Tristan Cottbus

Fotos: Marlies Kross / Staatstheater Cottbus


Fulminantes Sängerfest und Regie-Peinlichkeit

Tristan und Isolde in Cottbus, Premiere 28. Januar 2023


 

„Ich fürchte, die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodiert wird –: nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen“ schrieb Wagner am 9. April 1859 an seine Muse Mathilde Wesendonck.

 

Die Cottbuser Neuinszenierung widerlegt diesen Satz Wagners, denn die Aufführung wurde weder verboten, noch war sie mittelmäßig, im Gegenteil, stimmlich war sie exorbitant, orchestral hervorragend, verrückt wurden die Leute aber dennoch nicht, denn sie war gewissermaßen eine Parodie, um nicht zu sagen ein Kitsch!


Unfassbar mit welcher Geschmacklosigkeit Regisseur Märki und sein Bühnenbildner Philip Fürhofer Wagners „Opus metaphysicum“, wie Friedrich Nietzsche das Musikdrama nannte, zurichteten. Zwar wollten sie zweifellos eben diesen Aspekt der Transzendierung alles Irdischen, durch die gesellschafts- und realitätssprengenden Kraft der Liebe (Tristans und Isoldes) in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung stellen, doch sie vergriffen sich gründlich in der Bebilderung, der Symbolik und der Personenregie. Die Unlogik seiner Inszenierung strafte die „Handlung“ des Werks, (so Wagners Gattungsbezeichnung) und das Inszenierungskonzept Lügen.


Ausgangspunkt von Märkis Konzeption ist ein Weltraumflug Tristan und Isoldes durch den Asteroidengürtel mit auf das Raumschiff zurasenden Sternschnuppen, Sternen, Planeten oder was sonst noch. Durch zwei Seitenfensterwände und eine frontale Glaswand hat man freien Blick ins Weltall mit seinen Sternen und bunten Gaswolken. Man hat solche computeranimierten Weltraumfahrten auf der Bühne allerdings schon wesentlich besser und technisch perfekter gesehen!  


Dann plötzlich hebt sich die Glaswand und Personen steigen sozusagen aus,  in den luftleeren Weltraum, oder sie treten von dort aus auf,  aus dem lebensfeindlichen Orbit, ohne Weltraumanzüge. Was so unglaubwürdig und absurd ist wie die plötzlich freie Sicht auf einen romantischen Waldprospekt (bei „O sink hernieder, Nacht der Liebe“), die Verwandlung in ein bürgerliches Zimmer mit Tapetenwänden oder gar in einen Wintergarten, aus dem König Marke wie ein englischer Lord des 19. Jahrhundert, umgeben von sein Jagdburschen, am Ende des 2. Aktes hereintritt. Unglaubwürdig sind auch die gelegentlich aus dem Orbit hinter den Glasscheiben des Raumschiffs hereingrinsenden, manchmal schwarz maskierten Chöre, zuweilen erinnern sie an Jedi-Ritter. 


Absurd ist auch der Einfall, die Schale, aus der Tristan und Isolde im 1. Akt den Liebestrank zu trinken haben, von Anbeginn auf einem altarähnlichen Podest zu positionieren, ihn plötzlich gelb aufleuchten zu lassen, quasi eine Gralsschale der anderen Art, die leuchtend zum Mund geführt wird. Der Gipfel der Absurdität die Tatsache, dass Isoldes Unterrock Ihres äußerst unvorteilhaften hellblauen Kostüms plötzlich zu leuchten beginnt, durchzogen von Bändern mit Leuchtdioden.  Aber auch in Tristans "Arbeitskluft", er sieht aus wie eine Mann von der Stadtreinigung, beginnen plötzlich Streifen orange zu leuchten. Überhaupt, die Kostüme von Hannah Barbara Bachmann und Philipp Fürhofer sind der Gipfel an Geschmacklosigkeit, vor allem was die Gewandung der großartigen Sängerin der Isolde angeht. 


