Freischütz Bregenz Stölzl

Photo: Anja Köhler, Daniel Assmann


Ein "neuer" Freischütz in Bregenz als opulente Mittsommernachts-Wintermärchen-Grusel- Show


Zum Auftakt ihrer letzten Spielzeit hat Intendantin Elisabeth Sobotka ein Stück auf den Spielplan gesetzt, das auf der Bregenzer Seebühne noch nie zu sehen war: Carl Maria von Webers „Freischütz“, jenes 1821 in Berlin mit sensationellem Erfolg uraufgeführte Werk des Musiktheaters, das bald schon als Auftakt, ja Inbegriff der „deutschen Oper“ gefeiert wurde und bis heute als eines der populärsten Opern gelten darf.

 

Mit der Realisierung des einfach wirkenden, aber durchaus verzwickten Werks wurden der Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl sowie der Conductor in Residence, Enrique Mazzola verpflichtet, die nach ihrem großen Erfolg mir Verdis „Rigoletto“ erneut zusammenarbeiten. Sie schaffen es, in einer stark bearbeiteten Version bzw. Bearbeitung alles, was vielen Zuschauern Unbehagen oder Befremden an dieser romantischen Oper bereitet, zu unschiffen bzw. auszumerzen, indem sie die Oper aus heutiger Prespektive kommentieren, irinisieren und verfremden.

 

Die Besetzung des Produktionsteams ist sicher ein Glücksfall, denn Stölzl geht den Fallstricken des zu Recht als naiv und uneinsichtig gescholtenen Librettos nicht auf den Leim und Mazzola weiß die musikalischen Innovation und Pikanterien der Partitur faszinierend zu Gehör zu bringen.


Der Bregenzer „Freischütz“ ist trotz aller Einwände, die man gelten mache könnte, eine opulente, ja spektakuläre Inszenierung im Cinemascope-Format, die mit einem spektakulären Bühnenbild aufwartet, mit suggestiven Beleuchtungseffekten und souveräner Personenregie.


Man sieht ein in geradezu filmischem Realismus gebautes, halb zerstörtes Dorf in Deutschland Samiel: „Dies Dorf ist ein verfluchter Ort! Wer gehen kann, ging längst schon fort; Und ich verrat euch auch, warum – nach dreißig langen Jahren Krieg strich Gott sich nachdenklich den Bart und strafte dieses Dreckskaff hart!“ Es ist kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg:  Ein Wgroßer  Mond. Windschiefe Hütten, eine alte Mühle, ein halb versunkener Kirchturm. Die stimmungsvolle Szenerie ist winterlich verschneit, sie steht im Wasser, Baumruinen ragen gen Himmel, Knochen, Skelette und allerhand Unrat ragen aus dem Morast. Man denkt an Brueghel und an Harry Potter.


Die schaurige Spielfläche einer poetisch-magischen Welt, auf der Stölzl das Drama als Mischung aus Musical und schaurigem Gruselfilm à la „Sleepy Halllow“ von Tim Burton abschnurren läßt, untermalt von allerhand Toneffekten wie schreienden Vögeln, Wolfsgeheul, Windjammern, Donner und krachendem Eis. Der Freischütz als Hörspiel gewissermaßen mit ca. 40 Prozent gesprochenem Text , mit einer neuen Textversion (basierend auf dem Libretto von Friedrich Kind nach der gleichnamigen Erzählung von August Apel (Dialogfassung von Jan Dvorák nach einem Konzept von Philipp Stölzl).  Die Dramaturgie des Stücks wurde verändert, zusammengerafft und konzentriert auf publikumsfreundliche zwei Stunden, die pausenlos gegeben werden.


