Golem 13

Photo: Nationaltheater Prag                                     Photo: Der Autor


Golem 13. Ein kabbalistisches Drama

von George Whyte. Musik von Noam Sheriff


Uraufführung im Nationaltheater Prag 29.06.2009

      

Als ein kulturelles Highlight der tschechischen Ratspräsidentschaft präsentierte das Prager Nationaltheater am 29. Juni 2009 die Uraufführung von „Golem 13“, einem „kabbalistischen Drama“ des britischen Autors George Whyte in der Vertonung des israelischen Komponisten Noam Sheriff (Schüler von Boris Blacher). Die unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Tschechischen Republik, Václav Klaus, stattfindende Produktion trifft mit der Holocaust Era Assets Conference zusammen, die zur gleichen Zeit in Prag abgehalten wird, Zugleich erinnert sie an den 400. Todestag des „Maharal“ (auch Judah Löw genannt), des großen Weisen und Rabbis, der im Prag des 16. Jahrhunderts den Golem erschaffen haben soll.  

Es ist weitgehend traditionelle Musik, die Noam Sheriff dem „Golem13“-Drama von George Whyte unterlegt, eine verspielte, unbekümmerte, eklektizistische Mischung aus Abendland und Morgenland, Jüdischem und Europäischem, Altertum und klassischer Moderne, zwischen Synagoge und Broadway. Der Komponist bekennt sich zur Tonalität und er schreckt auch nicht vor ironischen U-Musik-Anleihen zurück.

Ich suche einen Weg zwischen orientalischer Musik, also Pentatonik, uralter jüdischer Musik und abendländischer Musik. Diese Reibung zwischen den Mentalitäten, das ist faszinierend. Meine Musik ist mehr museal als zeitgenössisch. Ich versuche unsere schöne jüdische Tradition als Wert vorzuführen.

Ob die Verteidiger und Beckmesser zeitgenössischen Komponierens Noam Sheriffs Musik wertschätzen, sei dahingestellt. Zeitgenössische Musik oder was man so nennt, ist das jeden-falls nicht. Und die Vorwürfe werden gewiss kommen. Noam Sheriff kümmert das nicht und die Zuschauer jedenfalls der Prager Uraufführung dankten dem Komponisten die rhythmisch wie melodisch so abwechslungsreiche, die sinnliche, emotionale und leicht verständliche Sprache seiner Musik.  

Man kann heute alles benutzen, es gibt unendlich viele Mittel und Stile, die uns zur Verfügung stehen, aber es geht doch darum, Mittel zu benutzen, damit das Publikum uns versteht!

So wie die Musik Noam Sheriffs den Blick  ins Gestern und ins Gewesene richtet, greift George Whytes zweiaktiges Drama den alten jüdischen Mythos vom Golem auf, den der legendäre  Rabbi Löw angeblich im 16. Jahrhundert in Prag erschaffen haben soll, ein Homunkulus, ein künstlicher Mensch aus Lehm, der die Juden beschützen sollte und schließlich ein Zauberlehrling, wurde, der außer Kontrolle geriet.

 

Der 79jährige George Whyte, – der hierzulande vor allem mit seiner Dreyfus-Oper von sich reden machte - weitet den jüdischen Mythos aus ins Allgemeine und wagt den Spagat von der Vergangenheit in die Zukunft. „Golem 13“ ist so etwas wie ein Bekenntnisstück, wo nicht gar ein Weltabschiedswerk, oder um es in Wagnerscher Terminologie zu sagen, ein Bühnen-weihfestspiel“.  Das Wort „Oper“ will Whyte allerdings nicht hören

Alles ist heute Oper. Die Oper ist oft nur noch eine anspruchslose Art von Unterhaltung. Mein Stück ist eben keine Oper. Ich nenne es ein kabbalistisches Drama mit Musik. Der Golem soll das Publikum aufrütteln, nicht amüsieren.

