlichen Masterclasses waren so gefragt wie gefürchtet. Der Perfektionierung des Singens hat sie ihr Leben geopfert, auch und vor allem ihr privates. In ihrer eisernen Selbstdisziplin, ihrem Vollkommenheitsstreben und Fleiss war sie unerbittlich gegen sich selbst und andere. Sie war eine Autorität des Gesangs. Musik war für sie eine „heilige Kunst“. Elisabeth Schwarzkopf war die letzte Hohepriesterin der Musik als Kunstreligion. Im österreichischen Schruns, wo sie zuletzt lebte, ist sie im Alter von 90 Jahren gestorben, die am 9. Dezember 1915 in Jarotschin (Posen) geborene Olga Maria Elisabeth Frederike Schwarzkopf.
Ich hatte das größte Blumenbouquet meines Lebens gekauft. Die Fahrt ging nach Zumikon, wo Elisabeth Schwarzkopf bis 2002 lebte und nach ihrem Tode auch einmal beerdigt werden würde. Es war das Haus, das sie noch mit Walter Legge, ihrem 1979 verstorbenen Ehemann bezogen hatte. Ich hatte viele Anläufe unternommen, sie in ihrem schweizerischen Exil aufzusuchen. Immer hatte sie im letzten Augenblick ein Fax mit einer Absage geschickt. Auch diesmal war es so. Aber ich hatte ihr zuvor bereits auf den Anrufbeant-worter gesprochen, dass ich mich auf Sie freue und bereits auf dem Weg zum Flughafen sei. Angekommen in Zürich fuhr mit dem Taxi in den kleinen Ort oberhalb des Zürichsees. Eine Hausangestellte öffnete mir nach mehrfachem Klingeln zögerlich die Türe des unauf-fälligen Sechzigerjahrebaus. Die gnädige Frau sei noch nicht zu sprechen. Ich durfte eintreten. Gemeinsam suchten wir nach passenden Vasen und arrangierten das Gebinde an einem dekorativen Ort des neobarocken Musiksalons der 50er/60er Jahre. Ich befand mich in einem Museum der Erinnerungsstücke und Devotionalen. Es glich einem Mausoleum. Von den Wänden blickte mich aus unzähligen Porträtfotos Walter Legge an. Ein Flügel stand im Mittelpunkt. Eine theatralisch geschwungene Freitreppe führte in den ersten Stock. Nach einer halben Stunde klingelte ein Glöckchen. Die Haushälterin wurde unruhig: „Die gnädige Frau kommt, die gnädige Frau kommt.“ Ich freute mich aufrichtig, die längst zur lebenden Legende erstarrte Sängerin endlich leibhaftig vor mir zu sehen. Eine rundliche, kleine Dame, die Haare zum Knopf zusammengebunden, kam im getigerten Chiffonkleid, mit perfektem Bühnenlächeln die Treppe herabgeschwebt. Ich ging auf Sie zu und streckte ihr meine Hand zur Begrüßung entgegen. „Um Gottes willen, fassen Sie mich nicht an, ich bin eine Sängerin. Dort ist die Toilette. Waschen Sie sich erst einmal die Hände“. So begrüsste mich Elisabeth Schwarzkopf.
Das Match war eröffnet. Sie war eben eine Primadonna, man hatte mich gewarnt. In einem Anflug von Schlagfertigkeit entgegnete ich „Liebe Frau Schwarzkopf, ich komme gerade aus dem Hotel Baur au Lac, da sind die hygienischen Verhältnisse gar nicht so schlecht!“ Eine solche Antwort hatte die mit dem Orden pour le Mérite ausgezeichnete Kammersängerin und Dame of the British Empire, wohl nicht erwartet. Nach einer Sekunde der Irritation hatte Madame Schwarzkopf die Lage wieder unter Kontrolle und erwiderte lächlnd: „Na dann lassen Sie uns erst einmal etwas Tee trinken.“ Wir begaben uns zu einem Biedermeiertischchen. Es gab Lufthansa-Kekse, der Konzern schicke ihr immer noch regelmässig große Mengen, rechtfertigte sie sich, und vorbereiteten Tee aus einer Warmhaltekanne. Wir tranken aus Wedgewood-Porzellan, wie sie nicht vergass, zu betonen. Wie würde sich das Gespräch nach dieser Ouvertüre entwickeln? Elisabeth Schwarzkopf war offensichtlich nervös. Ihre Hände waren unruhig.
