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Festival Della Valle D´Itria - 2008
„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“
Buffa-Ausgrabung des Jahres: Cagnonis “Don Bucefalo”
Das Festival Della Valle D´Itria in Martina Franca gehört zwar immer noch zu den weniger bekannten Festivals. Doch als szenisches Laboratorium und sängerische Talentschmiede ist es konkurrenzlos, auch wenn sich gelungene und weniger gelungene Produktionen meist die Waage halten. Wo gibt es sonst ein Opernfestival, das „auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ konse-quent und nahezu ausschließlich in unbekannten Opern-Gewässen jenseits des altbekannten Reper-toirs fischt? Jahr für Jahr überrascht das Festival im schönen, barocken, Martina Franca, genau in der Mitte zwischen Bari, Brindisi und Taranto, zwischen den ionischen und adriatischen Ufern Apuliens, mit Ausgrabungen vergessener Opern, dargeboten von jungen Nachwuchs-Sängern. In diesem Jahr standen zum Auftakt des 34. Festivals Niccolò Piccinnis dramma per musica „Il Re Pastore“ (eine Referenz an den vor 280 Jahren in Bari geborenen Komponisten) und Antonio Cagnonis melodramma giocoso „Don Bucefalo“ auf dem Programm.
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Niccolò Piccinnis Oper von 1760 ist eine von vielen Opern-Bearbeitungen der hinlänglich bekannten Episode aus dem Leben Alexanders des Grossen. Metastasios Libretto diente auch Mozart noch 1775 als Vorlage: Der Verzicht des armen Hirten Aminta auf Macht und Krone zugunsten seiner Liebe zu Elisa rührt zwar Alexander den Großen, der ihn zum Thronerben bestimmt, dermaßen, dass er in die Ehe einwilligt und grünes Licht gibt für ein Happy End mit Krone und Hochzeit, aber ein spannendes Stück ist es nicht.
Es bedarf schon aussergewöhnlicher inszenatorischer und musikalischer Phantasie, die lange Oper (die in Martina Franca bis weit nach Mitternacht dauerte) zu reanimieren zu einem packenden Stück Musiktheater. Giovanni Battista Rigons musikalische Lesart, die der Zeit vor der „historisch informierten Aufführungspraxis“ verpflichtet scheint, bestätigte allerdings nur das Vorurteil, Piccinni sei ein belangloser Vielschreiber gewesen. In der Tat hat Piccinni, der in Paris einen berühmten Opernstreit auslöste, 118 Opern komponiert. Aber sie sind gewiss besser, als man nach der Erfahrung mit Giovanni Battista Rigons Dirigat vermuten möchte. Auch Alessio Pizzechs Regie und Guido Fioratos (Ausstattung) dienen nicht gerade einer erfrischenden Wiedergabe des Stücks. Mehr als dreieinhalb Stunden lang sah man auf der Bühne im Innenhof des prachtvollen historischen Palazzo Ducale unter freiem Himmel nichts als mehr oder weniger akrobatisch geglückte Kletterpartien blutleerer Figuren auf einem querliegenden, riesigen und wenig bühnentauglichen, ja hässlichen Baumskelett. Pseudobarocke Gestik und klischeehafte, historisierende Kostüme verhinderten jegliche Plausibilität und erschwerten sichtbar und hörbar barocken Zier- und Schöngesang. Es müssen immerhin dutzendweis´ schwierigste Dacapo-Arien bewältigt werden. Der palermitansche Sopranist Massimiliano Arizzi wandelt als Aminta auf den Spuren des aus Martina Franca stammenden Kastraten Giuseppe Aprile, doch seine Gesangsdarbietungen sind – anders als die seines berühmten Vorgängers aus dem 18. Jahrhundert - gewöhnungsbedürfig. Auch der Countertenor Razek François Bitar als Agenore befremdet eher durch Technik und Timbre, als dass er begeistert. Alexander der Große wird vom Tenor Nicola Amodio nicht eben königlich gesungen. Maria Laura Martorana (Elisa) und Daniela Diomede (Tamiri) singen die beiden Frauenpartien zumindest anständig.
