Elisabeth Schmierer: Jacques Offenbach

Elisabeth Schmierer „Jacques Offenbach und seine Zeit“

310 Seiten, Laaber Verlag 2009



Plädoyer für den verkannten Jacques Offenbach 


 

Immer noch und immer wieder scheiden sich an Offenbach die Geister. Das weit verbreitete Vorur-teil, seine Werke seien anspruchslose „Operetten“, scheint unausrottbar. Ein Missverständnis, das meist auf Unkenntnis beruht. Um so wichtiger ist ein Buch, das der Laaber Verlag kürzlich auf den Markt brachte. Die Musikwissenschaftlerin Elisabeth Schmierer hat es herausgegeben, und es ver-dient besondere Aufmerksamkeit. Der Titel: „Jacques Offenbach und seine Zeit“. Ein Plädoyer für eines der verkanntesten Genies des Musiktheaters.



In keinem seiner gesellschaftskritischen Werke des heiter-satirischen Musiktheaters hat Offenbach die da Oben und die da Unten so scharf gegeneinander abgesetzt wie  in „Pariser Leben“, wo Oberschicht und Unterschicht die Rollen tauschen, bzw. die Unterschicht die Oberschicht spielt. Blamieren tun sich alle gleichermaßen. Eine glänzende Gesellschaftssatire, in der die sozialen Verhältnisse in ihrer ganzen Fragwürdigkeit und Absurdität, Banalität und Ungerechtigkeit der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Und das mit einer Musik, die in ihrer Vorwegnahme von Mo-derne, von absurdem Theater alles andere als banal ist, im Gegenteil, für einen Grossteil des heutigen Publikums wohl eher zu intelligent.


Zurecht betont Elisabeth Schmierer in dem von ihr herausgegebenen Band, dass Jacques Offen-bach  ein vergleichsloser Erfinder eines auf politische Tagesgeschehnisse reagierenden, Musik-theaters war. Ob Mythenparodie, Märchen, Satire, Revue oder Burleske: Mit seinen mehr als 140 Bühnenwerken war Offenbach zu Lebzeiten einer der meistaufgeführten Komponisten seiner Zeit. Ganz im Gegensatz zu seiner heutigen Wertschätzung. Die 16 Aufsätze dieses Sammelbandes wol-len denn auch, „dem Musikliebhaber die faszinierende Welt des Komponisten eröffnen, dem Thea-terpraktiker zur Aufführung weiterer Werke anregen und den Wissenschaftler zu vertiefender Forschung motivieren“. Wobei alle Aufsätze für jedermann gut lesbar sind, hochinteressant und auch gelegentlich amüsant.


Ach "La Périchole", ein Stück über eine peruanische Straßensängerin, die dem spanischen Vizekönig lachend die Leviten liest, ist ein grandioses Werk, das jedwede Art von Absolutismus relativiert. Doch mehr noch: In seinem Aufsatz macht Albert Gier deutlich, dass in ihm die beiden Seiten Offenbachs besonders deutlich werden: Parodie und Idylle. Dazwischen entwickelte Offenbach in immer neuen Variationen sein Musiktheater, das hinter vielfältigen Masken verborgen, Wirklichkeit spiegelt: Gesellschaftliche Realität, verzerrt, parodiert, ironisiert oder ins Utopische, ja sogar ins Traumhafte und Groteske gesteigert. Und fast immer mit scharfer gesellschaftskritischer, ja politisch aufmüpfiger Stoßrichtung. Dabei stets mit dem Ziel der Bein- und Lachmuskel anregenden Unterhaltung.


Um Offenbachs Theater und seine Musik richtig zu verstehen, beleuchtet der Band von Elisabeth Schmierer auch Traditionen und Spielstätten Offenbachs. Sechs Aufsätze widmen sich dem The-ma. Sein Werke wurden ja nicht nur in den Bouffes-Parisien aufgeführt, sondern auch im Palais Royal, in der  Opéra-Comique, im  Theater in der Passage Choiseul, im Théâtre de la Gaité und im Théâtre des Variétés. 


Offenbachs Hauptwerke werden in dem Buch selbstverständlich behandelt, aber auch einige selten aufgeführte und seine Rezeption in Deutschland und Österreich. Wobei neben Bad Ems Wien von Anfang an eine besondere Rolle spielte. Ohne die Offenbach-Aufführungen in der Donaumetro-pole wäre so ein Erfolgsstück wie Johann Straussens „Fledermaus“, ja wäre die ganze Wiener Operette niemals entstanden. Dank sei Johann Nestroys Offenbach-Aufführungen im Wiener Carl-Theater. Dank sei auch den späteren Offenbach-Vorlesungen des spitzzüngigen Kulturkritikers Karl Krauss. Auch darüber liest man manches Interessante.


Das pseudochinesische, buffoneske Revolutionsstücke „Ba-Ta-Clan“ gehört zu den heute kaum je aufgeführten und doch originellsten Stücken Offenbachs, die Elisabeth Schmierer vorstellt. Zu Offenbachs Lebzeiten hat der Ba-Ta-Clan-Hype die ganze Welt infiziert, nicht nur die Theater, es wurden auch Amüsieretablissememts nach dem Stück benannt. „Orpheus in der Unterwelt“, „Pa-riser Leben“, „Die schöne Helena“, "Die Banditen", „Hoffmanns Erzählungen“ und Die Großher-zogin von Gerolstein“ kennt man. Aber was ist mit den übrigen  Bühnenstücken, zu schweigen vom Rest der insgesamt etwa 600 hinterlassenen Werke Offenbachs? 


„Dem ungeheuren Renommee zu seinen Lebzeiten entspricht weder die Forschungsliteratur noch die Präsenz seiner Opern im Repertoire“: Elisabeth Schmnierer hat völlig recht. Den Begriff Oper übrigens verwendet sie als Sammelbegriff für all die verschiedenen Gattungsbegriffe, die Offen-bach - jenseits des mißverständlichen und eigentlich unzulässigen Begriffs  „Operette“  -  benutzte.


Der nun erschienene Band plädiert mit Werk- und Literaturverzeichnis, Chronik und vielen weiterführenden Hinweisen nachhaltig, mit starken Argumenten und auch anschaulich – er enthält sehr interessantes Bildmaterial - dafür, Offenbach endlich zu den originelllsten und wirkungsmächtigsten Musiktheatralikern des 19. Jahrhunderts zu zählen, neben Wagner und Verdi,  auch wenn das Mancher nicht hören mag.   


 


Beitrag in MDR Figaro