Der junge Amtsschreiber Max liebt Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno. Doch damit Max sie heiraten kann, muss der ungeübte Schütze sich einem archaischen Brauch unterwerfen und einen Probeschuss absolvieren – für ihn eine unerfüllbare Herausforderung. Das weiß auch der zwielichtige Kriegsveteran Kaspar (der sich dem Teufel verschrieben hat), er überredet den Amtsschreiber dazu, mit ihm um Mitternacht in der Wolfsschlucht (in brennendem Feuerkreis auf dem Wasser) Freikugeln zu gießen, die niemals fehlgehen. In seiner ausweglosen Situation schließt Max in der Wolfsschlucht einen Pakt mit dem Teufel. Was er nicht weiß: Sechs von den verfluchten Freikugeln treffen, die siebte aber lenkt der Teufel dorthin, wo er will. Währenddessen versucht seine Verlobte Agathe vergeblich in der stürmischen Nacht Schlaf zu finden. Am Morgen ihres Hochzeitstages packt sie eine düstere Vorahnung. Selbst ihre beste Freundin Ännchen kann sie nicht aufmuntern. Und als es zum Probeschuss kommt, hat Max ausgerechnet die siebte Kugel geladen. Er legt an, zielt und drückt ab, Agathe stürzt. Sie scheint getroffen, …


Hat denn der Himmel mich verlassen? fragt Max. Samiel antwortet „Der Himmel schon. Nur ich bin da…Ich tröste dich. Ich bin dir nah.“ Eine diskrete Anspielung auf das Thema homosexuellen Behrens, das im Stück steckt, Max wird von Kaspar verführt (wie der Erlkönig bei Goethe) und lässt sich auf ein höllisches Rendezvous ein. Bei Stölzl ist es Samiel, der Max verführen will und ihm ungeniert körperliche Liebe anbietet.

Dass es in der Handlung neben der Konfrontation von Jägerleben und dem walten dunkler Möchte auch um das Thema Erwachsenwerden sowie das Thema Sexualität in der Ehe und die Rolle von Geschlecht und Sexualität für die Identität, um Triebhaftigkeit während der Adoleszenz, Voraussetzungen der erwachsenen Sexualität in einer restriktiven Vätergesellschaft geht, um Versagensangst auf Seiten Maxens und Entjungferungsangst auf seiner Agathens, wird zumindest angedeutet. Agathe spricht es aus „Er ist einfach anders... als die anderen Männer hier.“ Gemeint ist Max, Max will sich in die rüde Männergesellschaft nicht recht einfügen.


Obwohl Samiel verkündet: „Wie wär’s mit einer Traumsequenz? Mit Lightshow? Glitzer? Opulenz?“ ist es eine dunkle Faust-Geschichte, die Stölzl erzählt, mit Anspielungen auf das tragische Ende der Apel-Vorlage. Er versucht die Unglaubwürdigkeit des Kind`schen Librettos glaubwürdiger zu machen die Frauenfiguren aufzuwerten  und das Stück für heutige Zuschauer unterhaltsamer zu gestalten. Der schwerwiegendste Eingriff des Regisseurs: Er lässt Samiel als zynische Mephistogestalt (Jäger in Rot) auftreten, der führt durch die Handlung, schlägt gotteslästerliche Kapriolen, klettert auf Bäume taucht aus dem Wasser auf wie ein Fisch, er kommentiert, korrigiert, ironisiert die Handlung, gibt einige Anspielungen auf den Bodensee zum Besten und sorgt schließlich für ein gutes Ende: er richtet sich ans Publikum: „„Mein hochverehrtes Publikum! Das war es! Unsre Zeit ist um. Agathe tot. Und Max verschieden. Das macht Sie … doch nicht … unzufrieden? Chères Mesdames, es war doch klar: Ihr Ticket ist nicht rückzahlbar. Wer sich am schlechten Ende stört, hat Pech. So ist die Kunst. Gehört Ihr Mann vielleicht zu den Banausen, die sich vor zu viel Drama grausen? Die stets nur Unterhaltung wollen, wenn sie mal ins Theater sollen? Sie hadern? – Gut. Ich gebe zu es lässt mir selbst auch keine Ruh. Ich fühl mich plötzlich… sentimental… Das Ganze scheint mir zu brutal! Was wär‘s mit einem guten Ende? Wenn nötig mit absurder Wende? Mein Kaspar stirbt auf freiem Feld, Max kriegt Agathe, Job und Geld, Ihr Tod war… sagen wir: eine Ohnmacht. Vor Schreck. Und falls jetzt jemand hohnlacht, Soll er in der Hölle schmoren!“


