Musik-Theater & mehr
Das Fazit der Offenbach-Literatur von Anton Henseler („Jakob Offenbach“, Berlin 1930) bis zu Jean-Claude Yon („Jacques Offenbach“ Paris 2000)
Gegen „das schöne, schiefe Bild“ Offenbachs"
Ein neues Standardwerk über Jacques Offenbach
Jacques Offenbach gehört zu Köln wie der Dom, aber auch zu Paris wie der Eiffel-turm. In Köln stand seine Wiege, in Paris reüssierte er zum Entertainer, aber auch zum Spötter des Zweiten Kaiserreichs. Mit der gesellschaftskritischen „Offenbach-iade“ erfand er eine neue Gattung heiter-satirischen Musiktheaters, die Schule machte. Er war einer der erfolgreichsten Komponisten seiner Zeit. Und doch: Als Deutscher, Jude und Franzose saß er zwischen allen Stühlen. Bis heute halten sich denn auch hartnäckig Vorurteile und Missverständnisse, die eine angemessene Re-zeption des enorm fleißigen wie originellen, ja modernen Komponisten, der mit den besten Librettisten seiner Zeit zusammenarbeitete, nachhaltig blockieren. Ralf-Oli-vier Schwarz geht mit seinem Buch entschieden gegen „das schöne, schiefe Bild“ Offenbachs an, das sich bis heute hält.
Er spannt einen weiten Bogen, um ein „europäisches Porträt“ von Ausnahmerang darzustellen: Chronologisch werden Lebens- und Karrierestationen Offenbachs dar-gestellt, seine jüdisch geprägte Kindheit in Köln mit dem prägenden Eindruck des Kölner Karnevals , aber auch der jüdischer Spielmanns- und Synagogenmusik, seine Pariser Karriere als Cellovirtuose, seine Theaterlaufbahn an unterschiedlichen Büh-nen der Seinemetropole (Comédie-Française, Bouffes-Parisiens, Théâtre des Varié-tés, Opéra Comique) sowie seine Auslandsgastspiele in Bad Ems, Wien und in den USA, um die beispiellose Erfolgsgeschichte eines der originellsten Musiktheatra-likers des 19. Jahrhunderts zu veranschaulichen, dessen rebellisches, satirisches Musiktheater seinesgleichen suchte.
„Offenbach ist Kind seines Jahrhunderts: Geboren kurz nach dem Wiener Kongress im preußischen Köln entflieht der Musiker dem deutschen Vormärz in das liberale Paris der Julimonarchie, die ‚Hauptstadt des 19. Jahrhunderts‘. Während der Revo-lutionen des Jahres 18848, die er zunächst in Frankreich, dann in Deutschland er-lebte, schreibt er einen ‚chant patriotique‘ wie auch ein ‚Vaterlandslied‘ – für ihn schließt sich das nicht gegenseitig aus. Offenbachs Biografie spiegelt sowohl den wechselseitigen, produktiven und reichen kulturellen Einfluss zwischen Frankreich und Deutschland als auch die politischen Zerwürfnisse und Konkurrenzen im Europa des 19. Jahrhunderts wieder.“
Das Buch wirft Schlaglichter aber auch auf Richard Wagner und andere Kompo-nisten sowie auf Politik und Gesellschaft der Zeit. Es gelingt Schwarz, deutlich zu machen, dass sich die Werke Offenbachs in ihrer Aktualität und Modernität, ihrer „Synthese von deutschem Tiefsinn und französischer Leichtigkeit, von Geist und Esprit „den zu seiner Zeit scheinbar „eindeutig getrennten Räumen eines ‚jüdi-schen‘, ‚deutschen‘ oder ‚französischen‘ kulturellen Gedächtnisses“ entziehen.
Schwarz macht mit seiner Schilderung der zeitgebundenen wie zeitkritischen Di-mension Offenbachs klar: „Auf seine sehr eigene, spielerische und spöttische Art setzt sich Offenbach mit den Erinnerungsorten Europas auseinander: mit den antiken Wurzeln und Mythen in Orphée aus Enfers oder La Belle Helene, mit dem ver-meintlich finsteren Mittelalter in Barbe-Bleue oder mit den Abgründen der Roman-tik in Les Contes d´Hoffmann. Sowohl die Sehnsucht nach Einheit und Friede in den Rheinnixen oder der bissige Spott auf militärisches Machtgehabe in La Grande-Duchesse de Gérolstein - Offenbach scheut nicht die großen Themen seiner Zeit.“ Er macht klar, dass es Offenbach gelingt, „den Widersprüchen seiner Zeit künstle-risch ein Antlitz zu geben“, er macht aber auch deutlich, welche modernen, „öko-nomischen, politischen und letztlich auch ästhetischen Dimensionen des 20. Jahrhunderts (Offenbach) vorweg“ nimmt.
Die Arbeit von Schwarz vereint Biographie, Werkdarstellung (ausgewählter, reprä-sentativer Stücke) und kritisches Zeitbild, aber auch die Wirkungsgeschichte Offen-bachs wird kritisch reflektiert. Der Autor verrät eine profunde Kenntnis von Werk und Person Offenbachs, beeindruckt aber auch durch weit ausholende Recherchen in Bibliotheken und Archiven. Auch die verschiedenen Wohnorte Ofenbachs in Üaris werden genauestens lokalisiert.
Das sehr empfehlenswerte (mit Anmerkungen, Bibliographie und Werkverzeichnis versehene) Buch von Ralf-Olivier Schwarz referiert die Erkenntnisse der Offen-bach-Forschung auf dem Stand von heute und zieht Fazit der Offenbach-Literatur von Anton Henseler („Jakob Offenbach“, Berlin 1930) bis zu Jean-Claude Yon („Jacques Offenbach“ Paris 2000), um nur zwei Marksteine der Offenbachfor-schung zu nennen. Man darf das Buch von Ralf-Olivier Schwarz schon jetzt als das deutschsprachige Standardwerk in Sachen Offenbach bezeichnen, zumal Yons imposante Monographie nach wie vor nicht aus dem Französischen übersetzt ist.
Rezension auch in "Das Orchster" u.a. ...