Michael Heinemann. Claudio Monteverdi. Die Entdeckung der Leidenschaft

„Ich singe, also bin ich“


Michael Heinemann erklärt die Neu-justierung der Musik, die " Entdeckung der Leidenschaft" in seinem exzellenten Monteverdi-Buch

Die Summe bisheriger Monteverdiforschung

„Divino Claudio“ wurde er schon von den Zeitgenossen genannt. Monteverdi war einer der tollkühnsten und wirkungsmächtigsten Komponisten seiner Zeit. Igor Strawinsky hatte es in seinen „Gesprächen“ 1966 auf den Punkt gebracht: „Die Reichweite seiner Musik sowohl als Emotion wie als Architektur (zwei Aspekte derselben Sache) bedeutet eine neue Dimension, mit der verglichen die großartigsten Gedanken seiner Vorgänger, wie auch die meisten ihrer inspi-riertesten Hitzewallungen zu Trübseligkeiten, zu Miniaturen zusammenschrumpfen“.


Der Dresdner Musikwissenschaftler Michael Heinemann hat in seinem Monteverdi-Buch, das er aus Anlas des 450. Geburtstags des Komponisten geschrieben hat, ein Fazit  der Monteverdi-Rezeption gezogen: „Monteverdi ist heute wieder das, was er am Ende seines Lebens war: ein populärer Komponist.“ Tatsächlich hat Monteverdis Marienvesper heute ihren festen Platz im Konzertleben. Die Opern Monteverdis werden in den Opernhäusern der ganzen Welt gespielt. „Das war nicht immer so“ weiß Heinemann. „Weder zu seinen Lebzeiten, noch in der Nachwelt. Monteverdi begann als ein Komponist für Kenner. Für Gebildete und Akademien. Nach ersten Jugendwerken irritierte er die Fachleute und Kollegen durch Tonsätze, deren Struktur nicht ihren Konventionen entsprach. Sich nicht den Gesetzen des Kontrapunkts fügte. Doch auch nicht den Gewohnheiten der Zuhörer. Seine Musik berührte mit einer Unmittelbarkeit, die man nicht kannte. Bewegend waren diese neuen Klänge. Aufregend. „Besonders für das Publikum. Das sich alsbald nicht mehr auf den Kreis der Experten beschränkte.“


Monteverdis Musik basiert, so betont Heinemann mit Nachdruck, nicht auf Gelehrsamkeit, die studiert werden wollte. Vielmehr entspricht die Diktion, mit der er geistliche Texte vortragen  und Personen auf der Bühne miteinander ins Gespräch kommen ließ, „der Erfahrungswelt  des Alltags, einer Natürlichkeit des Redens und Sprechens, die durch Musik Nachdruck erhält.“  Nicht mehr werden Texte bloß in Musik gesetzt, sondern ihr Gehalt wird klanglich gesteigert, intensiviert. Dazu bedurfte es neuer kompositorischer Mittel. „Diese zu entdecken und nutzbar zu machen, war die Herausforderung, der sich Monteverdi stellte. Sie zu einer eigenen musika-lischen Sprache zu entwickeln, ist seine musikgeschichtliche Leistung.“  Darüber hinaus hat er aber auch eine neue musikalische Gattung  erfunden.


Als am 24. Februar 1607 der Hofkapellmeister Claudio Monteverdi im Palast Vincenzo Gonza-gas, des Herzogs von Mantua, eines der kunstsinnigsten Fürsten Italiens und einer seiner wich-tigsten Arbeitgeber, seine „Favola in musica“, L'Orfeo zum ersten Mal aufführte, fand in der Musikgeschichte so etwas wie eine Zeitenwende statt. Während in den Jahrhunderten zuvor Vokalmusik hauptsächlich Chorgesang bedeutete, trat im 17. Jahrhundert der Sologesang immer mehr in den Vordergrund. Es war der Übergang von der hochentwickelten Polyphonie zur Mo-nodie.  Der Sänger wird dabei von einer Instrumentengruppe begleitet, die sich lediglich auf Akkorde beschränkt. Für die Notierung der Akkorde hat sich in ganz Europa eine Kurzschreib-weise durchgesetzt: der bezifferte Bass – auch Generalbass genannt. Man spricht in der Musik-geschichte deshalb auch vom Generalbasszeitalter und bezeichnet damit ungefähr den Zeitraum zwischen 1600 und 1750. Monteverdi, 1567 geboren, war Montverdi Repräsentant dieser Zeitenwende. Und doch war er weit mehr.


