Benehmen in der Oper

Benehmen in der Oper



Im 17. und 18. Jahrhundert war Oper in erster Linie das geistreiche Vergnügen eines elitären, gebildeten Publikums. Es waren (einmal abgesehen von den wenigen Bürgeropern etwa in Hamburg oder Venedig) vor allem Aristokraten, die sich im festlichen Glanz der Kunstform Oper spiegelten und sonnten. Zeitgenossen wie Charles Burney oder Johann Friedrich von Uffenbach, die berühmtesten Musikreisenden des 18. Jahrhunderts, berichten in ihren Reisetagebüchern von unvorstellbaren Zuständen im Zuschauerraum, vom Schweißgeruch, vom Kerzenruß, vom lautstarken Gerede, auch davon, wie man ungeniert Hähnchenknochen und andere Essensreste von den Balkonen ins Parkett warf. Egal, ob in Neapel, Venedig, Dresden oder Hamburg.


Ein alter Theaterfuchs hat es einmal auf die Formel gebracht: "Früher war die Oper snobistisch. Heute ist sie proletenhaft." Das gelte fürs Publikum wie für die Regisseure, für die Ästhetik auf der Bühne wie für die Umgangsformen im Zuschauerraum. Seit es keine gültigen Regeln des "Anstands" mehr gibt und seit das, was das Bürgertum einmal als "Bildungsgut" Und „Benehmen“ bezeichnete, von der breiten Masse nicht mehr als Wert an sich geschätzt wird, sind verbindliche Umgangsformen in der Oper Tabu. Die Lockerung der Kleiderordnung mag man als Erleichterung empfinden. Ein Opernbesuch soll ja kein Zwang sein. Doch schamlose Handybenutzung, ungeniert lautes Husten oder der Griff zur mitgebrachten Pulle - während der Aufführung - sind Indizien für zunehmende Rücksichtslosigkeit und Unhöflichkeit des heutigen Publikums. Nur selten begrüßt noch Jemand seinen Platznachbarn. Und Zuspätkommende wenden den für sie Aufstehenden zumeist ihren Allerwertesten zu.


Erst eigentlich im frühen 19. Jahrhundert, als das erstarkende Bürgertum sich seines wachsenden Selbstbewusstseins in der Kunstform der Oper versicherte, zogen sogenannte "feine Manieren" in den Zuschauerraum ein: Stille und Konzentration aufs Kunstwerk. Die Oper als Bildungsveranstaltung war seit der Aufklärung Medium gesellschaftlicher Emanzipation geworden. Mit Schiller zu sprechen, "moralische Anstalt" zur Verbesserung des Menschen.  


Spätestens Richard Wagner hat mit seinem "Parsifal" endgültig Oper als "Kunstreligion" etabliert. Und zugleich das andächtige, ehrfurchtsvolle Schweigen im abgedunkelten Zu-schauerraum. Was das Publikum aber nicht daran hindern sollte, nach den Akten seines "Bühnenweihfestspiels" Beifall zu zollen. Dem schon zu seiner Zeit weitverbreiteten, Klatschverbot im "Parsifal", hat Wagner selbst vehement widersprochen. Auch wenn er der Oper als bloßer Unterhaltung eines vergnügungssüchtigen Publikums den Kampf angesagt hatte: sie war für ihn kein "Gottesdienst", sondern Theater.


Zurecht hat Oscar Bie die Oper als "unmögliches Kunstwerk" bezeichnet. Weil sie die Gesetze von Raum und Zeit, von Kausalität und Glaubwürdigkeit aufhebt. Die Oper ist "ein Irrenhaus", in dem alles möglich ist. Kein Wunder, dass Insassen wie Besucher über die Stränge schlagen. Auch beim Thema Umgangsformen und Applaus. 


Der Kunstleistung des Sängers oder Bühnenbildners, Dirigenten oder Regisseurs Beifall zu zollen ist das Recht des zahlenden Publikums. Auch, sich seines Unmuts über Enttäuschung Luft zu machen. Klatschen, Buhs und Bravi gehören nun mal zur Oper. Ob

Buh- oder Beifalls-Orkane, sie sind allerdings oft nurmehr Sport und haben ein gewisses Kult-Potenzial. Der (legitime) Buhruf ist aus der Fülle an Missfallensbekundungen, die in früheren Zeiten in Theater und Oper gang und gäbe waren, zwar übrig geblieben, aber er ist oftmals mehr aus dem Bauch heraus gesteuert als aus gebildeter Urteilskraft  des Zuschauers/Zuhörers. Das gleiche gilt für Bravi oder Lobeshymnen in einschlägigen Gazetten oder Hörfunkbeiträgen, die mehr und mehr unkritischen Werbetexten oder ahnungslosen Erlebnisschilderungen gleichen, weit entfernt von profunden Kritiken.


Häufig ähneln die Beifallsorkane und Standing ovations in unseren heutigen Opernhäusern den massenhysterischen Ritualen in den Fußballstadien. Man zelebriert seine atavistischen Bedürfnisse. Für einen Großteil des heutigen Publikums ist Oper in unserer zunehmend egoistischeren Spaßgesellschaft ohnehin zum bloßen Event- und Freizeit-Vergnügen geronnen, das man sich leistet, wenn man sich´s leisten kann. Man feiert sich selbst in den Opernhäusern. "Bildungsanstrengung" gilt weit weniger als der unanstrengende Amüsierfaktor.


Wenn Peter Wapnewski dem Opernpublikum einmal "besinnungsloses Hineinschlürfen von Musik" vorwarf, muss man jenen Opernintendanten Verantwortungslosigkeit vorwerfen, die immer mehr auf leicht verdauliche Kost, aber auchauf Quereinsteiger, Ahnungslose und Metierfremdesetzen, die nur auf Skandal, Sensation des Noch nicht Dagewesenen, Destruktion, Kommentar oder Selbstdarstellung (Regietheater) setzen.


Sie sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen, denn je mehr die Oper fürs Publikum unverstänlich oder ungeniessbar wird, je mehr Anspruch auf der Opernbühne abgesenkt wird, desto tiefer sinkt er im Zuschauerraum!


Beitrag auch im MDR