Stölzl hat das Stück radikal umgeschrieben, umgebaut, denn er misstraut der Deutschen Nationaloper. Vor allem die Religiösität und die Gottgläubigkeit des Librettos nimmt Samiel (als Sprachrohr Stölzls) aufs Korn, weshalb er den Eremiten einmal nicht als frommem Mann in der Kutte, sondern als geradezu groteske Erscheinung auftreten lässt, halb Turandot, halb Rauschgoldengel, halb Gottesmutter Maria, im exotischem Kostüm, das je länger es wird, als er auf der riesigen Wasserschlange, in der Samiel sitzt (sie speit auch schon Mal Feuer) , gen Himmel fährt. Ist Samiel nur eine Erfindung Samiels? Ein Extralob übrigens für die historisch fantasyhaften Kostüme.

 

Geradezu musicalhaft darf Landesfürst Ottokar zum einvernehmlichen Finale wie Ludwig II. auf riesigem Prunkschlitten mit Kufen übers Eis auf die Szene fahren, Die braujungfern treten aus dem Wasser auf wie Nixen mit glitzer-Badeanzügen und leuchtenden Haarkränzen, von Wasserfontänen glorifiziert. Apotheose mit Wasserballett… die Theatralik des Friedrichstadt-Palasts lässt grüßen. Stölzl trägt dick auf. Verweste Wasserleichen treiben ihr Unwesen, Suff und Triebe beherrschen die Menschen, die hügelige Landschaft ist atemberaubend

 

Stölzl macht sich über die romantische Oper lustig, so scheint es, respektlos, aber intelligent und auf höchstem artifiziellen Niveau. Seine Blasphemie mit Herz Jesu und Gotteslamm im Strahlenkranz auf den Mond projiziert, ist starker Tobak


Ernstgenommen wird die Oper, wie sie musikalisch ist, vom Dirigenten wie den Sängern:Liviu Holender singt einen regielich gewollt feminierten, gleichwohl kultivierten Ottokar. Franz Hawlata ist ein kraftstrotzender Kuno, Nikola Hillebrand eine nicht klischeehafte, selbstbewusste, betörend schön klingende. lupenreine Agathe, Katharia Ruckgaber ein eher rustikales Ännchen, Christoph Fischesser einen dämonisch virilen Kaspar und Mauro Peter einen männliche sensiblen Max, der Eremit von Andreas Wolf lläßt indes zu wünschen übrig, im Gegensatz zu Maximilian Krummen als Kilian. Dem Schauspieler Moritz von Treuenfels gebührt Hochachtung für seine sportive Leistung als Mephisto-Conférencier.

 

Über die Notwendigkeit der neu komponierten Bühnenmusiken, lässt sich streiten. Immerhin ist Enrique Mazzola ein sorgfältiger, gewissenhafter und energischer Sachwalter Webers und seiner intensiven und klangsinnlichen, wie intelligenten Musik. Die Wiener Symphoniker spielen ohne Fehl und Tadel, klangschön und hochexpressiv. Zuverlässig wie immer lässt sich der Prager Philharmonische Chor hören. Der Sound ist wieder einmal fulminant.

 

Alles in allem eine eine außergewöhnliche Aufführung der Extraklasse. Da auch das Wetter aufs Schönste mitspielte, darf man von einem zauberhaften Mitt-Sommernachts-Alp-Traum am Bodensee im schönen Vorarlberg sprechen.


Rezension auch in "Der Opernfreund"