Man darf den Tag seiner „Orfeo“-Uraufführung als den Geburtstag der Oper bezeichnen. Zwar hatte neun Jahre zuvor bereits Jacopo Peri in Florenz ein „dramma per musica“ „Dafne“ ge-schrieben, das nur fragmentarisch erhalten ist, aber Monteverdis Orfeo hatte es verstanden, der Musik zur Schilderung menschlicher Freuden und Leiden, der Oberwelt wie der Unterwelt eine Ausdrucksgewalt zu geben, wie sie bis dahin noch nie erlebt worden war. „Ich singe, also bin ich“ überschreibt Heinemann denn auch das zentrale Kapitel seines Buches, in dem es  um den Komponisten des „Orfeo“ geht, dessen Werk einem Urknall, einer Initialzündung der Gattung Oper gleichkam. Sie war „Gründungsdokument“ einer neuen Gattung. Aber auch ein Dokument musikalischer Selbstfindung des Menschen. In der Musik geht es plötzlich um menschliche In-dividuen mit ihren Befindlichkeiten. „Individueller Klang wurde erstmals  Ereignis, die Dekla-mation des Textes zum gestalterischen Anliegen, die Rede zur  Herrin der Harmonie.“ Für Mon-teverdi gewannen Text und individuelle Emotion an zentraler Bedeutung. Deshalb erlaubte er sich in der Gestaltung des Tonsatzes Regelabweichungen gegenüber der Tradition. Die Musik sollte die Aussage des Textes und die Schilderung und Erweckung des Gefühls unterstützen, ja intensivieren. In der Oper, aber auch in den Madrigalen habe Monteverdi das Verhältnis von Text und Musik grundsätzlich neu justiert, so Heinemann.


Schon das erste seiner neun Madrigalbücher war satztechnisch riskant, weil „dessen auffällig viele Dissonanzen strukturrelevant sind. Einen Band mit einer solchen Nummer zu eröffnen aber war Programm. Es signalisierte dem Publikum sogleich Anspruch und Intention eines Autors. Und forderte die Orthodoxie heraus. Dass mit Blick auf unveränderlich gültige Gesetze von Stimmführung und Zusammenklänge schon die ersten Takte unakzeptabel waren, brauchte keine ausführliche Begründung. Was als Ausnahme deklariert wurde, galt den Anwälten des strengen Satzes als unverzeihlicher Fehler.“  Dass jemand derart schroffe Klänge disponierte,  musste auf  Unverständnis stoßen, wenn man nur den Tonsatz diskutierte und den Text fortließ. „Doch hatten erst die Worte und ihr Ausdrucksgehalt den Komponisten veranlasst, solch ge-wagte Klangverbindungen zu entwerfen.“ Musik sollte nicht mehr selbstgenügsame Kombi-nation von Tönen sein, sondern mit dem Text eine Symbiose eingehen, um Affekte zu ver-mitteln. Tatsächlich sind die Dissonanzen, die Monteverdi demonstrativ an den Anfang der ersten Stücke seiner Madrigalbücher setzte, eine Provokation. „Die selbstbewusste Umdeutung eines verbindlich geglaubten Kanons von Regeln und Gesetzen. Häresie im Metier der Komposition.“


Musik wurde bei Monteverdi zu einem Medium der Kommunikation, so macht Heinemanns Buch deutlich.  Das kam einer Revolution gleich. „Ein Einzelner spricht zu einem anderen Subjekt, berührt es emotional, trifft mit den Tönen auch dessen Körper, mit einer Sinnlichkeit, die von der Unmittelbarkeit des Dialogs ausgeht und ihn in Musik setzt.“ Damit hatte Monte-verdi einen bisher ungekannten Ausdruck von Affekt, von Freude und Schmerz gewagt, der die Musikgeschichte voranbrachte.


