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Vom hintergründig ironischen Konzept der schwarzen Komödie Mozarts bleibt nichts übrig als ein banalisiertes Abziehbildchen von Treueprobe im Proletenformat. Die Rapper Guglielmo und Ferrando in Jogging-Anzügen sind dessen Exponenten. Ob das das Verständnis für Oper weckt? Ist die Zerstörung der Oper als Kunstform der angemessene Weg zum Verständnis für dieser Kunstform?
Mozarts Freundespaar Ferrando & Guglielmo gerappt. Foto: Monika Rittershaus / Komische Oper Berlin
Hip H´Opera – Cosi fan tutti - Eine „Cross-Culture-Version"
Cosi fan tutte für Jugendliche, in der Sprache der Jugendlichen, reduziert aufs – mit Verlaub gesagt - naive Verständnis jener, die Oper nicht verstehen.
Komische Oper Berlin, 4.-6.04.2006
Die Komische Oper Berlin hat seit der Amtsübernahme von Andreas Homoki als Intendant des Hauses immer wieder mit extremen, grausamen, sexistischen oder einfach nur Werke demontierenden Inszenierungen von sich reden gemacht. Die Folge waren Irritationen, Kontroversen, Verstörungen, Ärger und Protest. Das treue Stammpublikum wurde in nie gekannten Scharen aus dem Theater vertrieben. Man setzt aufs junge Publikum. Bisher hielt sich dessen Zustrom allerdings in Grenzen. Nun hat man in drei Tagen ein Experiment der besonderen Art gewagt: Man gibt Mozarts Cosi fan tutte ausschließlich mit jugendlichen Musikern, Sängern und Rappern. Eine „Hip H´Opera“ heißt das Projekt – mit dem Untertitel „Cosi fan tutti“.
Es beginnt ganz unverdächtig. Die Ouvertüre von Mozarts Cosi fan tutte, gespielt von einem ambitionierten Jugendorchester. Der Vorhang geht auf. Die Bühne ist nackt, nur ein grauer Rundhorizont auf halber Höhe, darunter und darüber Batterien von Scheinwerfern und Lichtmaschinen, wie man sie von Pop-Konzerten kennt. Sechs schwarze Säulen, weiß bemalt, lassen sich drehen und markieren verschiedene Örtlichkeiten, im Hintergrund eine Comic-Szene. Mozart „streetwise“, man ahnt es schon. Immer noch spielt die Cosi fan tutte-Ouvertüre, wie gewohnt. Dann heben andere Klänge an.
Hip-Hop Beat und Rag sind es, die Wolfgang Bender und Chatschatur Kanajan Mozart beigemengt haben, Bettina Bartz und Martina Hintze haben Mozart-Da Pontes Libretto um etwa die Hälfte gekürzt, eingedeutscht und für die Kids auf der Straße zugerichtet. Martin Kosuch hat sich das Projekt ausgedacht:
„Der Anlass ist die Idee, Hip-Hop und Oper miteinander zu verbinden und die Kernidee dabei ist, dass ich sage: Jugendliche sind das Publikum von heute und sie in Opern und Musiktheaterproduktionen maßgeblich zu beteiligen, das ist eine große Chance für das heutige Musiktheater.“
Eine „Cross-Culture-Version zu Mozarts Oper Cosi fan tutte“ nennt sich die Produktion, es ist eine Fusion von Oper und HipHop Beat, mal wird gesungen, meist gesprochen, jeder darf mitmachen, wie er halt eben kann. Einschließlich Disc Jockey und 40 jugendlichen Sängern und Tänzern zwischen 16 und 24 Jahren aus allen Berliner Bezirken, allen sozialen Schichten, allen Schul- und Ausbildungsformen und vielen unterschiedlichen Nationen.
„Das Anliegen ist, deren Kultur, deren Tradition oder was sie gut finden, an so was wie Oper ranzubringen. … Ich hab ja mit den Vierzig gearbeitet die ganze Zeit und ich weiß, dass das gelungen ist, definitiv.“
Die Choreographin und Regisseurin Nadja Raszewski von der alternativen Berliner TanzTangente ist überzeugt von ihrer Arbeit. Sie hat ja auch seit acht Monaten mit den zumeist in Sachen Oper unbedarften aber hochmotivierten Jugendlichen das Stück einstudiert, gemeinsam mit der Musiktheaterpädagogin Kathrin Ostrop, die mit ihren Workshops Berliner Schüler und Jugendliche auf Musiktheater neugierig macht.
„Also die Youth Crew ist absolut begeistert, das Jugendorchester vom P.E. Bach Musikgymnasium sind auch super begeistert, von der Art und Weise, wie wir mit der Musik umgehen, mit dem Text umgehen, wir hatten auch Jugendliche da aus der 7. Klasse und die fanden das auch total phantastisch. „
Jugendarbeit also, die beim jugendlichen Publikum gut ankommt, das sich sonst ja sehr rar macht in der Komischen Oper, wie überhaupt in Berlins drei Opernhäusern. Klassik für die Kids.
