Callas Bücher. Eine Blütenlese

Der Mythos ist „der große Feind der Wahrheit.“  (John F. Kennedy)

 


La Divina wird sie genannt, „Die Göttliche“. Sie galt als „Primadonna assoluta“ und war schon zu Lebzeiten ein Mythos. Maria Callas war eine hollywoodreife Diva, deren glamouröse Erscheinung, deren gesellschaftliche Skandale und deren künstlerischen Erfolge Publikum und Presse (nicht nur die Regenbogenpresse) auf der ganzen Welt in Atem hielten. Maria Callas ist schon zu Lebzeiten ein Mythos geworden. Ihre Schallplattenaufnahmen sind Kult. Am 2. Dezember gedenkt die Opernwelt ihres hundertsten Geburtstags. Eine Blütenlese aktueller Buch-Neuerscheinungen.


 

„Mythos Maria Callas: Uber keine zweite Musikerpersönlichkeit der letzten einhundert Jahre wurden so viele Bücher in so vielen unterschiedlichen Sprachen geschrieben. Neben den einschlägigen Biographien füllen auch viele Romane, Novellen und sogar Theaterstücke die Regale. Weder Caruso noch Karajan, weder Elvis noch Madonna können es in publizistischer Hinsicht mit ihr aufnehmen. Sie ist die absolute Primadonna in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts.“ So schreibt der renommierte Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen in seinem Callas-Buch.


Er unterscheidet zwischen „Kunst und Mythos“ der Maria Callas und nimmt das sängerische Jahrhundertphänomen mit wissenschaftlicher Genauigkeit genauer unter die Lupe. Nicht eingetrübt durch irgendwelche Emotionen trennt er zwischen Leben, Kunst und Mythos, Callas heute und Callas morgen, stellt ihre wichtigen biografischen Stationen (New York, Athen, Italien und den Rest der Opernwelt) dar, beschreibt präzise ihre Stimme, ihre Interpretationen und Aufnahmen, schließlich sortiert er noch die unterschiedlichen Aspekte des Mythos: Liebe, Märchen, Diva, Medien und Opfer.  Jacobshagen zieht eine Summe, er bilanziert und stellt fest: „Allzu bereitwillig wurden in der Vergangenheit tradierte Fehlurteile und Gerüchte über die Sängerin fortgeschrieben und aufgebauscht. In vielen Fällen eröffnet ein quellenkritischer, musik- und geschichtswissenschaftlicher Blick andere Perspektiven.


Die immense Überlieferung macht zugleich eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem facettenreichen Callas-Mythos unumgänglich. In seiner eigentümlichen Formulierungskraft hat Günter Grass einmal beklagt, dass in der postmodernen Gesellschaft ‚jeder Scheißhaufen ein Mythos genannt‘ werde. Für unser Thema ließe sich in Anlehnung an diese Metapher die konsequente Entsorgung abwegiger Callas-Fabeln fordern. Neue Untersuchungen und Forschungsansitze aus den Kultur-, Musik- und Medienwissenschaften, der Psychologie und Soziologie, der Staranalyse, den Celebrity Studies und der Fanforschung tragen zur Erhellung vieler Fragen bei. Noch wichtiger als die Klärung biographischer Details und Legenden bleibt die Würdigung ihrer einzigartigen künstlerischen Leistungen.“ 


Jacobshagen löst diesen Anspruch faszinierend und respektgebietend ein und kommt zu dem Schluss: „Die herausragende Sängerin des 20. Jahrhunderts war Maria Callas nicht wegen der Schönheit, sondern wegen der Expressivität und Unverwechselbarkeit ihrer Stimme. ... Ingeborg Bachmann schrieb über Callas, sie habe mit ihrem Gesang ‚auf der Rasierklinge gelebt’. Erst durch sie, so scheint es, wurde auch der Operngesang zu einer existentiellen Erfahrung.“ Und er betont zurecht, dass „der künstlerische Ein?uss von Maria Callas auf die Musik und das Musikleben der Gegenwart“ nach wie vor immens sei.