Michael Heinemann veranschaulicht das in den neun Kapiteln seines gelehrten Buches.  Mit musikwissenschaftlichem Scharfsinn und erfreulich unakademischer Sprache beschreibt Heine-mann nichts weniger als die Neudefinition der Musik durch Monteverdi, die geradezu einem neuen Weltentwurf aus Musik gleichkam. Er umkreist in immer neuen Planetenbahnen sein zentrales Thema: „Die Entdeckung der Leidenschaft“. Aber er wendet sich auch ganz konkre-ten  Problemen zu, etwa denen des Notentextes,  aber auch Monteverdis Experimenten im Raum, erörtert  sein Spiel mit Klangreizen und lässt sich  detailliert auf Monteverdis Kirchen-musik ein, als deren Krönung  seine große Marienvesper gelten darf, mit der der Komponist sich vergeblich um eine Anstellung bei Papst Paul V. bewarb. Das geradezu subversive Selbstver-ständnis, mit dem er sich auch in der Kirchenmusik  über die Tradition (Palestrinas) hinweg-setzte, stieß in Rom naturgemäß auf verschlossene Ohren. Nicht in Venedig, wo er später eine bedeutende, gut dotierte Stelle erhielt. Er wurde Kapellmeister an San Marco, es war der krönende Abschluß seines Komponistenlebens.     


Egal welche Gattung:  Monteverdis Musik basiert, so macht Heinemann deutlich „nicht auf einer Gelehrsamkeit, die studiert werden wollte. Vielmehr entspricht die Diktion, mit der er geistliche Texte vortragen  und Personen auf der Bühne miteinander ins Gespräch kommen ließ, der Erfahrungswelt  des Alltags, einer Natürlichkeit des Redens und Sprechens, die durch Musik Nachdruck erhält.“  Dazu bedurfte es neuer kompositorischer Mittel. „Diese zu entdecken und nutzbar zu machen, war die Herausforderung, der sich Monteverdi stellte. Sie zu einer eigenen musikalischen Sprache zu entwickeln, ist seine musikgeschichtliche Leistung.“


Mit präziser musikologischer Begrifflichkeit analysiert und erklärt Michael Heinemann, wie Leidenschaft, man könnte auch sagen Expressivität von Monteverdi komponiert wurde. Er beschreibt das kompositorische Handwerk Monteverdis und veranschaulicht es anhand von Notenbeispielen. Das ist anspruchsvolle Lektüre für Fortgeschrittene unter den Monteverdi-bewunderern.  Aber sie lohnt.  Dieses Buch ist eines der konzisesten, das über Monteverdi geschrieben wurden. Selten wurde so auf den Punkt gebracht, worin die innovative Leistung Monteverdis besteht. Eine Biographie ist Heinemanns Buch allerdings nicht. Auch wenn tabel-larisch eine detaillierte Übersicht von Lebens- und Werkstationen  angefügt ist. Aber Heine-mann weiß: „Monteverdis Musik und die Dokumente seines Lebens sind gut erschlossen und leicht zugänglich“. Seine kenntnisreichen Literaturhinweise belegen es. Er hat pünktlich zum Monteverdijahr die Summe bisheriger Monteverdiforschung  gezogen.


 


Beiträge u.a. auch in MDR Kultur und Crescendo (Sonderbeilage der Deutschen Mozart-Gesellschaft)