Je suis Jacques UA in Köln

Foto: Paul Leclaire

Bärendienst an Offenbach: „Je suis Jacques“ (Uraufführung)

Eine verhunzte Jubiläus-Offenbachiade von Christian von Götz


Oper Köln, Premiere 22.06.2019



Wenn nicht drin ist, was draufsteht, spricht man von Etikettenschwindel, oder nicht? Die als Ehrung der besonderen Art angekündigte Uraufführung der Oper Köln kann man daher nicht anders als Etikettenschwindel bezeichnen. Aus Anlass des Gedenkens an seinen Geburtstag vor 200 Jahren hat man eine „Jubiläums-Offenbachiade“  bei Christian von Götz in Auftrag geben. Die Uraufführung sollte vom Gürzenich-Orchester Köln gespielt werden. Es wurde (auf der Internetseite des Hauses, in Presseveröffentlichungen und im Programmheft) aber lediglich eine „Instrumentierung von Ralf Sairon“ angekündigt, aber nicht, dass es sich um eine schwerwie-gende Bearbeitung (Reduzierung) für ein kleines kammermusikalisches Ensemble von nur sechs Musikern handelt: Klavier, Violine, Violoncello, Kontrabass, Klarinette und Schlagwerk. Und von diesen sechs Musikern stammten nach Befragung derselben am Premierenabend lediglich zwei aus dem Gürzenich-Orchester. Da ist man dann doch sehr überrascht und enttäuscht.


In seinem jüngst erschienenen, konkurrenzlosen Lehrbuch über die Offenbachiade („Musikthe-ater als Gesellschaftssatire. Die Offenbachiaden und ihr Kontext“) hat sich Peter Hawig an alle Dirigenten und Regisseure gewandt, mit der Bitte, das zentrale Diktum seines Buches zu beachten: „Offenbach ist Musikdramatiker“. Daher verbiete sich jede Art von musikalischer „Verhunzung“  im Sinne  von Bearbeitung, Orchesterausdünnung oder Arrangement für Kam-mer- bzw. Salonorchester. Offenbach wollte, wie man weiß, den großen Orchesterklang, seine raffinierte Instrumentierung spricht für sich. Viel von seinem musikalischen Witz, und seiner musikalischen Parodiekunst, und damit die Essenz seiner Musik geht bei derlei Reduzierungen verloren. 


Keine gute Voraussetzung also für einen „Streifzug durch Offenbachs Bühnenwerke“, „im Geiste der Bouffes-Parisiens“, wie die Urtaufführung von der Kölner Oper angekündigt wurde. Nein, mit dem Geist der Bouffes-Parisiens hat diese mit heißer Nadel zusammengeflickte „Of-fenbachiade“ (der Begriff stammt von Karl Kraus und meint alles andere als Operette, Blödsinn oder Klamauk) nicht viel zu tun. Alles was sie auszeichnet, vermisst man in diesem Stück: geistreiches wie satirisches Spielen und Jonglieren mit Zeiten, Räumen und Verkleidungen, Ironie vor allem und ein intelligentes, rebellisches, freches, und doppelbödiges, ja anspie-lungsreiches Libretto, das der Musik entspricht. 


Christian von Götz  hat sich für seine biedere, nicht einmal achtzigminütige, eindimensionale Aneinanderreihung von Offenbach-Musiknummern  eine sehr schlichte Rahmenhandlung aus-gedacht: Er hat in der ehemaligen und auch künftigen Kantine des Kölner Opernhauses am Offenbachplatz, in der Mitte eines schmalen, langen Raumes eine provisorische Bar mit dem Charme einer Baustelle einrichten lassen (Bühne Dieter Richter). Im rechten Winkel dazu hat man in den Innenhof einen schwarzen Kasten für die wenigen Musiker angebaut, deren Klang sozusagen um die Ecke zu den beiden links und rechts von diesem Kasten angeordneten Publikumstribünen  angeordnet ist.


Der Barmann Jakob, der im Begriff ist, zu schließen, outet sich schließlich, man ahnt es von Anfang an: „Je suis Jacques“ Offenbach.  Unter Donner und Blitz kommen, von diskretem Bühnenqualm umnebelt, nach und nach sechs Damen und Herren, die sich als Bühnenfiguren seiner Werke vorstellen: Die schöne Helena, Blaubart (der allerdings eher wie König Bobéche aus Walter Felsensteins legendärer Inszenierung aussieht), Orpheus, Lindorf (aus „Hoffmans Erzählungen“), die Puppe Olympia und ein Marktweib (aus „Les Dames de la Halle“). Anläss-lich seines Geburtstages bewirtet Jakob schließlich seine ungebetenen Gäste, die nacheinander Ausschnitte aus seinen Werken singen. Darunter selten oder nie gehörte Raritäten aus „Mon-sieur Choufleury“, „Les Fées du Rin“, „La Diva“, „Croquefer“, „Pomme d´Api“, „La Chanson de Fortunio“, „Geneviève de Brabant“,  „La Jolie Parfumeuse“, „Monsieur et Madame Denis“, „Vert-Vert“, um nur einige der 25 Musiknummern zu nennen.


