Werner Herzogs Lohengrin

Fotos: Unitel


Langweiliges Schwanen-Wunderwerk der Illusion

Der filmisch märchenhafte Lohengrin von Werner Herzog


Bayreuther Festspiele, Wiederaufnahme-Premiere 28.97.1993

 

Moderator: Der Lohengrin in der Regie von Werner Herzog steht seit 1987 auf dem Programm der Festspiele. Er ist jetzt noch einmal aufgefrischt worden, bevor er dann endgültig aus dem Spielplan genommen wird. Ist das richtig?

 

Ich: Ja. Die Inszenierung wird, wie auch der Tannhäuser, aus Magazinierungsgründen dem neuen Ring weichen. Sie ist im Übrigen mit sechs Jahren Aufführungsdauer länger als üblich im Spielplan. In der Publikumsgunst steht der Lohengrin allerdings nach wie vor ganz oben an. Auch gestern Abend hat sich das Publikum vor Begeisterung gar nicht halten können. Werner Herzog hat ja - gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Henning von Gierke eine ganz filmisch-realistische Version des Lohengrins auf die Bühne gestellt, die in ihrer Detailgenauigkeit des Bühne, in ihrer technisch perfekten Bild-Illusion und Lichtregie beeindruckt. Das ist eine auch in Nahaufnahmen sicher noch bis in die letzte Felsspalte naturalistisch abgebildete Film-Kulisse für einen Historienschinken, eine phantastische Landschaft mit gotischer Burgruine, schneebedecktem Hochgebirge, einer germanischen Steinformation, die an Stonehenge erinnert und mit plätscherndem Wasserbecken (Nachtrag: Die Produktion ist inzwischen auch als DVD erschienen). Das ist bühnentechnisch betrachtet, ein Wunderwerk des Illusionismus, das Auftritts-Wunder des Schwanenritters findet in dieser Inszenierung ja auch tatsächlich statt als ein solches der Lasertechnik, dennoch ist die Aufführung in ihrer Statuarik der Personenregie, in ihrer Bewegungslosigkeit, in ihrer bloßen Bildhaftigkeit doch sehr spannungslos. Es passiert halt nichts auf der Bühne, außer dass malerische Tableaus aufgestellt und filmische Massenszenen der Chor-Auf- und Abtritte zelebriert werden. Bei aller Würdigung der romantischen Bildperfektion, auch der mit Wasser-, Eis-, und Schneesymbolen eindrucksvoll operierenden Inszenierungslogik, und bei allem Respekt vor dem Mut zu solch radikal konventionellem Historismus: dieser Lohengrin überschreitet doch teilweise die Grenze zum Kitsch, er ist bloßes Ausstattungsstück, auf höchstem Niveau, zugegeben, aber doch im Grunde langweilig.

 

Moderator: War denn auch der musikalische Teil der Ausführung langweilig?

 

Ich: Also Peter Schneider, der künftige Musikchef der Bayerischen Staatsoper hat sicher der Inszenierung eine sehr entgegenkommende musikalische Lesart des Stücks hinzugefügt. Er hat einen sehr langen Atem, er nimmt sich viel Zeit für das Stück, er setzt ganz auf auratische Klangpracht und blendenden Orchesterglanz, aber er liefert doch mit seiner an der Oberfläche dieser Musik orientierten Deutung nicht mehr als den gefälligen Sound zur mondbeglänzten, tiefverschneiten Filmkulisse. Und vor dem Hintergrund dieser hochglanzpolierten Lohengrin-Musik im (mit Verlaub gesagt) Schmuseformat waren es eigentlich nur die von Norbert Balatsch mit bewährter Genauigkeit und Differenziertheit einstudierten Chöre, die dramatische Akzente setzten. Solistisch gibts Unterschiedliches zu berichten: die beiden herausragenden Stimmen der Aufführung sind Eike Wim Schulte als kraftvoll-profilierter Heerrufer und Isoldé Elchlepp als voluminöse und nuancenreiche Ortrud. Eva Johanssons Elsa überzeugte eigentlich nur in den lyrischen Passagen. Paul Frey hat als Lohengrin zwar an Sicherheit und stimmlicher Kraft hinzugewonnen, aber sein Timbre hat eine recht unschöne Färbung angenommen und sein wenig inspirierter Vortragsstil lässt es doch sehr an Geschmeidigkeit und Sensibilität fehlen. Gesangstechnisch zwar etwas ungehobelt, aber doch in seiner Rolle immer noch imposant war Ekkehard Wlaschiha als Telramund, der wie ein pelsüberstülpter Koloss aus deutscher Frühgeschichte wirkte.  Um ein Fazit zu ziehen: Glanz und Wonne eines Lohengrin-Glücks kann man dieser Aufführung allenfalls bildnerisch bescheinigen. Aber derlei nostalgische Fantasy-Romantik, imaginiert unter Einsatz modernster Illusionstechniken, ist dann doch letztlich zu wenig, als dass man von einer überzeugenden Auseinandersetzung mit dem Stück sprechen dürfte.

 

Frühkritik auf SFB 3 (Klassik zum Frühstück), am 29.07.1993