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Misha Aster über die Berliner Staatsoper. Ein Gefälligkeitsbuch
Siedler Verlag 2017, 539 S.
Am 3. Oktober 2017 kehrt die Berliner Staatsoper nach siebenjähriger Sanierung und Restaurierung wieder an ihren angestammten Ort Unter den Linden zurück. Pünktlich zu diesem Termin hat der (kaum bekannte) kanadische Historiker und Opernregisseur Misha Aster, der schon mit einem fragwürdigen Buch über die Berliner Philharmoniker im Dritten Reich hervortrat, sein neustes Buch über die Geschichte der Staatsoper Unter den Linden vom Ende des Kaiserreichs bis in unsere Tage herausgebracht.
1742 hat Friedrich der Große das Opernhaus unter den Linden in Berlin gegründet und mit Carl Heinrich Grauns Oper „Cleopatra e Cesare“ eröffnet. Die 275-jährige Geschichte dieses Hauses ist mehrfach erzählt und in einer Reihe von Büchern dokumentiert worden. Doch Misha Aster geißelt in einem Rundumschlag den "Eklektizismus" der neuerem Staatsoperngeschichtsschrei-bung und verweist nahezu sämtliche „Hauspublikationen“, die von Mitarbeitern des Opernhauses geschrieben wurden, mehr oder weniger in den Bereich der Selbstbeweihräucherung, seien sie von Julius Kapp und Werner Otto, Hugo Fetting, Walter Rösler, Manfred Haedler oder Günther Rimkus. Aster betont, eine kritische Geschichte der Berliner Staatsoper auf der Grundlage von Dokumenten zahlreicher öffentlicher und privater Archive geschrieben zu haben. Aber er begrenzt seine Darstellung auf den Zeitraum zwischen dem Ende des Kaiserreichs bis zur Gegenwart.
Aster nennt sein Buch schlicht „Staatsoper“. Das ist Programm. Es geht ihm nicht um „die Staatsoper“ in Berlin, sondern um „eine Staatsoper“, wie er schreibt. Das führt schon in die Irre. Sein Buch ist als Fallstudie einer lokalen Institution konzipiert, in der nicht künstlerischen Erfolge oder Misserfolge im Mittelpunkt stehen, sondern die Betrachtung dessen, „wie die Konzepte von Staat und Oper am Beispiel des ältesten Opernhauses der deutschen Hauptstadt“ sich während der letzten 100 Jahre „definierten und bereicherten“. Also geht es doch um eine ganz besondere Staatsoper! Nicht irgendeine.
Das Berliner Opernhaus Unter den Linden, ob Hofoper oder Staatsoper, war nie unabhängig vom Staat, weder finanziell, noch administrativ oder künstlerisch. „Neben seiner Demokratisierung 1918“ betrachtet Aster das Haus auch deshalb "als einzigartig, weil es ununterbrochen in zwei deutschen Diktaturen arbeitete, in Hitlers Drittem Reich und der DDR“, wie er schreibt. In neun Kapiteln wird die Entwicklung des Hauses während der letzten 100 Jahre als Geschichte von Umgestaltungen und Veränderung des Publikums wie der politischen Legitimation dargestellt. Konkret drücke sich die Entwicklung des Hauses in der Kunst, im Ensemble und in den politischen Rahmenbedingungen aus. Für Aster ist das die Geschichte einer Anstrengung, allen politischen Bedingungen zum Trotz „repräsentative Bindungen im Gleichgewicht zu halten“, wie er schreibt. Trotz ihrer unterschiedlichen Dauer behandelt er jede der drei Hauptperioden des behandelten Geschichtsausschnitts der Staatsoper in jeweils drei Kapiteln. Musikalische, theatralische, politische, administrative, architektonische, technische, organisatorische und finanzielle Fragen werden erörtert. Ein Epilog führt über die Zeit nach dem Mauerfall bis zur Gegenwart.
Die Liste der Künstler auf, unter und hinter der Bühne ist lang, die das Register in Misha Asters Staatsopernbuch ziert. Auch wenn es sich streckenweise wie ein „Who´s who“ der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts liest: Das Buch ist keine Geschichte großer Opernschaffender (Sänger, Dirigenten, Regisseure und Intendanten), sondern eher eine Erörterung der Frage nach dem Zusammenhang von Politik und Kultur am Beispiel eines Opernhauses. Einen besonderen Schwerpunkt des Buches nimmt die Darstellung der DDR-Zeit ein, mit ihrer politischen Einflussnahme, mit ihren devisenbringenden Tourneen ins nichtsozialistische Ausland, ihrem Reisekader, ihrer Überwachung der Mitarbeiter durch IM´s der Stasi, und der Republikflucht vieler Künstler. Aster scheut sich nicht, Namen und Verantwortliche zu nennen, Schuld zuzuweisen und weitreichende Schlüsse zu ziehen. „Jeder Versuch, die deutsche Nation durch den Zwang einer politischen Ideologie zu definieren habe tragisch geendet.“ Das Buch liest sich streckenweise wie eine moralische Abhandlung über Deutschland und die Deutschen. Die Lindenoper, sei es, so Aster, die die historischen Brüche Deutschlands beispielhaft veranschaulichen könne.“ Sie sei „ein Abbild des deutschen 20. Jahrhunderts.“ Dass ihre Vergangenheit, wie Aster schreibt, „an ihre bleibende Relevanz" erinnere, "und Weisheit und Inspiration für die Zukunft“ biete, ist gefühlige Behauptung. Dass das Haus nicht nur an „das tragische Schicksal und den zähen kreativen Geist der Stadt" erinnere, in deren Herzen sie liegt“, wie man liest, sei auch ein „Motor für Kreativität und künstlerische Leistung“. Eine Behauptung, mit der sich das Buch über die Berliner Staatsoper vollends als "Gefälligkeitsarbeit" entlarvt.
Buchbesprechung auch in MDR Kultur