Michael Hampe Opernschule

Von Tieren lernen oder Rettungsringe im Meer des Dilettantismus

Michael Hampe: Opernschule

Für Liebhaber, Macher und Verächter des Musiktheaters 

Böhlau Verlag 2015, 191 S.



Michael Hampe, der nicht nur jahrzehntelang in aller Welt Regie geführt, sondern auch als Professor an mehreren Universitäten gelehrt und bedeutende Opernhäuser und Festivals geleitet hat, feiert am 3. Juni seinen 75. Geburtstag.  Nach seinen Publikationen "Oper - Spiel ohne Regel" und "Alles Theater" darf sein neustes Buch als eine Art Resümée seines Lebens für die Oper gelten. 



Seit ihrer Erfindung vor mehr als 400 Jahren, als Claudio Monteverdi für erste Höhepunkte der Opernge-schichte sorgte,  hat eine neue Kunstgattung die Welt erobert. „Favola per Musica“ hieß sie. Heute sprechen wir von „Oper“. Ihr Ziel war und ist, wie Michael Hampe schreibt, „Eine Geschichte durch Musik zu erzäh-len“. Deshalb habe sich in der Oper alles nach der Partitur, also nach der Musik zu richten. Die Oper sei nun mal ein musikalisches Kunstwerk.  Es sei bizarr, dass immer mehr Unberufene von Intendanten zur Opern-regie eingeladen würden, um „neue Wege“ zu finden, schreibt Hampe.  Genauso gut könne er, so schreibt Hampe, von der medizinischen Fakultät zur Durchführung einer Herzoperation eingeladen werden. So wie ein Architekt, ein Opernunkundiger, eventuell sogar -Hasser oder Filmemacher als Regisseur einer Oper. Das wäre dann zwar ein Event, aber „mit der Enddiagnose Operation gelungen. Patient tot.“


Es sei schon absurd: Musikalisch werde jede Sechzehntelnote penibel beachtet, aber szenisch herrsche völ-lige Willkür, so Hampes Diagnose. Dem entgegenzuwirken ist Absicht seines kleinen Buches. Es will der Diskrepanz zwischen Opernbetrieb und Opernwerk entgegenwirken, in dem es Regeln für die Kunst der „Darstellung durch Musik“ vermitteln möchte. Da sich das Genre „unter die Gesetze der Musik stellt“, nennt Hampe den Opernsänger konsequenterweise auch Musikdarsteller“  und nicht „Sängerdarsteller“.


Der Opernsänger müsse  ja „die Musik scheinbar für den Zuschauer erzeugen“. Sein Instrument ist die Stimme. Hampe definiert den Klang der Stimme: „Luft + Idee = Klang.“ Es ist eine der griffigen Formeln seines Vademecums des Opernhandwerks. Mit einem Kanon von Regeln und Techniken will er Rettungs-ringe in den „Ozean des Dilettantismus“  werfen. Regel Nummer eins: Jeder, der Oper mache, müsse zuerst einmal „Musikdetektiv“ sein, um herauszufinden, warum der Komponist seine Handlung so und nicht anders klingen lasse. Das gelte für den Regisseur wie für den Sänger. Der Regisseur brauche Phantasie, der Sänger Atem. Regisseur wie Darsteller müssen bei einer Aufführung das vom Komponisten Gewollte und Gemeinte enthüllen, und nicht verhüllen. Zur Ehrenrettung der Sänger betont Hampe, „dass sie oft selbst unter widrigen Umständen aus Begabung und Instinkt vieles richtig machen“. Sein Paradebeispiel: Maria Callas.