Ich begann unsere Unterhaltung also mit dem unverdächtigen Thema Operette und brachte die Rede auf Richard Tauber. „Er war fabelhaft und er gehörte zu jenen Sängern, die Operette so gut singen konnten wie Mozart! Ich habe eigentlich von solchen Sängern wie Tauber gelernt.“ Was sie von ihm gelernt habe, fragte ich sie. „Na Stil, daß man eben nicht billig singt, und aus der Operette eben keinen Kitsch fürs das Publikum daraus macht. Operetten sind doch grandiose, kulturelle Ereignisse. Die Lehàr- oder Strauss-Operetten sind wirkliche enorm gute und schwierige Musikstücke. Wir mussten zu unserer Zeit am Deutschen Opernhaus Berlin natürlich schon als Anfängerinnen winzige Rollen in den Operetten singen. Von den damaligen grossen Sängerinnen des Hauses, Therese Rudolph, Lore Hofmann, Margarete Pfahl, die übrigens eine ausgezeichnete Rosalinde war, habe ich viel gelernt. Das waren hervorragende Sänger! Von Margarete Pfahl habe ich mir eigentlich am meißten abgehört für die Gestaltung meiner eigenen Rosalinde. Wissen Sie, ich habe mir ja gestalterisch das Meißte von grossen Kolleginnen abgehört, denn die beherrschten damals noch die Atemtechnik, hatten Musikalität, herrliche Stimmen, Timbre, die konnten phrasieren, man achtete noch auf Genauigkeit und gestatte sich lediglich Freiheiten, die nicht über Bord gingen.“
Das Gespräch kreiste um ihre Anfangsjahre. Die Nervosität von Madame Schwarzkopf legte sich. „Ich fing in kleinsten Partien des Repertoires an! Nach zwei Jahren Anfängervertrag am Deutschen Opernhaus in Berlin hatte ich eine Verlängerung vom Intendanten Wilhelm Rode bekommen. Aber ich wurde sehr niedrig gehalten, was ich jedem heutigen Sänger am Anfang wünsche, daß er so niedrig gehalten wird. Es gab gelegentliche Einspringer, die ich immer in der Nacht lernte. Ich wurde ja überhaupt nur engagiert, weil ich so schnell lernen konnte. Am Mittwoch sang ich vor, es war die einzige Audition in meinem Leben, glaube ich, und da hieß es: „Ja, können Sie übermorgen das zweite Blumenmädchen in der ersten Gruppe singen?“ „Was bitte? Ach, ‘Parsifal’? Ja, ja natürlich kann ich das!“ Ich hatte aber „Parsifal“ nie gesehen und nie gehört. Ich kannte nur den Karfreitagszauber. Ich wußte aber, daß ich sehr gut vom Blatt singen und sehr schnell lernen kann. Sonst hätte ich mich das gar nicht getraut, dort vorzusingen. Ich war sicher, dass ich die Partie in zwei Tagen würde singen können. Ich setzte mich also zu Hause vor den Klavierauszug und habe die Rolle allein - so viel Klavier konnte ich - einstudiert. Zwischendurch durfte ich Lortzing-Opern singen. Die mußte ich auch schnell lernen, inklusive Dialog. Erst nach zwei Jahren bekam ich einen Vertrag als Soubrette mit Koloraturverpflichtung. Das habe ich natürlich auch mit Freuden angenommen. Und es war dann eine furchtbare Sache, daß ich an die Wiener Staatsoper wollte, das nahm man mir sehr übel! Ich wurde krank und war ein Jahr mit Tuberkulose in einem Sanatorium in der Hohen Tatra. Es ist ein Wunder, daß ich hinterher noch singen konnte. Wenn ich mir das heute überlege, was meine Stimme alles mitgemacht hat, auch an falschem Unterricht, an falschem Fach, falscher Stimmlage, die ich zu singen hatte, unglaublich!“
Ich wollte wissen, was sie, nach ihrer ersten Lehrerin, Lola Müß-Gmeiner, die eine Mezzosopranistin aus ihr machen wollte, gelernt habe.