Tatsächlich war die Bedingungslosigkeit, die Intensität, die Ernsthaftigkeit und Kompromisslosigkeit ihres Singens, aber auch die ihres schauspielerischen Instinkts, und ihrer perfekten Beherrschung der Rolle der Primadonna hat das Publikum – trotz ihrer stimmlichen Anfechtbarkeit - schlichtweg hingerissen und überwältigt, denn sie hat mit ganzer Seele gesungen. Das war das Geheimnis der Callas. Das, was die Italiener „Canto espressivo“ nennen. Sie hat die Sehnsüchte und Bedürfnisse des Publikums erfüllt, und sie hat den von ihr dargestellten Figuren der Vergangenheit eine Stimme unserer modernen Zeit gegeben. Vor allem den Belcantopartien, die sie fürs 20. Jahrhundert wieder entdeckt hat.

Die Callas, so Jacobshagen, sei ihrer Zeit weit voraus gewesen. „Sie leitete eine Repertoirewende des musikalischen Theaters und einen Paradigmenwechsel der Gesangsästhetik ein, den man als ‚Belcanto turn‘ bezeichnen könnte. Diese Wende ist heute noch längst nicht Geschichte. Im Gegenteil: Sie ist: aktueller denn je.“ Last but not least: Jacobshagen nennt Zahlen und Fakten des bis heute andauernden Medienrummels und der Vermarktung der Callas. Sorgfältige Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Register verstehen sich bei Jacobshagen von selbst. Er hat eindrucksvoll und seriös eine Summe gezogen.

 

Eva Gesine Baur dagegen, vielschreibende Biographin höchst unterschiedlicher Persönlichkeiten, hat pünktlich zum Callas-Gedenkjahr (solche Gedenkjahr-Biografien sind ihre Spezialität) eine Callas-Biographie vorgelegt, die die singuläre Sängerin als überragende Künstlerin, aber auch als Stilikone und mit ihrer Persönlichkeit verklärend porträtiert.

Ihr Leben habe sich zwischen den Polen Kunst und Liebe aufgerieben. Ihre filmreife und romanhafte Vita ist eine bewegende Geschichte von Triumphen, Exzessen und Tragödien. Dramatischer Gestus, leidenschaftliche Stimme und musikalische Authentizität seien die unverwechselbaren Merkmale ihrer Interpretationen, so die Autorin. All dies verbinde sich zu einer Aura, mit der Maria Callas viele Protagonistinnen der Oper verkörperte und sie zum Inbegriff der Primadonna wurde. Die flüssig geschriebene, romanhafte Biographie der Baur ist der zwischen Fakten und gefühliger Fiktion oszillierende, aber auch etwas sensationsheischende „Roman“ dieser Primadonna, der den zu hinterfragenden Mythos allerdings nur bestätigt. Über die vielen inhaltlichen Fragwürdigkeiten und Fehlern des Buches sei der Mantel des Schweigens ausgebreitet.


Über die Stimme der am 2. Dezember 1923 geborenen Maria Callas gehen die Meinungen weit auseinander. Eigentlich hatte sie drei Stimmen. Die drei Register - eine herb-getönte, dramatische Bruststimme, eine dunkel timbrierte, fast animalische, dämonische Mittellage und eine brillante Höhe bis zum dreigestrichenen Es waren je für sich beeindruckend, wenn auch nicht restlos ausgeglichen. Aber mit ihrer vielschichtigen Stimme konnte sie eine irritierende und oftmals schockierende Vielfalt von Klängen und Stimmfarben erzeugen und damit Seelisches zum Klingen bringen wie nur wenige andere Sängerinnen.