Maria Callas war für Michael Hampe eine ideale Musikdarstellerin, denn sie habe gewußt, wie man und wo man auftreten müsse, um optimal zu wirken und die Liebe des Zuschauers zu gewinnen, denn darum gehe es schließlich. „Über größere Distanzen verliebt man sich nicht.“ Die Callas habe um die ideale, meist auch akustisch vorteilhafte  Stellung im Goldenen Schnitt gewußt, weshalb diese Position in der Mailänder Scala noch heute der „Callas-Punkt“ genannt werde. Im Gegensatz zur rampenparallelen Position, die Hampe „Pfannkuchen-Stellung“ nennt. „Das Publikum soll sich in die Darsteller verlieben“ ist eine der wichtigsten Regeln Hampes. „Triff mitten ins Herz“ die zweitwichtigste, denn die Wahrheit des Herzens“ sei das Zent-rum jeder Opernaufführung. Sieben Grundfragen sind es vor allem, die Hampe Sängern, Regisseuren und Dirigenten ans Herz legt: „Wer? Wo? Wann? Was? Wie? Warum? Wer bin ich? Wo bin ich? und „mit wem spricht die Figur, wer ist der Adressat?“ Mit der strikten Befolgung dieser Regeln lasse sich „schlechte Oper“ weitgehend vermeiden. Aber auch mit Techniken überzeugender Bewegungen im Bühnenraum.  Da-zu zählen beispielsweise die Gesetze der Symmetrie, der „Panther-Tiger-Gang“, oder die  “Position zwi-schen zwei Feuern“. Überhaupt gelte es, von Tieren zu lernen. Auch ein Blick auf Comics sei zu empfehlen. In ihnen würden die Prinzipien der Oper oft konsequenter angewendet  als im Opernbetrieb. Eine seiner Faustregeln: „Das Bequeme ist Feind des Ausdrucks. Unbequem ist ausdrucksvoller.“ Eine andere: „Baue Hindernisse in die Darstellung ein. Sie erhöhen Spannung und Interesse“. Als Tod des musikalischen Thea-ters bezeichnet Hampe in seinem Regelwerk „Wackeln und Fummeln“. Das Schlimmste sei „mit den Händen Fliegen fangen“.


Michael Hampe bezeichnet Tito Gobbi als perfekten Musikdarsteller. „Er beherrschte sein Handwerk wie kein anderer und wußte es mit enormer Wirkung einzusetzen“. Hampe hat 1975 in Köln Verdis „Falstaff“ inszeniert, mit Tito Gobbi in der Titelrolle. Es war der letzte Triumph des Sängers. Bei Tito Gobbi, so betont Hampe zurecht, war jedes Wort verständlich. Von ihm hat er  denn auch einige seiner besten Regeln gelernt: „Suche in einem Satz die zwei wichtigsten Worte heraus, die das Publikum auf jeden Fall mitbe-kommen muß, um den Sinn zu verstehen“ , „Kaue den Text, bis er völlig verständlich wird“ und „Wie Du die Füße setzt, ist die Rolle“. Die schlichte Anschaulichkeit dieser und ähnlicher  Regeln und Techniken, die Hampe aus der Erfahrungsfülle seiner langen Theaterarbeit kondensiert hat, macht sein Buch  übers Anekdotische hinaus lesenswert und nützlich.


Statt eines Nachworts huldigt Hampe seinen Lehrern und Idolen, den Regisseuren Fritz Kortner, Max Rein-hardt, Leopold Lindtberg, Walter Felsenstein und Giorgio Strehler, dem Bühnenbildner Caspar Neher, dem GeigerLouis Krasner, dem Schauspielr Joseph Offenbach und dem Schriftsteller Friedich Dürrenmatt. Keine schlechte Schule! Doch heute - im Zeitalter des Dilettantismus, der Dummheit und des Mittelmaßes auch im Theater  - steht Hampe mit diesen Reverenzen leider, leider auf verlorenem Posten.Um so mehr muß man sein Buch, eines der klügsten zum Thema Oper seit langem  empfehlen: Oprnfreunden, Regisseuren vor allem, aber auch Dirigenten und Sängern....



Er habe in den vielen Jahren seines Opernlebens stets den Betrieb ändern wollen, schreibt Michael Hampe. Er war immerhin 20 Jahre lang Intendant der Kölner Oper.  Manchmal sei ihm das „ auch geglückt, für kur-ze Zeit, unter günstigen Umständen“.  Er gesteht: „Ich habe Schlachten gewonnen, aber den Krieg verlo-ren.“  Vielleicht, so hofft er, „kann das Buch“ zumindest „dazu beitragen, dass sich der Opernbetrieb ernst-hafter um die Oper bemüht.“ Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Werke und den Möglich-keiten des Apparats für ihre Darstellung sei gewaltig, so Hampe. Sein Fazit: Die Oper  ist „die Darstellung der Welt auf dem Theater durch Musik“. Keine andere Kunst könne in Raum und Zeit „ein so vollständiges, vieldimensionales Abbild der Welt zeigen“ wie sie. Das sei nur durch die Musik möglich! Und so darf man Hampes Buch trotz seiner Skepsis als Liebeserklärung an sie verstehen. Nicht zufällig vergleicht sie Hampe mit der Idee der  Keplerschen „Weltharmonie“: „Es ist die Fähigkeit der Musik, die „ihre irdischen Abbilder um das Gefühl der Unendlichkeit“ erweitere, und „der Oper ihre volle Höhe und ihren wahren Wert zumisst.“



Beiträge in: DLF Musikjournal  & MDR Figaro