Turco in Italia Pesaro 2016

Photo: Rossini Opera Festival  Pesaro


Die Türkenoper als Tummelplatz von Aussenseitern, Filmdivas, falschen Priestern, Transvestiten und Zirkusleuten im desilluisionierenden Filmstudio

Quasi eine Fellini-Hommage

Rossinis "Turco in Italia" beim Rossini Opera Festival  Pesaro



Die zweite Premiere des diesjährigen Opera Festival in Pesaro galt  einem der häufiger gespielten Stücke Rossins, der Oper "Il Turco in Italia", die allzu leichtfertig in die Rubrik "Opera buffa" eingeordnet wird. Im Grunde handelt es sich dabei um ein Missvertändnis, denn das Stück, das auf einem anspuchsvollen Libretto Felice Romanis basiert, macht sich eher über den Buffo-Stil und die türkische Mode lustig, als dass es sie ernst nimmt oder imitiert. Im Vergleich zur Vorlage, dem gleichnamigen Stück von Girolamo Mazzola wirkt Romanis "Il Turco in Itala" fast "wie ein "modernes" Stück von Pirandello oder Harold Pinter, halb bedrohlich, halb lustig. Kein Wunder, dass Rossinis Oper bei der Uraufführung an der Mailänder Scala 1814 auf Unverständnis stiess und kühl aufgenommen wurde. Das Publikum erwartete eine echte Buffa. Aber Rossini war da schon auf einem anderen Weg.


Regisseur Davide Livermore, der 2012 in Pesaro eine spektakulär filmische Inszenierung der Rossini-Oper "Ciro in Babilonia" herausbrachte,  hat auch Rossinis Türkenoper in der Filmwelt gespiegelt und damit das Stück als doppelbödiges buffoneskes Künstlerdrama beim Wort ge-nommen. Im Mittelpunkt des Stücks steht ja die Figur eines Künstlers, eines Poeten, der nach einem Stoff für ein dramma buffo sucht und Zeuge wird eines erotischen  Verwirrspiels zweier sich nach Art der Commdia dell' Arte überkreuz liebender Paare, eines türkischen und eines neapolitanischen. Das bleibt nicht ohne Konflikte, endet aber mit einem Happyend ganz im Sinne des jungen Dichters, der in der Rolle des ironisch kommentierenden Conférenciers dem Stück eine zweite Ebene gibt, die die ganze Gattung der Türkenoper und des traditionellen dramma buffo in Frage stellt.


In Davide  Livermoores Inszenierung fällt der Dichter spichwörtlich als Filmregisseur der 50er Jahre vom Himmel und entfacht ein skurriles Panomtikum von fellinihaftem Zuschnitt. Er sieht fast aus wie Fellini höchstselbst, der sich von seinen Filmfrauen zu Göttervater Zeus mummen lässt. Die Bühne ist ein Tummelplatz von Aussenseitern, Filmdivas, falschen Priestern, Transv-estiten und Zirkusleuten, ein so verzauberndes wie desillusionierendes Filmstudio, in dem auf wehenden Schleiern und weissen Wänden erneut das virtuose Videodesign der Truppe D-WOK zum Einsatz kommt. Das Ergebnis ist eine poetische,  urkomische, turbulente Inszenierung, ist virtuoses Theater, das abschnurrt wie ein gut geöltes Räderwerk. Dass sie so überzeugt, ist nicht zuletzt den grossartigen Kostümen Gianluca Falascis zu verdanken, der eine Revue kunterbunter, zeitübergreifender Theaterkostüme allererster Qualität und Originalität beisteuert.


Die Aufführung ist ein grosses Vergnügen auch sängerisch, obwohl im Gegensatz zur Eröff-nungs-premiere, in der neben zwei grandiosen Tenören  zwei sensationelle neue Stimmen zu hören waren, der "Turco" überwiegend mit bewährten Sängern besetzt wurde, die in Pesaro schon zu hören waren. Olga Peretyatko, die vor 10 Jahren von Pesaro aus ihre internationale Karriere startete, beeindruckt in der Partie der Fiorilla mit ihrem lupenreinen Zwitschersopran. Aber auch Nicola Alaimo, René Barbera, Cecila Molinari und Pietro Spagnoli sind erfahrene,  vortreffliche Rossinisänger. Neu in Pesaro ist Erwin Schrott. Er singt den Türken Selim mit bassschwarzem, schneidigen wie geschmeidigem Heldenbariton und strahlt nicht nur grosse Virilität aus, sondern überrascht auch mit Sinn für Ironie und ausserordntlich komischem Talent.


 

Der Schwachpunkt der Aufführung ist Speranza Scappucci, die ebenfalls in Pesaro debütiert. Die junge römische Dirigentin hat zwar vom Cembalo aus die Fäden einigermassen in der Hand, aber dem Witz und der Doppelbödigkeit der Musik wird sie nicht halbwegs gerecht. Sie beglaubigt die scheinbare Leichtigkeit des Seins zwischen Himmel und Hölle, die Rossini wie kein anderer Komponist in Musik zu setzen versteht, nicht wirklich. Der satirischen Schärfe der Inszenierung setzt sie harmlose  Routine entgegen. Leider lässt auch die Filarmonica Gioacchino Rossini alle Brillianz vermissen, die man gerade bei diesem Stück erwartet. Schade, so ist ein grosser Rossini-Abend nur halb gelungen.




Premierenkritik u.a. auch in DLR-Kultur, Fazit,  Dienstag, 9.08.2016