Die Karriere der Callas war vergleichsweise kurz. Nur 15 Jahre stand sie erfolgreich auf der Bühne. Sie hat sich durch ihren schonungslosen Einsatz regelrecht verbrannt. Singen war für sie mehr als Beruf und Big Business, auch wenn sie der teuerste Opernstar ihrer Zeit war. Maria Callas hat sich mit den Figuren, die sie darstellte, total identifiziert. Sie war ungewöhnlich fleißig. Sie hatte ein sehr breites Repertoire. Sie sang italienisches Fach, Französisches Fach, sie sang Wagner, Belcanto, Rossini und Spontini. Sie hatte Raubbau an ihrer Stimme betrieben. Die Begegnung mit dem glamourösen Milliardär Onassis, durch die sie zur berühmtesten Frau der Welt wurde, hat ihr schließlich das Genick gebrochen, seelisch wie stimmlich. Ihr erster Mann, Meneghini, war nichts als Vaterersatz und ein skrupelloser Manager gewesen. Onassis war ihre große Liebe. Onassis versprach Maria Callas die Heirat. Sie wollte endlich ein ganz „normales“ Leben als Frau führen. Doch dann hat Onassis schließlich das Interesse an Maria Callas verloren und heiratete die ehemalige First Lady der USA, Jacqueline Kennedy. Darüber kam Maria Callas nicht hinweg. Sie war eine gebrochene Frau. Ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr. Das war ihr Ende.


Die schottische Autorin Gill Paul (sie ist Medizinerin und Literaturwissenschaftlerin) hat eben über diese Tragödie, über diese beiden Frauen „Jackie und Maria“ und deren erotisches und emotionales Schicksal einen herzergreifenden Roman geschrieben über Eifersucht, Macht und Rache. Auf dieses Biuch kann man verzichten.


Wer allerdings an Fakten und nackter Wahrheit interessiert ist, der muss zu anderer Callas-Literatur greifen. Bei Helge Klausner wird er fündig. Klausener ist inzwischen pensioniert.  Er hat an der Universität Mainz Spanisch, Italienisch, Philosophie und Betriebswirtschaft studiert, arbeitete als Diplom-Übersetzer, bei der Bundesagentur für Arbeit, und in diversen Berufen in Italien. Musikwissenschaftler ist er nicht, auch kein Stimmen- oder Sängerspezialist. Er ist „nicht vom Fach“ wie er bekennt. „In meinem beruflichen Leben habe ich mit Gesang, Oper, Musik nichts zu tun gehabt.“ Vielleicht deshalb ist ihm gelungen, was so viele Bücher über La Divina vermissen lassen: die Sachlichkeit eines Archivars, der über Jahre gesammelt und geordnet hat


Jürgen Kesting, selbst einer der führenden Callas-Biographen ("Maria Callas" 1990) schreibt denn auch zurecht in seinem Geleitwort: „Die meisten Versuche, ,,the woman behind the legend“ zu ?nden, sind nicht über eine Kehrichtsamm-lung von Fakten und Fakes hinausgekommen. ... Dem Faszinosum der Sängerin, die Lanfranco Rasponi in seinen Gesprächen mit ,,The Last Prima Donnas“ als ,,The One and the Only“ führt - diesem mythisierten Wesen spürt Helge Klausener auf den 440 Seiten einer Akte nach, die sich an eine Maxime des ,,Spiegel“-Günders Rudolf Augstein hält: ,,Sagen, was ist.“


Das Buch von Klausener ist das Ergebnis akribischer Archivarbeiten und Recherchen: eine respektgebietende Sammlung von biographischen Daten und von Dokumenten (Zeitungs- und Magazin-Artikel, Rundfunksendungen, Erinnerungen von Kolleginnen und Kollegen) über die Ausbildung der Callas, über ihre ersten Aufführungen und Konzerte, über den Beginn ihrer Karriere, über den Aufstieg zur Primadonna und über ihre ruhmreichen Jahre bis zum Ende ihrer Karriere. 


