Mozarts Entführung in Erfurt von Yekta Kara

„Noch nie war Mozarts Entführung so wichtig wie heute“

Yekta Karas mutige Insze-nierung in Erfurt.

Auch sängerisch pures Mozartglück!

Zwischen Fortschritt und Reaktion
Dei türkische Gesellschaft heute

Photos: Lutz Edelhoff

Theater Erfurt

W.A. Mozart: Die Entführung aus dem Serail

Premiere Theater Erfurt, 1. November 2014


Mozarts „Entführung aus dem Serail“, 1782 im Wiener Theater an der Burg uraufgeführt, gilt nicht nur als Gipfelpunkt der „Türkenmode“ auf dem Musiktheater jener Zeit, das Stück, das den Religions- und Kulturkonflikt zwischen Orient und Okzident zum Thema hat, ist immer wieder auch mit Lessings „Nathan der Weise“ verglichen worden als ein Stück, das für Toleranz und Gewaltlosigkeit plädiert. Im Theater Erfurt hat diese „Türkenoper“ die türkische Regisseurin Yekta Kara inszeniert, Chefregisseurin der Staatsoper Istanbul und Künstlerische Leiterin des Internationalen Opernfestivals Istanbul.

 

Yekta Kara hat das Singspiel aus eigener “Betroffenheit“ aus türkischem Blickwinkel von heute auf die Bühne gebracht und spiegelt in dem Stück, das ja eigentlich im achtzehnten Jahrhundert spielt und die Versklavung und Befreiung von Europäern in einem türkischen Serail zur Zeit der Osmanen beschreibt, den Zustand der gegenwärtigen türkischen Gesellschaft: Es geht um den Zwiespalt zwischen Fortschritt und Reaktion, Toleranz und Intoleranz, zwischen orthodoxen und weltoffenen Musli-men, sie zeigt die Gewalt der religiös Konservativen, der Islamisten gegen Andersdenkende. Last but not least zeigt sie auch den Kampf der türkischen Frauen um Selbstbestimmung und ihre Auflehnung gegen überkommene patriarchalische Zwänge und Rollenmuster. Darüber hinaus bettet die Regisseurin dieses türkische Gesellschaftsbild diskret, aber unübersehbar ein in die - unsere täglichen Nachrichten beherrschenden - ideologischen, politischen und terroristischen Probleme des gesamten Nahen Ostens.

 

 

Konkret zeigt sie das Stück im Istanbul von heute. Auf der Bühne eine jener traditionellen großbürgerlichen Villen am Bos-porus. Hank Irwin Kittel hat diese Villa in aller Pracht ganz realisch und plastisch gebaut und ausgestattet, man sieht sie mal von außen in gepflegtem Garten, mal von innen als lauschige Harems-Rotunde. Bassa Selim, in der Inszenierung heißt er Selim Pascha, residiert dort als offenbar steinreicher Herr mit europäischem Auftreten, umgeben von europäisch aufreizend gekleideten weiblichen Schönheiten. Er trägt Anzug und Krawatte, ein Gentleman von Kopf bis Fuß, von viel Gärtner- und anderem Personal, Butler, Bodyguards und Gärtnern umgeben, er fährt in Daimler-Limousine vor. Er ist die heutige Verkör-perung einer jener europäisch-gebildeten, fortschrittlichen Türken, die es ja seit der Mozartzeit immer gab. Sein Hausver-walter und Aufpasser Osmin dagegen wird als Inbegriff des orthodoxen, unaufgeklärten, kämpferischen  Muslimen gezeigt, in Pluderhosen und mit traditioneller Kopfbedeckung, seine Frau ist tiefverschleiert, sein Sohn wird, geschmückt wie ein kleiner Prinz, dem Beschneidungsrituell zugeführt. Und schon zu Beginn der Aufführung zeigt die Regisseurin schonungslos die Brutalität jener heutigen Realität, die sie in ihrer Inszenierung anprangert. Da treten junge türkische Demonstrantinnen vor dem Haus des Selim Pascha auf und entblößen ihre Brüste, auf denen in großen Lettern zu lesen ist „Für eine freie Tür-kei“. Schwarz vermummte, scherbewaffnete Islamisten prügeln auf sie ein, stülpen ihnen schwarze Säcke über, nehmen sie fest und lassen sie abführen. Dann öffnet sich die Gartentür der Villa und Osmin läßt diese radikalen Islamisten in das Haus seines Herrn. Am Ende der Oper, das ja an sich ein rührendes Bekenntnis für Gewaltablehnung, Toleranz, Freiheit und Kulturaustausch ist, wird eben dieser Selim Pascha, das Sinnbild des aufgeklärten Türken (wir wissen, er ist kein echter, sondern einer jener türkisch assimilierten Europäer, die ja seit Jahrhunderten, das einst so kosmopolitische, ethnisch bunt gemischte Istanbul bzw. Konstantinopel zur Zeit der Osmanen ausmachten), ebenfalls von diesen gewaltbereiten Islamisten, von Osmin angeführt, zusammengeschlagen und weggeschafft. Ein „Mahn- und Weckruf“! Eine deutliche, pessimistische Aussage. Ein starkes Bild, eine mutige politische Inszenierung, die aufrüttelt und zum Nachdenken anregt. Sie dürfte dem derzeitigen türkischen Präsidenten Erdogan nicht eben gefallen.