„Meinen persönlichen Klang, der notwendig ist für die Laufbahn, die ich genommen habe. Ich habe durch sie bemerkt: aha, da kommt plötzlich ein Klang, der ganz anders ist, als alles, was ich bis jetzt gesungen habe. Und das war der Klang, ich wußte das damals noch nicht, der mir über mein ganzes Leben lang zur Verfügung stehen und gehorchen sollte, der meine Stimme auch zum Wachsen brachte, gesund erhielt und vor allen Dingen tragfähig machte. Ich hatte ja keine große Stimme. Verglichen mit heutigen Stimmen war es eine kleine Stimme, denn heute müssen sie ja alle schreien. Im Gegensatz dazu haben wir aber „getragen“. Wissen Sie, daß man mit dem Kopfton über jedes Orchester kommen kann? Die Kopfstimme trägt über jeden Raum. Und das war das Geheimnis meiner Generation.“
Elisabeth Schwarzkopf war nun ganz in ihrem Element. Ihre durch und durch reflektierten Ausführungen zur Technik des Singens und über die Kunst des Sich-Selbst-Singen-Hörens waren eindrucksvoll. Ich gab meiner Bewunderung darüber Ausdruck, auch über ihren enormen Fleiss und ihre Selbstdisziplin. Sie war sichtlich erfreut.
„Ja, wenn ich mir das heute überlege, kann ich es eigentlich selbst nicht verstehen und rekonstruieren, wie ich das geschafft habe. Zu dem Singen kamen ja immer auch Reisen, Proben, Schallplattenaufnahmen, Kostümproben, Arztbesuche, etwas Sport, Kofferpacken. Alles das nimmt ja Zeit weg.“ Die Schwarzkopf schickte ihre Hausangestellte ins Büro, um einen Zettel zu holen. „Ich kann Ihnen die exakte Zahl meiner Auftritte nennen. Ich habe 453 Orchesterkonzerte gesungen, 984 Liederabende und 1223 Opern, also insgesamt 2660 Auftritte in den Jahren zwischen 1938 bis 1979. Ich habe Tagebuch geeführt. Dazu kommen noch viel mehr Proben als Auftritte. Wir haben ja wie wahnsinnig geprobt, in Salzburg und Wien, zu schweigen von den Plattenaufnahmen!“
Eine eindrucksvolle Bilanz, gewiss. Aber woher schöpft ein Mensch die Kraft zu einer solchen Leistung? Das interessierte mich. Im Gegensatz zu den vielen anderen grossen Sängerinnen, die mit mir eben darüber ganz ungeniert geredet hatten, offenbarte Frau Schwarzkopf nichts Privates. Menschliches, allzumenschliches blieb währen des ganzen Gesprächs aussen vor. Sie beeilte sich zu antworten: „Nur aus der Musik. Für mich gab es nichts anderes im Leben! Das Singen war für mich ein absolutes Muss. Das war alles. Und es war nicht das Geld, das mich zum Singen trieb! Gagen waren mir gar nicht wichtig. Die ersten Jahre meines Singens lebte ich noch in meinem Kinderzimmer bei meinen Eltern. Das wurde allerdings, als ich in der Hohen Tatra mit Tuberkulose lag, ausgebombt. Ich hatte trotz meiner Erkrankung Klavierauszüge mitgenommen in das Sanatorium im Wald, Lieder, Opern, Dinge, die ich lernen wollte. Ich klammerte mich an den Gedanken, nach der Heilung weiter zu singen. Was natürlich alles ungewiß war, denn es gab ja noch kein Penicillin. Und es hätte ja sein können, daß es aus war mit meiner Stimme. Meinen Eltern habe ich überhaupt zu verdanken, daß ich zur Sängerin wurde, denn sie haben mir eine musikalische Erziehung angedeihen lassen. Wichtig war mir schon damals, daß ich das Beste machte, das ich geben konnte. Dieses Perfektionsstreben war mein Motor. Wissen Sie, ich war damals sehr naiv.“
