Ring der Vielfalt. Staatstheater Karlsruhe

Ring der Vielfalt. Der neue Karlsruher "Ring"  The Making of


Von Boris Kehrmann/Elke Trogisch/Christiane Hein.

Badisches Staatstheater Karlsruhe 2018. 256 S.


Ironie der Wagner-Aufführungsgeschichte,  dass am ehemals Badischen Hoftheater, dem heutigen Staatstheater Karlsruhe, zwei der gegensätzlichsten wie wirkungsmächtigsten Wag-nerdirigenten "zuhause" waren: 1864 -1872 Hermann Levi, der hochbegabte jüdische Bruck-ner-Student, Assistent Hans Richters bei der Bayreuther "Ring"-Uraufführung und spätere, von Wagner fachlich überaus geschätzte "Parsifal"-Uraufführungsdirigent in Bayreuth.  Von 1880 - 1903 war Felix Mottl Hofkapellmeister der Großherzoglich Badischen Hofkapelle Karlsruhe. Er wurde später der favorisierte Hausdirigent der (notorisch antisemitischen) Wag-nerwitwe Cosima, auf ihn geht das (entgegen Wagners Absicht eingeführte) Bayreuther Pathos der langsamen Tempi zurück, vor allem aber war er ein erklärter Antisemit, der sich dafür ein-setzte, bei den Bayreuther Festspielen jüdische Sänger und Musiker nach Möglichkeit von der aktiven Mitwirkung auszuschließen. Ein schlimmes Kapitel für sich.


Wie auch immer: Der Geist Richard Wagners schwebt über Karlsruhe. Hermann Levi wie Fe-lix Mottl waren stilbildende Wagnerinterpreten. Auf sie geht die lange Wagnertradition des Karlsruher  Hauses zurück, dem schon Richard Wagner aufgrund seiner Freundschaft mit dem Großherzog von Baden engstens verbunden war. Das Badische Staatstheater ist bis heute eines jener nicht eben vielen Theater, zu deren Identität es gehört, alle paar Jahre einen neuen "Ring des Nibelungen" zu präsentieren. Franz Liszts Motto sich auf die Fahnen schreibend, hat man in Karlsruhe in den Jahren 2016-2017 „die einzelnen Dramen“ der Tetralogie als „selbständige Stücke“ gegeben, von vier verschiedenen Regisseuren inszeniert.  Einen "Ring der Vielfalt" nennt ihn der findige, clevere Generalintendant Peter Spuhler, der in Karlsruhe eine außer-gewöhnliche Spielplanpolitik realisiert.


Es ist die Vielfalt der Positionen und Blickwinkel, die die Regisseure David Hermann, Yuval Sharon, Thorleifur Örn Arnasson und Tobias Kratzer auf Wagners Nibelungensaga werfen. Die vier jungen Regisseure inszenieren unabhängig voneinander die vier Abende der Tetra-logie auf je verschiedene Art und Weise: traum- und  märchenhaft, gesellschaftskritisch, vi-sionär,  abstrakt und modern, mit Witz, Ironie, Sinnlichkeit, aber auch kritischer Distanz. Sowohl das Dämonische als auch das Burleske, das Abgründige und das Utopische in Wagner kommen in diesem "Ring" zum Vorschein.


Das verbindende Element stiftet die Musik unter Leitung von Generalmusikdirektor Justin Brown. Er definiert den traditionsreichen Wagnerklang der Badischen Staatskapelle, die seit Wagners Lebzeiten mit der Musik des "Meisters" vertraut ist, "in ihrer hochentwickelten Sensibilität für Klangfarben, ihrer geschmeidigen Bereitschaft und Fähigkeit, die jeweilige Gefühlstemperatur des Moments zu fühlen und sie blitzschnell umzusetzen". Die suggestive Theatralik dieses von den extrem unterschiedlichen  Handschriften der 4 Regisseure und ihrer Ausstatter  geprägten „Rings“ ist beeindruckend eingefangen im opulenten Photomaterial die-ser ungewöhnlich sorgfältig aufbereiteten, Dokumentation des jüngsten Karlsruher "Rings", seiner gedanklichen Konzeption, technischen Machart und praktischen Aufführung. Man erfährt viel darüber, was hinter den Kulissen eines solchen Mammutprojekts geschieht, um es zu realisieren. Ausführliche Porträts der Regieteams, des Sängerensembles, aber auch grund-sätzliche Texte über Wagner und Wagnerpflege in Karlsruhe und eine Dokumentation der überwiegend euphorischen Pressereaktionen auf diesen ungewöhnlichen "Ring" runden den stattlichen Band ab, der nicht nur für Besucher der Aufführungen interessant ist, zumal der Karlsruher "Ring" flankiert wird von zwei Werken, die sich auf unterschiedliche Weise mit der "Ring"-Rezeption in der Wilhelminischen Zeit und in Nazideutschland auseinandersetzen, der satirischen Operette "Die lustigen Nibelungen" von Oscar Straus und einem Auftragswerk des Staatstheaters Karlsruhe, der Oper "Wahnfried" des Komponisten Avner Dorman, die um einen der schlimmsten rassistischen und ideologischen Bayreuther Brunnvergifter, Houston Stewart Chamberlain kreist.


Auch diese beiden Produktionen des Karlsruher Wagner-„Gesamtpakets“ werden bestens do-kumentiert und eingebettet in politische, musikästhetische und theatrale Überlegungen, die einmal mehr die Vielseitigkeit und Kreativität des Badischen Staatstheaters in Sachen Wagner unter Beweis stellen.


Rezension u.a. auch in "Das Orchester" (Schott) und MDR Kultur