 

Die neue Generalmusikdirektorin des Theaters Erfurt, Joana Mallwitz, stand am Pult. Sie hat sich der Herausforderung der Inszenierung und der anspruchsvollen Musik Mozarts mit großer Souveränität gestellt, durchaus historisch informiert, rasant in den "türkischen" Passagen. Sie dirigiert mit großer Präzision, mit tänzerischer Agilität auch in ihrem sehenswerten Diri-gierstil. Aber sie läßt doch einen sehr feinen Mozart musizieren. Gelegentlich hätte ich mir einen etwas weniger wattig-gefühligen als rebellischen Zugriff gewünscht, das hätte der unerschrocken anklagehaften Inszenierung von Yekta Kara zweifellos eher entsprochen und zugearbeitet. Aber die junge Dirigentin hat ja noch Zeit, künftig mehr zu wagen. Auf jeden Fall hat sie sehr professionell, sehr sicher und so sängerfreundlich dirigiert, dass man fast jedes gesungene Wort verstand.


Nun ist Mozart immer der Prüfstein aller Gesangskunst. Auch für die „Entführung“ gilt das. Fünf erstklassige Sänger sind gefordert in dem Stück. Man hat sie in Erfurt! Es ist ein in sich geschlossenes, exquisites Mozartensemble. Fünf handver-lesene Stimmen. Julia Neumann, die zuletzt als Monteverdis Poppea begeisterte, singt eine beseelte, gesangstechnisch hochkultivierte Konstanze. Ihr Geliebter Belmonte wird von Uwe Stickert gesungen, vielerorts als einer der derzeit besten Mozarttenöre gefeiert, er wurde in der „Opernwelt“ auch als dreifacher Sänger des Jahres ausgezeichnet, die Blonde von Romy Petrick ist eine herzerfrischende Soubrette mit Spielwitz und ihr Partner, Pedrillo ist mit dem Spieltenor Paul Kaufmann bestens besetzt. Obwohl etwas sehr hell timbrierte Bassist Gregor Loebel läßt als Karikatur des rachsüchtig-ver-räterischen, islamistisch-radikalen Türken keinen Wunsch offen. Die Aufführung bietet sängerisch seltenes Mozartglück, aber auch schauspielerisch ist sie ein Vergnügen. Auch die Sprechrolle des Selim Pascha, die der Charaktertenor Robert Wörle übernahm, überzeugt. Alles in allem eine Produktion, die nicht nur die kulinarischen Bedürfnisse des Opernpubli-kums bedient, sondern deutlich macht: „Noch nie war Mozarts Entführung so wichtig wie heute“. So hat es die türkische Regisseurin in einem Interview bekannt. Im Theater Erfurt hat sie es auf der Bühne beglaubigt! 





Rezension auch in MDR Figaro,  3.11.2014