Vielleicht sind die Auftritte der Bühnenfiguren Offenbachs aber auch nur als Halluzinationen einer anderen Art von „Dinner for one“ zu verstehen, denn Jacques singt zur Melodie von Rit-ter Blaubarts Lebensliebeslied: „Ich bin der Mann, der sich gut verwandeln kann“. Als er am Ende der Aufführung die Bar wirklich schließt, raucht er, alleingelassen von seinen Kunstfi-guren,  eine Wasserpfeife und philosophiert:  „Auf die Leichtigkeit der Kunst und die Geheim-nisse, die dazu da sind, nie gelüftet zu werden“. Von ähnlich trivialen, gelegentlich peinlichen Äußerungen wimmelt es nur so, neben  abgenutzten Blödeleien und beifallheischenden Kalauern.


Auch die meisten Überleitungen sind, wenn nicht an der Haaren herbeigezogen,, einfach banal. Das Trüffelquintett aus „Le Fifre Enchanté“  beispielsweise wird  - mit der Überreichung eines wohlduftenden Edelpilzes angekündigt als Alternative zu Lindorfs stinkendem Käse, den er zuvor mitgebracht hat. Vor der Air der Minette aus „La chatte metamorphosée en famme“ ver-wandelt sich tatsächlich in einer öminösen Kiste eine Katze in Offenbachs Frau Herminie, die auf die „vergessenen Werke“ ihres Mannes hinweist. Notenpapier wird ins Publikum geworfen. So wie auch Obst und Käse im Zuschauerraum verteilt wird. An der Bar wird getrunken und man spielt reichlich dick aufgetragen fröhliches Betrunkensein. Immer wieder werden aktuelle  Anspielungen auf scheinbar nicht enden wollende Renovierung der Kölner Oper eingestreut.

Erschreckend unprofessionell und unsensibel werden die deutschen Dialoge von den meisten Darstellern gesprochen, zum Teil mit starkem Akzent. Auch singen sie fast überwiegend Of-fenbach wie große Oper, phonstark nach dem Motto: Ich kann noch lauter! Was für ein Miss-verständnis, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Offenbach (von Ausnahmen wie beispiels-weise Hortense Schneider abgesehen) singende Schauspieler favorisierte. Auch wegen der Sprachbehandlung und Textverständlichkeit, die in dieser Kölner Veranstaltung sehr zu wün-schen übrig lässt. 


Aus dem Sängerensemble (John Heuzenroeder, Judith Thielsen, Jeongki Cho, Insik Choi, Matthias Hoffmann, Verena Hierholzer, Alina Wunderlin) ragen der lyrische Tenor Jeongki Cho und die Koloratursopranistin Alina Wunderlin wohltönend kultiviert heraus.


Diese Offenbachhuldigung ist eher eine Art Offenbachverhunzung, denn nicht nur die drama-turgische Konzeption, auch die Machart ist unter Niveau, das man erwarten dürfte. In den bie-deren, klischeehaften Kostümen von Sarah Mittenbühler darf chargiert werden, dass es nur so kracht. Die Inszenierung des Autors dieser anspruchslosen „Offenbachiade“, Christian von Götz, ist von einer ungeschickten Harmlosigkeit, die geradezu entsetzt.  Das Timing ist schlecht, es fehlt Esprit, Tempo und intelligenter Witz. Das Ergebnis ist Langweile. Deprimierend für Offenbachkenner!


Langweilig ist aber auch das neu komponierte musikalische Arrangement des Kölner Musikers, Dirigenten und Komponisten Ralf Soiron, einer vielseitigen Lokalgröße, über die man im Pro-grammheft übrigens rein gar nichts erfährt. Einmal abgesehen von einer eingefügten kleinen „Tannhäuser“- Anspielung ist  die Komposition erschreckend einfallslos: Offenbach im Wirts-haus- oder Jahrmarktssound, ohne Frechheit, Witz und Raffinement. Der tüchtige, begabte und viel gefragte junge Dirigent Gerrit Prießnitz  tut vom Klavier aus zwar sein Bestes, der Totge-burt Leben einzuhauchen, doch es ist vergebens. Die Oper Köln hat sich und Offenbach mit dieser trostlosen Jubiläumsveranstaltung zum 200sten Geburtstag des vielleicht bedeutendsten Sohnes der Domstadt keinen ehrenvollen Dienst erwiesen.  Das hat Offenbach nicht verdient!

 


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