Lucio Cornelio Silla Händel Halle

Photo: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle; Copyright by Anna Kolata


Händelfestspiele Halle 2015 - