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Klaus Waller: Paul Abraham. Der tragische König der Jazz-Operette
Starfruit publications, 384 Seiten, 289 Euro, ISBN 978-3-922895-44-2
Plädoyer für Paul Abraham, den tragischen König der Jazz-Operette
Paul Abraham war einer der originellsten, rebellischsten und frechsten Operettenkomponisten im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich. Seine Musik spiegelt die Euphorie, die Hoffnungen, aber auch die Brüche dieser Zeit. Vergnügliches, Schmissiges, Pikantes, Frivoles mischt sich mit Nostalgie, mit ungarisch-österreichisch-berlinerischem Lokalkolorit, aber auch mit amerikanischem Jazz. Zurecht wertet der Operetten-Spezialist Kevin Clarke vom Operetta Research Center: „Das Besondere an Paul Abrahams Operetten ist der Klang, diese Klangfarben, diese Klanggewalt, dieser Rausch, den er entwickelt, das ist natürlich der typische Klangrausch der späten Zwanziger-, frühen Dreißigerjahre in der deutschsprachigen Operette, aber mir ist niemand bekannt, von den anderen Operettenkomponisten, der solche Wucht und solchen Drive in der Musik hat.“
Die Liedtexte und Dialoge der Abraham-Operetten sind sarkastisch, ironisch, gewagt und tagesaktuell, oftmals durchzieht sie aber Melancholie. Abraham hatte die besten Librettisten seiner Zeit, Fritz Löhna-Beda und Alfred Grünwald, sie verstanden sich auf feinen Humor der Ausgegrenzten. Und es geht in den Stücken immer darum, wie finden sich Mann und Frau, und wie wird man einander wieder los:
Abrahams Operetten bevölkern Männer von Welt, Parvenüs und Nichtsnutze, Salonlöwen, Damen, Flittchen, Femme fatales und Mäuschen. Es sind hintersinnige Stücke von Liebesfreud und Liebesleid sowie Irrungen und Wirrungen zwischen den Geschlechtern, wie sie kein anderer so auf die Bühne brachte.
Abrahams Karriere war kometengleich. Vom Nobody aus dem kleinen südungarischen Ort Apatin, kam er 1930 über Budapest nach Berlin, stieg er innerhalb von nur drei Jahren zum europaweit bestbezahlten und umjubelten Star-Operettenkomponisten seiner Zeit auf. Abraham wurde reich, Lud zu Champagner und Kaviar, besaß Limousinen, Butler und Chauffeur, kaufte sich in der noblen Berliner Fasanenstrasse eine schlossartige Villa. Doch so steil wie seine Kometenbahn 1930 aufstieg, so steil stürzte sie 1933 ins Nichts. Alles detailliert nachzulesen bei Klaus Waller. Abraham floh über Budapest, Wien, Paris und Havanna nach New York. In den USA konnte er an seine Erfolge in Europa allerdings nicht anknüpfen, erkrankte an Syphilis, war geistig verwirrt und verbrachte schließlich 10 Jahre – von der Welt vergessen - in einer psychiatrischen Klinik. Ein besonders tragischer Fall von deutschem Emigrantentum in den USA, das Klaus Waller ausführlich darstellt
Durch einen Zeitungsartikel im New Yorker „Aufbau“ aufmerksam geworden, überschrieben „Der Komponist im Irrenhaus“, wurde 1956 Paul Abraham auf Betreiben von Freunden, organisiert in einem „Paul-Abraham-Komitee“, vor allem aber auf Initiative des Psychiaters und Neurologen Professor Bürger-Prinz am Eppendorfer Klinikum Hamburg nach Europa zurückgeholt. Abraham verbrachte in Hamburg die letzten 4 Jahre seines Lebens in Hamburg. Der renommierte Professor Bürger-Prinz hatte nach 1945 seine Nazi-Vergangenheit und seine Mitwirkung an Euthanasie-Projekten geleugnet. Das erschütternde Schlusskapitel aus dem Leben Paul Abrahams wird in der zuverlässigen, ungeschönten Biographie von Klaus Waller nicht verschwiegen: „Der von den Nationalsozialisten verfolgte Paul Abraham wurde nun von einem Arzt behandelt, der im Dritten Reich unter anderem als Richter im ‚Erbgesundheitsgericht‘ tätig war…, Bürger-Prinz konnte der Patient nur Recht sein, denn er war dabei, sich in der Bundesrepublik ein neues Renommee zu verschaffen“ (Waller).
Das Buch von Klaus Waller beschreibt aber auch gewissenhaft die wesentlichen Werke Abrahams, ihre Aufführungsgeschichte und ihre Darsteller, unter denen die Soubrette Rosy Barsoni und der Buffo Oscar Denes, die zu den Lieblingen Abrahams gehörten. Man höre sich nur die historischen Aufnahmen mit diesem Sängerdarstellern an. Unübertroffen bis heute. Diese vitale, völlig unkitschige, ja angriffslustige Operettentradition wurde von den Nazis beendet, wie Waller veranschaulicht.. Seine Abraham-Biographie enthält darüber hinaus nicht nur einen aufschlussreichen Beitrag des Arrangeurs Henning Hagedorn über die Rekonstruktion der Partituren Abrahams. Viele sind nicht vollständig erhalten. Es gibt auch einen Bericht Anna-Maria Keménys über Ihren Vater Egon Kemeny, Komponist im Schatten und enger Mitarbeiter Paul Abrahams. - Abraham stand unter manischem Produktionszwang. Er schrieb neben unzähligen Operetten auch Filmmusiken und Schlager für die Film- und Operettengrößen der Zeit: Gita Alpar, Willy Fritsch, Rita Georg, Marika Rökk, Camilla Horn und Maria Müller.
Die Produktionen des Regisseurs Barrie Kosky an der Komischen Oper Berlin hatten geradezu Signalcharakter für die internationale Wiederentdeckung Abrahams auf den Theatern. Kosky bricht denn auch in einem Gespräch mit dem Dirigenten und Pianisten Adam Benzwi, das im Buch abgedruckt ist, eine Lanze für Abraham als „Sinfoniker der Großstadt“ und macht ungeniert Werbung für sein Haus. Er ist stolz darauf, in den letzten Jahren immerhin vier Operetten Abrahams an der Komischen Oper aufgeführt zu haben: Dschainah. Das Mädchen aus dem Tanzhaus, Roxy und ihr Wunderteam, Ball im Savoy und Die Blume von Hawaii.
So wie Barrie Kosky mit seinen Inszenierungen an der Komischen Oper, trägt auch das Buch von Klaus Waller zur Wiederentdeckung Paul Abrahams bei, der im Gegensatz zu Franz Lehar, (der ihn seinen „Kronprinzen“ nannte), im allgemeinen Bewusstsein nicht mehr vorhanden ist. Wallers Buch ist mit fabelhaftem Bildmaterial ausgestattet, darunter viele bewegende Foto-Raritäten. Ein Buch, das nicht nur außerordentlich informativ ist, sondern den Leser neugierig macht auf Paul Abraham und seine Musik.
Sendung im DLF, Musikjournal am 19.07.2021 & Beitrag in Opera Lounge