Catherine Foster hat nun einmal eine individuelle Körperlichkeit, um es freundlich zu sagen, der man allerdings durch geschicktes Verhüllen und Drapieren hätte Rechnung tragen können und müssen, anstatt sie derart zu desavouieren. Sie sieht in ihrem hellblauen Kleid der Zwanziger- oder Dreißigerjahre mit blond gewellter Perücke aus wie die Parodie einer unförmigen, etwas zu groß geratenen und tollpatschigen Diva, zumal die Regie nichts Besseres zu tun hat, als sie zu veranlassen, ständig am Schleier zu zupfen, den Schleifrock zu heben, um nicht hinzufallen und verlegen ihr Kleid zu ordnen. Das ist nicht selten unfreiwillig komisch, ja mutet fast arodistisch an. Dass Brangäne wie Cosimas Gouvernante aussehen muss und sich esoterischen Pendelns zu befleißigen hat, leuchtet ebenso wenig zwingend ein, wie das Entwirren und Aufwickeln eines blauen, verknäuelten Seils durch Brangäne und Isolde, als wären sie den Nornen aus der Götterdämmerung entlaufen. Nein, diese Inszenierung ist so absurd und verquast, dass ich mich nach dem zweiten Akt verabschiedete und fluchtartig das schöne Jugendstiltheater verließ, in dem ich in der Vergangenheit schon manch großartige Auffhrung sah.


Dabei war die muikalische Qualität der Produktion außerordentlich, GMD Alexander Merzyn und das Philharmonische Orchesters Cottbus beglaubigten aufs Eindrucksvollste das inkommensurable Werk. Merzyn hat einen klangopulenten, äußerst dramatisch aufgewühlten „Tristan“ dirigiert, sehr kompetent und glutvoll. Das Dirigat trug den hochfahrende Emotionen Rechnung, die dem Werk immanent sind. Mit geradezu dräuendem Gefühlszwang wurde die Substanz des Stücks zum Klingen gebracht, die die Regie verweigerte. Außer gelegentlichem Händchenhalten, keuschen Küsschen und abgeschmackte Konvention althergebrachter Operngesten ist von exemplarischer Liebe oder gar Erotik, aller Musik zum Trotz, nichts zu spüren.

 

Richard Wagner wollte mit „Tristan und Isolde“ schließlich „dem schönsten aller Träume ein Denkmal setzen“, wie er selbst einmal schrieb. Das Werk ist so etwas wie die letzte und gewaltigste musikalische Ikone romantischer Liebesvorstellungen, auch wenn Wagner das transzendierende Moment, aber auch das Antibürgerliche, das Gesellschaftssprengende, ja Asoziale des Eros durchaus kritisch reflektiert. Er zeigt in „Tristan und Isolde“ Traum und Wirklichkeit der Liebe, deren Utopie und Desillusionierung. Das eben macht die Dialektik des Werks und des Musikdramatikers Wagner aus. Doch die Cottbuser Lesart hat das nicht ansatzweise vermittelt in ihrer oberflächlichen Lesart.

 

Jedenfalls solle dieser mächtigste aller Triebe, wie Wagner bekennt, sich in dieser „Oper“ die mehr ist als nur eine Oper, noch einmal ungezügelt ausrasen. Musikalisch erlebt man das in Cottbus. Aber auch sängerisch ist die Aufführung geradezu sensationell: Catherine Foster hat eine imposante Stimme und ist eine intelligente Sängerdarstellerin. Sie singt Isolde konkurrenzlos, nicht ohne Grund gilt sie eine der gefeiertsten Wagnersängerinnen weltweit. Auch die Brangäne von Annika Schlicht beeindruckt mit Stimmschönheit und sicherer Technik.  Mit halber Lautstärke hätte sie allerdings dem Cottbuser Haus, ihrer Stimme und den Ohren der Zuhörer einen guten Dienst erwiesen.  Phonstärke war noch nie ein Qualitätsmerkmal von Singen. Bryan Register gibt einen kraftvoll-männlichen Tristan, der allerdings im zweiten Akt schon Einbußen zeigt, zumal Catherin Foster ihn mit ihren mühelosen Trompetentönen an die Wand singt. Perfekt in Stimmautorität wie Ausdruck und Deklamation (absolut wortverständlich) ist der schwarze Bass von Dimitry Ivashchenko als König Marke. Er führt eindrucksvoll vor, was kultiviertes Singen heißt. Auch die übrige Besetzung ist vorzüglich.


Alles in allem: Musikalisch ein Glücksfall, szenisch eine Peinlichkeit.