Diese Dokumentation „wird kontrastiert oder auch konterkariert durch Berichte oder Kritiken, durch die sich ihr künstlerischer Weg erschließt. Es ?nden sich lange (und nicht geschönt zitierte) Passagen aus Kritiken nach wichtigen Premieren und Gastspielen, aus denen nicht zuletzt die Parameter abzulesen sind, nach denen sie beurteilt wurde. ... Weiter ?nden sich Auszüge aus den wichtigsten Essays und Würdigungen bedeutender Connaisseurs, aus Erinnerungen von Dirigenten“ und aus legendären Callas Debatten.“ (Hanjo Kesting)


Chronologisch geordnet reiht Klausener nichts als Fakten aneinander, die die Konturen des Callas-Bildes deutlicher denn je erscheinen lassen. Wie gesagt: Dies ist keine Callas-Biografie. Es ist eher eine Dokumentation, eine Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte der vielleicht bedeutendsten Sängerin des vergangenen Jahrhunderts. Gleichzeitig ist es der Versuch, die durch Boulevardpresse, Klatsch und Sensationsgier verzerrte Sicht auf die Sängerin Maria Callas wieder auf den Boden der Tatsachen zu stellen und biographische Fakten zu korrigieren.


Klausener ist bescheiden in seinem Anspruch an sich selbst. Er wolle mit seinem Callas-Buch nicht weniger, aber auch nicht mehr als „eine Chronik ihrer Lebensdaten mit all ihren Aufführungen und Schallplatteneinspielungen in bislang nicht vorliegender Ausführlichkeit und Präzision liefern; ihre Kolleginnen und Kollegen, ihre Kritiker, ihre Freunde und Gegner sollten zu Wort kommen. So, stellte ich mir vor, würde aus den Zeugnissen ihrer Zeit ein realitätsnahes und für heutige Leser authentisches Bild der Künstlerin Maria Callas entstehen. ... So kann dieses Buch ... einen Überblick über die internationale Rezeption von Maria Callas geben, und es kann, unterfüttert mit gesicherten Daten und Fakten, auf meine persönliche Wertung als ,,Autor“ verzichten.“ Chapeau! Das nennt man Understatement. 

Register, Quellenverzeichnis, ausführliche Anmerkungen und ein imponierendes Verzeichnis der Erinnerungen, Würdigungen und Porträts der Callas in TV und Radio sind angehängt und vervollständigen dieses vergleichslose Buch. Es herrscht wahrlich kein Mangel an Callas-Büchern. Aber dieses ist wichtig und konkurrenzlos.


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Als Höhepunkt des Callas-Jahres hat das Label Warner Classics schon am 22. September 2023 eine umfassende, Maria Callas-Schatzkiste herausgebracht. La Divina in all ihren Rollen“ , auf 131 CDs samt 3 Blu-rays (Recitals aus Paris 1958, Hamburg 1959 & 1962, Covent Garden 1962 & 1964) und einer DVD mit Libretti, Interviews und Texten . Es ist die umfangreichste Audio- und Video Callas-Publikation, die je veröffentlicht wurde.

Die limitierte Deluxe-Edition präsentiert die Sängerin in den 74 Rollen (nur einen Teil davon hat sie komplett oder auf der Bühne gesungen), für die Tondokumente existieren. Das heißt, der Käufer bekommt nahezu die kompletten Studioaufnahmen und ausgewählte Live-Mitschnitte der im italienischen Fach vor allem in den 50-er Jahren Maßstab setzenden Gesangskünstlerin. Dazu gibt es einige wenige Videos, die Meisterklassen an der Juilliard School, eine Bonus-CD mit Weltpremieren sowie Takes und Gespräche zwischen Maria Callas, den jeweiligen Dirigenten und Aufnahmeleitern in den Aufnahmesitzungen über Korrekturen, Änderungen oder Interpretationen aus den 1960er-Jahren.

Ein reich illstriertes Buch rundet die Edition ab.


Weitere Callas-Artikel auch in "Oper & Tanz", "Der Opernfreund" und "Opera lounge"


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Arnold Jacobshagen: „Maria Callas. Kunst und Mythos“ Reclam 366 S., 25,00 Euro


Eva Gesine Baur: „Maria Callas. Die Stimme der Leidenschaft. Eine Biographie. C.H. Beck. 507 Seiten, 29,90 Euro


Gill Paul: „Jackie und Maria“ Insel 2023.516 S., 18,50 Euro


Helge Klausener: „Maria Callas. Eine Chronik“

Tag für Tag – Jahr für Jahr, Hollitzer Verlag Wien 2023. 476 S., 45 Euro


 


 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

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