Als die Sprache nun auf die Kriegszeiten kam, wurde Elisabeth Schwarzkopf unruhig. Sie begann schneller zu sprechen, noch manirierter als sonst: „Man darf nicht vergessen, ich war Luftschutzwart in unserem Block, gemeinsam mit den anderen jungen Leuten. Das heißt, wir mußten nach jedem Alarm die Dächer inspizieren, damit nicht etwa Phosphor drauf liegen blieb, wir mußten einsammeln, was von den Dächern heruntergefallen war. Außerdem war die Stadt voller Glassplitter, die U-Bahn ging nicht, und ich hatte nur ein Fahrrad. Und von Steglitz bis nach Charlottenburg braucht man eine Weile. Diese Kriegszeiten waren Wahnsinnsbedingungen für einen Anfänger! Aber jeder hat versucht, soweit als möglich, unter diesen Bedingungen das Beste zu geben. Es waren schreckliche Bedingungen, glauben Sie mir. Wir waren nicht vom Leben verwöhnt! Wir hatten nicht das Geld, uns irgend etwas zu kaufen. Wenn es hoch kam, haben wir uns mal ein Konzert angehört, oder eine Staatsopernaufführung. Ich habe fast jeden Abend im Theater verbracht und habe mir aus den Kulissen alles angehört, wovon ich etwas lernen konnte. Das war meine Jugend. Ich habe nur für den Beruf gelebt. Für uns gab es keine Restaurants, Tanzabende, Freundschaften oder gar Liebschaften.“
Ich riskierte noch einmal eine persönlich Frage: Ob sie es denn nie bereut habe daß Sie unter diesen Zeitumständen andere Dinge des Lebens, die in der Jugend wichtig sind, ja vielleicht das Leben an sich versäumt habe? Frau Schwarzkopf gab sich brüskiert und wehrte ab.
„Nein! Wo denken Sie hin, nach einer einundvierzigjährigen Karriere! Immerhin habe ich doch viele Dinge höchst anständig gesungen. Mehr will ich dazu nicht sagen. Natürlich bin ich heute nicht mehr mit allem einverstanden, was ich einmal gesungen habe. Aber das meiste war wenigstens ordentlich und vieles war wohl auch recht gut. Glauben Sie nicht, daß es mir um Ehrgeiz und Eitelkeit ging, sondern immer nur um die Musik. Ich wollte so gut sein, wie ich es nur konnte. Die heutigen Sänger haben ja eine ganz andere Einstellung zur Musik. Ich halte es für fatal, was die jungen Leute heute mit sich machen. Für einen Sänger hat nichts anderes zu gelten als die Musik!“
Die Schwarzkopf versteckte sich mehr und mehr hinter einem Panzer von Beton, so fand ich, und gab sich immer unnahbarer. Ich wollte aber nicht nachgeben: Wenn man derart hohe Ansprüche und perfektionistische Maßstäbe an sich und die Musik legt, so fragte ich sie, wenn man so sehr nur für den Beruf lebt, wie Sie es getan haben, empfindet man dann nicht irgendwann das Leben als einen Opfergang für die Kunst?
Mit dem ihr eigenen Pathos entgegnete sie mir: „Nein, ich habe es nie als Opfer empfunden, obwohl es oft genug schwer war. Aber ich hatte nicht einmal Zeit, darüber nachzudenken. Sie können sich vielleicht nicht vorstellen, wie zeitraubend und anstrengend eine Sänger-existenz ist. Und wie wichtig das Schlafen ist. Ich habe mir fürs Schlafen immer Zeit genommen. Deshalb gab es für mich nichts ausser dem Beruf, niemals Festivitäten, Partys oder Ausgehen mit Freunden oder Kollegen, niemals! Auch mein Mann hat mich immer dazu angehalten. Er hat immer gesagt: Du mußt Dich schonen, denn Du mußt übermorgen wieder singen.“
Das war nach 1945, erinnerte ich Sie. Ich hakte nach und wollte wissen, ob sie schon als Mittzwanzigjährige, also in den Dreissigerjahren, so gelebt habe.
„Diese Jahre zwischen 1938 und 1948 legten den Grundstein für mein ganzes späteres Leben, ja! Ich bin leider in diese Zeit hinein-geboren worden. Ich habe mir das nicht ausgesucht! Und ich mußte meine Chance nutzen. Wie wollen Sie singen lernen und auf sich aufmerksam machen, wenn nicht zum rechten Zeitpunkt? Sie müssen die ihnen dazu gegebenen Jahre nützen. Ich habe sie genutzt. Ich habe Ende der Dreissigerjahre am Theater begonnen. Meine Blütezeit begann Ende der Vierzigerjahre. Als ich 1951 einmal in Bayreuth sang, war ich auf dem stimmlichen Zenit.