Ganz anders die Erfahrung mit Cagnonis „Don Bucefalo“ am nächsten Abend: Der aus Bergamo stammende Antonio Cagnoni (1828-1896) schrieb mehr als 20 Opern. "Don Bucefalo", noch vor seinem Abgang vom Mailänder Konservatorium 1847 komponiert, gehörte einige Jahre zu den humorigen Lieblingsstücken der Italiener: Don Bucefalo, Komponist und Maestro di musica, ist auf Talentsuche. Er läßt vorsingen. Doch in dem Dorf seiner Wahl gibt es nur Amateursänger. Alle Dorfbewohner (Chor) singen vor, auch Agata und Gianetta. Die beste Stimme hat Rosa, die Schönste des Ortes und Geliebte mehrerer Herren, Ihres Gatten (eines Soldaten), des Conte di Belprato und Don Marcos. Die Komplikationen der gewitzten Komödie (in der sich amouröse und Künstler-, um nicht zu sagen Musiker-Konflikte ineinander verknäueln) sind voraussehbar. Ein Meisterstück Calisto Bassis. Antonio Cagnoni hat dessen Libretto nicht minder meisterhaft vertont. Die Oper ist ein Feuerwerk an musikalischen Einfällen. Die Arien, Ensemble- und Chorszenen, einschließlich Sänger- und Orchesterproben, darf man zu den originellsten der gesamten Opern-literatur der Buffe zählen.
Regisseur Marco Gandini und sein Ausstatter Italo Grassi (Kostüme Silvia Aymonino) haben diese Oper buffa auf schlichte, aber überzeugende Art stückgerecht in Szene gesetzt. Die Personen-führung ist professionell. Das Timing, gerade bei der vitalen und wechselhaften Musik Cagnonis bewundernswert. Nichts als eine Mauer steht quer auf der Bühne. Sie läßt sich teilen zu einer Simultanbühne, auf der gleichzeitig zwei Szenen nebeneinander gespielt werden können. Ein Klavier, ein paar Stühle, Notenständer, allerhand Filmplakate, schließlich der glamouröse Auftritt von Filmdarstellern. Oper wird als Traumfabrik gespiegelt. Eine Hommage an Fellini und seine „Orchesterprobe“. Gekonntes Handwerk, Witz und Ironie erzeugen ein Riesenvergnügen!
Massimiliano Caldi hat die temperamentvolle, postrossinische Musik, die auf der Höhe der Zeit seismographisch das Kommende wahrnimmt, samt unüberhörbarer Verdi-Ahnungen und paro-distischer Seitenhiebe, mit attackierender Intelligenz dirigiert, derer Cagnonis Musik bedarf, um ihre treffsichere Wirkung zu entfalten. Das Publikum war außer sich vor Begeisterung über diese Ausgrabung, zumal auch die sängerische Besetzung kaum einen Wunsch offen ließ.
Der junge Bass-Bariton Filippo Morace war ein Idealfall von Don Bucefalo und der Star des Abends: stimmfest, virtuos in den Koloraturen, flexibel im Parlando, feuerte er seine rasanten quasi-rossinischen Rouladen ab. Zudem ist er ein glänzender Komiker. Der junge Neapolitaner Francesco Marsiglia als Conte hat gleich zu Beginn des Stücks ein tenorales Bravourstück an Belcanto hingelegt, mit allem, was man sich von einem Tenore di grazia wünscht: Eleganz, Kraft, Schmelz und Glanz in der Höhe. Auch er ein Sänger mit Zukunftspotential. Aber auch das übrige Ensemble war fast durchweg überzeugend. Angelica Girardi war auch stimmlich die Schönste des Ortes, Mizuki Date eine kokett soubrettenhafte Agata. Francesca De Georgi eine expressive Gianetta. Der Tenor Massimiliano Silvestri hat ein hübsches Timbre, tut sich aber hörbar schwer mit seiner kleinen Partie. Der Bariton Graziano de Pace sang zuverlässig Don Marco.
Ein großer Abend im „Land der Trulli“. Fazit: Schon des „Don Bucefalo“ wegen lohnte die Reise nach Martina Franca. Diese Produktion, zu deren Realisierung beachtliche musikwissenschaftliche Anstrengungen unternommen und eigens eine Edition erstellt wurde, verdiente es, an bedeutenden Bühnen nachgespielt zu werden. Immerhin erscheint sie auf CD.
Diverse Beiträge in der ARD & Rezension für “Orpheus” (Heft 9-10, 2008)