Musik-Theater & mehr
Photos Andy Stückl und Arno Declair
"Der fliegende Holländer" im Oberammergauer Passionsspielhaus 2017
Eine spektakuläre, alles andere als "oberammergauerhafte" Produktion
Berühmt ist Oberammergau als Passionsspielort. Seit dem Jahre 1634 wird dort alle 10 Jahre die Passion von Leiden und Sterben Jesu Christi aufgeführt, von Laiendarstellern und in einem inzwischen gigantischen Passionsspielhaus, das 3000 Plätze fasst. Seit 1990 ist der Ammer-gauer Schauspieler und Regisseur Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters, Künstlerischer Leiter der Passionsspiele. 2000 gründete man eine Passionsspiel GmbH und bespielt nun auch allsommerlich die Jahre zwischen den Passionsspielen mit keineswegs nur religiösen Stücken, sondern auch mit Shakespeare, mit regionalen Schauspielen und mit Musiktheater. Vor drei Jahren brachte man Giuseppe Verdis "Nabucco" heraus. In diesem Jahr zum ersten Mal eine Oper von Richard Wagner: Den "Fliegenden Holländer".
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Auf der blau ausgeschlagenen und überdachten Cinemascope-Breitwandbühne des Oberam-mergauer Passionsspielhauses agiert der gewaltige Chor der Passionsspiele. Es sind an die 180 Sängerinnen und Sänger, überwiegend Laien aus dem Ort und der Region. Unter der Leitung von Markus Zink singen sie erstaunlich präzise und - ehrenamtlich. Auch die Neue Philhar-monie München, ein Projektorchester mit jungen Musikern, zumeist Hochschulabsolventen aus dem Raum München, spielen, als säße Ihnen der Teufel im Leib. Was dem Stück gut tut, in dem es ja um einen Seefahrer geht, der den Naturgewalten nassforsch trotzt und deshalb von Satan verflucht wird, auf ewig die Weltmeere zu umsegeln. Nur durch die Treue einer aufopferungs-vollen Frau kann er erlöst werden.
Wer den großen Apparat unter und auf der Bühne energisch zusammenhält, ist der 29-jährige lettische Dirigent Ainars Rubikis, bis 2014 war er Musikdirektor des Opernhauses im russi-schen Nowosibirsk, seitdem steigt er bei seinen Gastdirigaten in die Oberliga der europäischen Dirigenten auf. Ab 2018 wird er der neue GMD der Komischen Oper Berlin. Er ist ein Glücksfall für Oberammergau:
“Ich begann schon als kleiner Junge als Chordirigent in Lettland, wir haben ja eine große Chor-Tradition. Ich habe 20 Jahre mit Laienchören gearbeitet. Da habe ich viele Erfahrungen gesam-melt, diesen Chören in einer anderen Sprache als der ihnen nicht so verständlichen professio-nelle Dinge abzufordern. Man muß da manchmal einen emotionalen Weg einschlagen.“ (Rubikis)
Ainars Rubikis ist der Mann, auf den Christian Christian Stückl, der Künstlerische Leiter der Passionsspiel GmbH, gewartet hat, denn es ging ihm von Anfang an um Nachwuchsförderung, Chor- und Orchesterförderung. 2004 gab bei ihm ein junges Orchester, die Neue Münchner Philharmonie ein Konzert gegeben, da kam ihm die Idee, mit diesem Orchester eine Oper auf die Bühne des Passionsspielhauses zu bringen, gemeinsam mit dem hauseigenen Chor. Über das Werk wurde lange diskutiert. Schliesslich lag „Der Fliegende Holländer“ auf dem Tisch, ein praktikables Jugendwerk mit vielen Chorszenen, vom Umfang her mit dem Studenten-orchester machbar, und auch vom Aufwand der Solistenengagements.
Ainars Rubikis war der Mann der Wahl am Pult, da er schon den "Nabucco" zum Erfolg ge-führ hatte. Den "Fliegenden Holländer" hatte er zwar noch nie komplett aufgeführt , aber er hat Ausschnitte aus Wagneropern schon in einem sibirischen Konzertsaal dirigiert. Als in Riga gebürtiger Lette hat er ohnehin ein besonderes Verhältnis zu Wagner, der am dortigen Theater einmal Kapellmeister war. “Meine Beziehung zu dieser Oper ist natürlich geprägt davon, dass Wagner sie schrieb, als er Riga verließ.“ (Rubikis)
Zur Erinnerung: Wagner geriet bei seiner Flucht aus Riga vor seinen Gläubigern, er war hoch-verschuldet, mit dem Schiff in einen Meeressturm, der ihn zu der auffahrenden romantischen Oper inspirierte. Mit Verve geht Rubikis diesen "Fliegenden Holänder" an, für den ein hand-verlesenes, rundum überzeugendes Solisten-Ensemble engagiert wurde. Die aus Utrecht stam-mende Mezzosopranistin Iris van Wijnen singt eine kauzig gewitze Mary, Guigo Jentnjens einen erfahrenen Daland und der belgische Tenor Denzil Delaere einen lyrisch-dramatischen Steuermann. Der dänische Tenor David Danholt ist ein schmachtender Erik, wie er im Buche steht. Im Zentrum der Aufführung der junge ungarische Heldenariton Gábor Bretz, ein viriles, dämonisches Mannsbild in der Titelpartie und die somnambul wirkende, hochdramatische lettische Sopranistin Iliene Kinca.