Ich ergriff die Gelegenheit, sie nach Herbert von Karajan zu fragen, mit dem sie damals in den „Meistersingern“ in Bayreuth zusammengearbeitet hatte. Frau Schwarzkopf richtete sich hoch auf und meinte in dem ihr eigenen exaltiertem Tonfall:
„Darüber will ich mich jetzt lieber nicht äußern! Ich habe wirklich einige sehr wichtige Dinge mit ihm aufgenommen. Und das ist alles, was für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Alles übrige gilt eigentlich nur für uns hinter der Bühne, als Künstler. Zugegeben, es gab da tat-sächlich eine Menge Dinge, die alles andere als schön waren. Mein Verhältnis zu Karajan ist immer ganz falsch dargestellt worden. Er war auch keineswegs mein Lieblingsdirigent. Aber ich will diesen Fall Karajan nicht berichtigen, weil er so schrecklich ist, daß ich es gar nicht veröffentlichen darf. Wir haben viele Dinge zusammen gemacht, die gültig sind und ich will diesen schönen Eindruck nicht so vernichten, wie er vernichtet würde, wenn ich in diesem Falle einmal die Wahrheit sagen würde. Karajan war ein großer Musiker und der Teil der Arbeit, die er und ich - unter der Oberleitung meines Mannes - geleistet haben, ist so gültig, daß man das nicht beschmutzen soll, auch durch die Wahrheit nicht.“
Als ich es wagte, auszusprechen, dass sie, Elisabeth Schwarzkopf, offenbar zwischen Kunst und Leben, Künstler und Privatperson, Wahrheit und öffentlichem Image trenne, wurde sie laut: „Ganz und gar! Das hat miteinander Null Komma nichts zu tun.“ Aber Künstler sind doch auch Menschen, entgegnete ich. „Das ist unwichtig. Nur das, was wir in der Kunst, in der Musik abliefern, ist das, was gültig ist, alles andere zählt nicht. Das Publikum soll nicht den Menschen im Künstler suchen, sondern dankbar sein, daß es Menschen gibt, die nichts anderes tun in ihrem Leben, als Musik machen! Musik ist eine heilige Kunst, genau wie es der Komponist in `Ariadne auf Naxos´ sagt. Und Musik hat nichts mit Politik zu tun, überhaupt nichts!“
Ihre Finger wurden nervös, sie vibrierte. Ich wusste, jetzt waren wir am heikelsten Punkt des Gesprächs angelangt. Ich riskierte fast den Rausschmiss, als ich auch nur den Namen ihres Biographen Alan Jefferson nannte. Frau Schwarzkopf wollte mir das Gerät entreißen, mit dem ich unser Gespräch aufzeichnete. Sie verlor die Fassung, sie schrie mich an: „Nennen sie diesen Namen nicht! Ich möchte diesen Namen in meinem Hause nicht ausgesprochen haben. Dieser Mensch ist für mich eine absolute Unperson, ein Krimineller, ein Schizo-phrener. Und ich glaube, er wollte - weil er vielleicht nicht einen so großen Orden als Kriegsteilnehmer auf der englischen Seite bekam wie ich in England ihn bekommen habe, sich an Deutschland rächen indem er mich als Deutsche angriff. Dieser Mann hat mich so verletzt, und meine Familie und meinen Mann so in den Dreck gezogen. Man hätte ihm den Zutritt zum Berliner Document Center nie gestatten sollen. Dort kriegt Zugang doch nur, wer ein politisches Buch schreibt. Können Sie mir sagen, was ein einundvierzigjähriges Sängerleben mit Politik zu tun hat? Null Komma nichts! Überhaupt nichts. Politik machen die Leute, die Politik gelernt haben. Ich habe Singen gelernt.“
Ich ging noch einen schritt weiter und bemerkte, das man doch wisse, dass sie schon sehr früh der NSDAP beigetreten sei. Ob das denn nicht eine politische Handlung gewesen sei. Sie schrie mich an: „Es war, wie wenn Sie heutzutage in einer Gewerkschaft sein müssen, damit sie einen Beruf ausüben dürfen, nichts weiter!“