Der erste Akt des Stücks spielt im 16. Jahrhundert, der zweite 2500 Jahre später. Wieder ist es die bedrohte Judenheit, die sich einen Golem erschafft zur Abwehr von existenzbedrohender Gefahr, die die jüdische Geschichte durchzieht wie ein roter Faden. Der Golem der Zukunft ist allerdings ein Roboter. Whyte verschmilzt in seinem überwiegend englischsprachigen Stück Mystik und Mythos mit Kybernetik, Kabbala mit Computer-Technologie. Eine künstliche Science-Fiction-Intelligenz ist es, die geschaffen wird, eine Mischung aus Superman und Parsifal, ein Anthropoid, der zum unkontrollierbaren Terminator wird einer Parabel von Anfang und Ende der Judenheit.  Die Juden sind für Whyte Metaphern schlechthin für den Menschen an sich in seiner Gefährdetheit. Sein Golemdrama ist denn auch durch und durch pessimistisch. Nicht nur, weil er selbst 35 Familienmitglieder in Auschwitz verloren hat. Am Ende bleiben nur die Prophezeiungen des Jeremias. George Whyte:

Meine Botschaft lautet, dass die menschliche Gattung und ihre Bestimmung nur im Zusammenhang mit dem Schicksal der Juden gesehen werden kann. Wenn die Welt nach dem Holocaust weiterhin unschuldige Menschen verfolgt, und ich glaube, dass die Juden heute  in größerer Gefahr sind denn je zuvor, wenn die Welt diesen verheerenden Weg weiter beschreitet, stürzt sie sich selbst in einen bodenlosen Abgrund. Allen, die guten Willens sind, rate ich: Liebe deinen Nachbarn wie Dich selbst!

Die Inszenierung der jungen Regisseurin Julia Pevzner ist so schlicht wie professionell. Eine gestufte Bühne, Stühle, ein großer Tisch, Scheinwerferbatterien, die vom Schnürboden herabfahren, Projektionsflächen im Hintergrund. Mehr hat ihr Jan Dusek nicht zur Verfügung gestellt. Realistische Kostüme von heute.  Martin Kermes zeigt Videoprojektionen demagogischer Politiker, rasender Zahlenkolonnen und blinkender Warnungen mit dem Wort „Danger“, die auf‘s Ende zusteuern, das Ende des Golem 13, des nicht mehr beherrschbaren jüdischen Cyborgs der Zukunft. Das Stück ist ein jüdisches Endspiel. Eine sparsame Inszenierung zwar, man könnte sich bei dem Thema suggestivere Bilder und Vorgänge auf der Bühne vorstellen. Aber eine eindrucksvolle Produktion ist es allemal. Szenisch wie musikalisch.

Der junge Dirigent Marco Ivanovic beherrscht den um 23 Blech und Holzblasinstrumente, Percussion, Cymbal, Xylophon, Glockenspiel, Gongs, Tempelglocken sowie Keyboard, Celesta, Synthesizer und Cembalo erweiterten Orchesterapparat, dem 30 Geigen und Bratschen, 8 Celli und 7 Kontrabässe angehören, souverän. Und er hat sich bemüht, aus der mehrschichtigen Partitur das Beste herauszuholen. Der Tänzer Martin Goga hat einen jungen, erotisch attraktiven Superman aus Lehm gespielt. Der Tenor Ales Briscein hat ihm nach der Pause seine Stimme zur Verfügung stellte, die elektronisch verfremdet wurde. Der Bariton Michael Bundy singt den Rabbi, die Mezzosopranistin Katerina Jalovcova ist seine Tochter Judith.

Alle sechs solistischen Partien, darunter allein vier Tenöre, sind sehr gut besetzt. Auch das Orchester und der Chor des Prager Nationaltheaters beweisen hohes Niveau. Das im Übrigen prachtvolle Theater am Moldau-Ufer ist sicher der denkbar beste Uraufführungsort für dieses Stück. Auch und gerade für George Whyte, aber trotz seiner ungarisch-tschechischen Herkunft wünscht er sich eine Aufführung in Deutschland:

Warum? Ich befasse mich mit der ganzen historischen Krankheit des Antisemitismus. Und das Podium, das zwar besonders schmerzlich belastet ist, aber auch am aufgeschlossensten diesem Thema gegenüber, ist nun mal Deutschland.

 

Beitrag für SWR 2, Musik aktuell