Die vom Premierenpublikum umjubelte Oberammergauer Aufführung darf als spektakulär be-zeichnet werden, denn sängerisch und musikalisch übertrifft sie alle Erwartungen, aber auch szenisch bietet sie Außergewöhnliches: Eine handwerklich höchst professionelle, ganz und gar nicht laienhafte oder gar "oberammergauhafte" Inszenierung. Sie ist mitreißend, sowohl was die Massenchorbewegung, als auch die individuelle Personenführung angeht, eine gut erzählte, raffinierte Mischung aus Romantik und Gegenwart, Märchen und Ironie, die beispielsweise alles Unbehagen der Spinnerinnenszene mit ihrem "Summ und brumm-Chor" wegwischt, in-dem dieser als köstlich tantenhafte Konzertdarbietung gegeben wird, ganz ohne Spinnräder oder Singer-Nähmaschinen. Christian Stückl bekennt denn auch unumwunden in heimatlichem Idiom
„Also was ich nimmer sehen kann in der Oper, wenn man alles immer ins Dritte Reich verlegt, als des kann i nimmer sehn, des interessiert mich auch nicht. Wir ham also wirklich a Dreh-bühne gebaut,wo plötzlich Wellen losgehen können und mir siedeln diese Norweger eigentlich so an, wie man sie heute in an irgend an alten, norwegischen Hafen treffen könnt, ma sieht ei-gentlich Menschen, die ganz im Heute san, und dann bricht da plötzlich das Märchen herein. Ich hab ned a wahnsinnige Interpretation gsuacht.“
Es geht Stückl um das Stück an sich, um seine Musik. Die gibt ihm alles vor. Sein natürlicher Theaterinstinkt lässt ihn grossartige lebende Tableaus, bewegte Bilder, dramatische Gesten und Gänge von schlichtem, ehrlichem Pathos entwickeln. Experimente, extreme Lesarten sind seine Sache nicht. Er hält sich an die von Heine inspirierte Weltschmerzmythe. Senta ist für ihn ebenso Aussenseiterin wie der Holländer. Sein Schiff ist Symbol des Anderen jenseits bürger-licher Normalität.
Im Mittelpunkt der beeindrukend breiten, blauen Bühne von Stefan Hageneier dreht sich ein mit Meereswellen bemahlter Zylinder, der sich in einigen Szenen öffnet und das Holländer-schiff zeigt, mal auch nur das Vorderschiff mit Steuerrad. Am Ende des Stücks springt Senta auf dieses Steuerdeck und versinkt mit dem Holländer im Meer. Das ist Untergang, keine Erlö-sung, obgleich aus dem Orchestergraben die Fassung Wagners mit der Erlösung durch Harfenklang ertönt.
„Ich weiss net, was des is, die Elösung, ich weiss das nicht, also i hab in 30 Jahren Passions-spiel an Begriff für mich, was Erlösung is, aber i kann mi nur selbst erlösen“ (Stückl). Ainars Rubis entgegnet lachend: „Ich bin Romantiker!” Und er ist verliebt in Oberammergau, wo er ganz sicher nicht das letzte Mal am Pult steht.
„Ich komme wieder, weil die Menschen, die hier leben und arbeiten, und nicht nur im Theater, sondern im ganzen Ort, sich für das Theater verantwortlich fühlen, ihr ganzes Herz einbringen in diese Beziehung zwischen Einwohnern, Musikern und Künstlern.“
Das ist vielleicht das Geheimnis des Musiktheaters in Oberammergau, dass ein ganzes Dorf fürs Theater lebt, nicht nur für das geistliche. Dieser Oberammergauer "Fliegender Holländer" ist eine Reise Wert, nicht nur für all diejenigen, die genug haben von sogenanntem Regie-theater mit Kommentaren, Dekonstruktionen, Trash oder Aktualisierungen.
Weitere Aufführungen finden noch am 14., 16., 21. und 23. Juli, jeweils um 20 Uhr statt und es gibt noch Karten.
Beiträge auch für DLF "Musikjournal" und „Die deutsche Bühne“