Sie drohte mir abermals damit, das Gespräch abzubrechen. Nur mit äußerster Diplomatie gelang es mir, sie zu beruhigen und ihr das Gefühl zu geben, ihr nichts nichts Böses zu wollen. Elisabeth Schwarzkopf war den Tränen nahe. Sie liess ihre Hausangestellte die verschiedensten Dokumente zum Beweis ihrer Unbedenklichkeit holen. Sie zeigte mir Zeitungsausschnitte, Briefe von Freunden und Fürsprechern, betonte ihre engen freundschaftlichen Kontakte zu Israel... Der Betonpanzer der Primadonna zeigte Risse. Die grosse Elisabeth Schwarzkopf kam mir plötzlich wie eine einsame alte Frau vor, die sich von der Angst vor später Enthüllung ihrer Vergang-enheit gepeinigt, in eine Welt der undurchdringlichen Künstlichkeit und marmornen Selbststilisierung geflüchtet hatte. Es hat etwas Tragisches. Aber wenigstens in ihrer Angst zeigte sie jetzt Momente von sympathischer Menschlichkeit. Sie tat mir leid. Ich konnte in diesen Augenblicken nur ahnen, wie sehr sie in ihrer selbstgewählten Isolierung aus Verbitterung und Angst litt. Ich bot ihr an, mit Gerüchten, Missverständnissen und Anschuldigungen auszuräumen, die in Umlauf sind, wenn sie wolle. Aber sie wollte auch mir nicht preisgeben, was sie seit Jahrzehnten vor aller Welt verborgen gehalten hatte.
„Ich will dazu nichts sagen, Sie werden nichts von mir hören zu diesen Vorwürfen. Es stimmt fast alles nicht, was man über mich schreibt. Aber ich will dazu nichts sagen! Sonst wird es ja ohnehin wieder verfälscht und gegen mich verwendet. Man muß heute vorsichtig und mißtrauisch sein, in dem, was man von sich preisgibt. Ich kann niemandem mehr vertrauen!“ Das glaubte ich ihr aufs Wort, denn auch die Einladung in eines der besten Restaurants Zürichs, die ich aussprach, wies sie entrüstet zurück mit der Bemerkung, sie könne heutzutage nicht mehr ihrem Haus gehen, die Welt sei doch so schlecht ...
„Sie dürfen sich nicht wundern, daß wir alle sehr mißtrauisch geworden sind. Ich bin 1915 geboren worden. Wäre ich 1925 geboren worden, wäre alles anders verlaufen. Aber mir wurde nicht der Segen der späten Geburt zuteil. Wissen Sie, in meinem Leben machten diese zehn Jahre das ganze Leben aus. Ich mußte im Dritten Reich Karriere machen.“
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding, dachte ich, womit wir bei der Rolle ihres Lebens an-gekommen waren, der Marschallin im „Rosenkavalier“, mit der sie sich 1972 von der Bühne verabschiedet hatte. Als wir über Kunst sprachen, wurde Elisabeth Schwarzkopf wieder etwas ruhiger.
„Die Marschallin war aber nicht meine wichtigste Partie. Und ich mußte mir diese Partie wirklich zurechtlegen, denn ich hatte ja keine Mittellage wie sie Lotte Lehmann hatte. Die Lehmann war immer mein Maßstab.“ Und sie zeigte mir einen kleinen Schornsteinfeger auf dem Kaminsims. „Den hat mit Lotte Lehmann geschenkt, als ich in San Francisco meine erste Marschallin gesungen habe. Was glauben Sie, was ich durchgemacht habe, immer den Maßstab Lotte Lehmann im Ohr. Ich mußte mir das Stück auf meine Stimme zuschneiden. Das geht aber nur mit einem Dirigenten, der das Orchester auf Durchsichtigkeit zu halten versteht. können. Das kann nicht jeder. Und wenn man als Sänger gezwungen wird, lauter zu singen, als man möchte, ist man schon verloren. Mit Karajan bin ich wirklich an manchen Stellen bis an die Grenze des Flüstern gegangen. Mein Mann hat immer gesagt: Es braucht für die Marschallin eine Liedersängerin allererster Güte, weil die Marschallin eigentlich liedhaft komponiert ist.“
Ob es Ihr Mann, Walter Legge, gewesen sei, der sie zur Hugo-Wolf-Sängerin gemacht habe, fragte ich Elisabeth Schwarzkopf.
