Die Sache Makropoulos in Zürich

Photos: Monika Rittershaus/ OpernhausZürich


 

 

Der Tod als Show
Leoš Janáčeks "Die Sache Makropulos" – Eine Sternstunde in der Oper Zürich

Premiere: 22.09.2019    

 

Ein  Stück über eine 300 Jahre alte Frau, die ewig jung bleibt, über ein Unsterblichkeitselixier des Alchimisten Kaiser Rudolfs II. im 16. Jahrhundert,  einen endlosen, über Generationen sich hinziehenden juristischen Prozess und sonstige Unwahrscheinlichkeiten auf die Bühne zu bringen, bedarf schon besonderer regielicher Finessen und eines überzeugenden Konzepts.  

 

Dmitri Tcherniakov ist ein Regisseur, der aller Metaphysik, allem Phantastischen und Unglaub­würdigen in der Oper grundsätzlich misstraut. In diesem Stück, das 1926 in Brünn uraufgeführt wurde, ist es vor allem das Thema Unsterblichkeit (die Utopie eines Unsterblichkeitselixiers) mit dem er sich schwer tut. Deshalb erzählt er hinter der Janacekschen unsterblichen, histori-schen Frauenfigur Emilia Marti alias Makropulos die Geschichte einer heutigen Frau, die weiss, dass sie sterben muss. Schon in einem Video während des Vorspiels wird dem Zuschauer  ihre Diagnose von unheilbarem Krebs mitgeteilt. Es geht in seiner Inszenierung vor allem um die Ausweglosigkeit von Krankheit und Sterben, und darum, wie man, sich mit dem Tod abfinden kann. Wenn man es denn kann. Er zeigt er eine Frau, die am Ende aber über den Tod  triumphiert, indem sie ihn akzeptiert und aus ihm  eine große Show macht.

 

Diese Konzeption geht auf, sehr berührend sogar. Tcherniakov lässt alle drei Akte des krimi-nalistisch-juristischen Stücks ganz realistisch in einem Einheitsbühnenbild spielen, in einem altrosafarbenen, großbürgerlichen Hotelsaal. Es ist ein Saal mit allerdings doppelter Wand, und in dem Zwischenraum werden sozusagen die Männer geparkt, denen Emilia Marty den Kopf verdreht hat. Ihren Opfer, deren Opfer sie ist, eine  Projektionsfläche männlicher Erotik wie Lulu. Mit sehr präziser, psychologisch einfühlsamer Personenführung inszeniert Tcherniakov tatsächluch ein Stück mit doppelter Wand, man könnte auch sagen mit doppeltem Boden, und der wird - und das ist der Clou der Inszenierung - in der Schlußszene, wenn das Geheimis der Sache Makropoulus, also des Schicksals der Emilia Marty  enthüllt wird, im wahrsten Sinn des Wortes dem Theater unter den Füssen weggerissen. Die Kulissen lösen sich auf, verschwinden und übrig bleibt die todkranke Frau von heute, jenseits von Emilia Marty. In einer Art Fern-sehstudio - vor grossem Publikum - verkündet sie ihre Botschaft von der Relativität allen Lebens und Sterbens, von der Unsinnigkeit ewigen Lebens - dann bricht sie tot zusammen. Ganz prosaisch. Ohne alle Verklärung oder Romantik, der Musik zum Trotz. Eine verblüffende finale Desillusionierung, die das Stück ernstnimmt und gleichzeitig ans Heute anpasst

 

Die "Sache Makropulos" steht und fällt mit der Interpretin der weiblichen Hauptfigur Emilia Marti. Evelyn Herlitzius singt sie in Zürich. Sie hat ja zuletzt an der Deutschen Oper Berlin schon unter Beweis gestellt, was für eine grossartige, Interpretin dieser vielleicht stärksten Frauenrolle Janaceks sie ist. Auch in Zürich hat sie heute Abend sängerisch wie darstellerisch wiederum brilliert. - Die Partie der Emilia Marty  ist  ein sängerischer wie schauspielerischer Parforceritt.

Immerhin ist sie die Figur einer durch die Jahrhunderte hindurch lebenden Frau in immer neuen Gestalten auf der Suche nach dem geheimnisvollen Dokument, das die Formel des Lebenseli-xiers enthält. Ihre Lebenskraft lässt nämlich nach! Weshalb sie in einen Rechtsstreit eingreift, der sich seit 100 Jahren hinzieht, um am Ende, wenn sie das Rezept der ewigen Jugend in Hän-den hält, einsieht, das ewiges Leben keinen Sinn macht und zum Sterben bereit ist.  


Die Herlitzius bewältigt diesen Parforceritt fabelhaft, es gelingt ihr, die in verschiedenen Ver-körperungen als  Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin sich präsentierende Ikone des Ewig Weib­lichen, der fremdbestimmten Femme Fatale zwischen Lust und Verderben als mitleiderregende Getriebene zu verkörpern. Mit erstaunlicher stimmlicher wie darstellerischer  Intensität. Chapeau kann man da nur sagen.

 

Der Rest des Sängerensembles ist ebenfalls ganz vorzüglich. Es ist ein handverlesenes Ensem-ble, aus dem der Tenor Sam Furness als Albert Gregor und der Bariton  Scott Hendricks als Jaroslav Prus, aber auch der Bariton Tómas Tómasson herausragen. Aber es ist ein in allen 11 Partien absolut über­zeugendes Ensemble, wie man es selten erlebt.

 

Dem Dirigenten kommt die nicht leichte Aufgabe zu, die komplizierte Musik dieser alles andere als populären Oper dem  Publikum zu vermitteln:  Jakob Hrůša ist Böhme, er kommt wie Janá-ček aus Brünn und er hat eine unglaubliche Affinität zu Janacek. Wie er diese böhmisch into-nierte, komplexe, differenzierte, ganz eigene Musik zwischen Dvorak, Debussy und Richard Strauss als aufwühlenden, sinnlichen, opulentem Klangrausch zu entfalten weiss und ihr eine geradezu sogartige Emitionalität entlockt, das hat Ereignischarakter. So überwältigend habe ich  das Stück noch nicht gerhört. Ein grosser Abend für Jancek und für die Oper Zürich. Eine Sternstunde! Das Zürcher Premierenpublikum war  ausser sich vor Begeisterung.



Rezension auch in DLF / Fazit am 22.09.2019