Die Discoqueen Despina bringt auf den Punkt, was das Cross-Culture Projekt der Komischen Oper Berlin auszeichnet: Mozarts Cosi fan tutte für Jugendliche, in der Sprache der Jugendlichen, reduziert aufs – mit Verlaub gesagt - naive Verständnis jener, die Oper nicht verstehen. Was man ihnen nicht vorwerfen kann, eher denen, die es versäumt haben, sie ihnen nahezubringen. Man muss die Kinder und Jugendlichen zur Klassischen Musik heranführen, gewiss. Sir Simon Rattle hat´s ja vorgemacht mit seinem weltweit beachteten Projekt „Rhythm is it“. Nur, dass er kein Werk musikalisch verhunzt hat. An Berlins Komischer Oper, wo Peter Konwitschny und Calixto Bieito, um nur zwei Exponenten gegenwärtiger Operndestruktion zu nennen, den Weg gewiesen haben, ist man da ungenierter.
„Ich glaube, Mozart würde das richtig gut finden, weil ich finde, Mozart ist der Hip-Hopper oder der Punk seiner Zeit gewesen, er ist genauso angeeckt mit seiner Musik, …. Und ich hab oft an ihn gedacht …“
Hip H´Opera Cosi fan tutti – wie sich das ehrgeizige Projekt der Komischen Oper Berlin nennt, ist eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits schafft es, was keine eigentliche Oper bisher schaffte, für drei Mal die Komische Oper bis unters Dach mit ausschließlich Kindern und Jugendlichen zu füllen. Aber zu welchem Preis? Ist das die radikale, im Grunde konsequente Fortsetzung der längst legitimierten Demontage von Oper, die weder vor Noten noch Buchstaben Halt macht, oder nur der verzweifelte Versuch, dem dramatischen Publikumsschwund am Hause entgegenzuwirken um den Preis der gänzliche Verhunzung der Gattung Oper?
„Ne, das glaube ich deshalb nicht, weil ich … also ich definier den Begriff Kunst überhaupt gar nicht erst mal. Und ich finde, dass alle Künste hier stattfinden, in dieser Oper, und trotz alledem ich so bescheiden bin zu sage, von Anfang an ist diese Sache geplant als ein Experiment, was Cosi fan tutte auch in der Geschichte hat, da kann sicher auch die eine oder andere Sache schief gehen, grundsätzlich finde ich aber natürlich, dass das Experiment gelungen ist. „
Der Begriff Kunst wird also gar nicht definiert. Eben! Er wird nicht mehr ernstgenommen. Nadja Raszewski ist wie die übrigen Verantwortlichen der Produktion natürlich überzeugt davon, dass jeder Eingriff in Musik und Text einer Oper gerechtfertigt ist. Der Zweck heiligt die Mittel! Alles ist erlaubt, wenn es nur Leute ins Opernhaus zieht. Bedenkenlos wird der alltägliche Gossen-Jargon der Berliner Jugendlichen Mozarts Cosi fan tutte übergestülpt. Das intelligente, doppelbödige Libretto und die musikalische Struktur der Oper werden – um es deutlich zu sagen – völlig zerstört. Vom hintergründig ironischen Konzept der schwarzen Komödie Mozarts bleibt nichts übrig als ein banalisiertes Abziehbildchen von Treueprobe im Proletenformat. Die Rapper Guglielmo und Ferrando in Jogging-Anzügen sind dessen Exponenten. Ob das das Verständnis für Oper weckt?
„Cosi fan tutte ist ja eine phantastische Geschichte, die fast 250 Jahre alt ist und das Thema ist … ein heutiges Thema: Eifersucht, der Treuetest, mit Gefühlen zu experimentieren… „
Martin Kosuch hat durchaus recht. Nur: Ist die Zerstörung der Oper als Kunstform der angemessene Weg zum Verständnis für dieser Kunstform? Wie weit darf denn Popularisierung und zielgerichtete Verflachung von Oper und Klassicher Musik noch gehen? Man muss sich über die Ergebnisse der Pisa-Studie und den zunehmenden Niveauverlust der (Musik-) Kultur nicht wundern, wenn Kultur- und Bildungspolitiker, aber auch Opernmacher scheinbar bedenkenlos das Populistische propagieren und favorisieren. Ob Bundesliga oder Philharmonikerkonzert, Komische Oper oder Hip Hop: Kultur ist für alle da! Natürlich. Aber darf man Thomas Manns Buddenbrooks zum Groschenroman umschreiben, Rembrandts Goldhelm mit Graffitti überziehen, um ihn den Straßenkindern schmackhaft zu machen, und Mozarts Cosi fan tutte zu einem HipHop Spektakel zurechtstutzen, um die Kids zu erreichen? - Mozart schrieb seinem Vater, der ihn „wegen des sogenannten Populare“ ermahnt hatte, einmal, er schreibe „Musik für alle Gattungen von Leuten, – ausgenommen für lange Ohren nicht.“
Beitrag für SWR 2, Musik aktuell am 7.4.2006
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