„Ich habe zwar schon mit Michael Raucheisen, in meinen Anfängen also, Hugo Wolf gesungen, aber ohne sie wirklich singen zu können. Erst mein Mann hat mit mir die Lieder auf Nuancen und Farben hin ausgearbeitet, die ich vorher nicht hatte. In den ganz frühen Jahren war ich eine sehr weiße Stimme, die höflichen Leute sagten, es sei eine Silberstimme. Aber mit einer Silberstimme kann man nicht alle Hugo-Wolf-Lieder singen. Das Schwierige war bei Hugo Wolf, eben sehr viele verschiedene Farben aufleuchten zu lassen, die benötigt werden. Da hat mein Mann bei mir Wunder bewirkt. Er forderte mich immer wieder auf, diese Lieder zu sprechen, in der Farbe der Sprechstimme. Der Ausdruck liegt meistens in der Sprechstimme. Mit der dürfen wir aber nicht singen. Unsere weibliche Stimme sitzt ja ungefähr anderthalb Oktaven höher als unsere Sprechstimme. Das ist die Schwierigkeit.“
Wir redeten viel über Ihr enorm breites Liedrepertoire und ihr schmales Opernrepertoire, und natürlich über Walter Legge.
"Mein Mann hat mich dazu angehalten. Ich habe früher viel mehr gesungen. Dabei habe ich leider Fehler gemacht und Dinge gesungen, die nicht gut für mich waren. Wenn ich an Tannhäuser denke, oder Madama Butterfly, Faust oder Die Verkaufte Braut. Mein Mann wußte, daß die Beschränkung auf wenige Opern sinnvoll und daß der Liedgesang für mich wichtiger war.“
Ob sie besonders stolz sei auf Ihre Liedinterpretationen, fragte ich Elisabeth Schwarz-kopf?
„Nein, ich habe bei manchen Liedern ja erst sehr viel später bemerkt, daß sie so gut gelungen waren. Vor allem, als ich Anderen das Singen beibrachte. Ich versuche ja, meine Gesangskultur irgendwie weiterzutragen und den heutigen jungen Sängern klar zu machen, daß es nicht auf die Lautstärke ankommt, sondern auf die Tragfähigkeit und Schönheit einer Stimme. Man muss so singen können, daß man lange singen kann. Also muss man gesund singen können. Und das Wort gesund singen bedeutet mit perfekter Technik singen. Ich verabscheue diese schreienden, hellen, metallischen Stimmen, wie sie heute so häufig zu hören sind. Das ist für meine Ohren kein Gesang. Die Stimmbänder werden heute oftmals benutzt wie Pauken. Aber das hat mit Singen nichts zu tun. Und es singen viel zu viele Leute heutzutage. Was glauben Sie, wie viele Sänger ich hier bei mir hatte, denn ich sagen musste: Na hören Sie mal, weshalb singen sie denn überhaupt?“
Irgendwann in unserem langen Gespräch, in dem sie ihr Image als Lordsiegelbewahrerin großer Gesangstradition und die Maske einer Diva zu wahren sich bemühte, und ich vergeblich nach dem Menschen Elisabeth Schwarzkopf hinter einer fast undurchdringlichen Primadonnen-Fassade suchte, fragte ich sie nach ihrem größten Wunsch: „Ich möchte noch so lange Musik hören können, solange ich lebe. Das ist das Wichtigste für mich. Und wenn mir das erhalten bleibt, habe ich dankbar zu sein.“ Elisabeth Schwarzkopf hat bis zuletzt unterrichtet, hat Sängern wertvolle Ratschläge erteilt und ihnen zugehört. Wer ihre Gunst und Zuneigung gewonnen hatte, durfte sich glücklich schätzen. Wehe, wen sie vor Publikum so abkanzelte, dass er mit Tränen das Auditorium verliess...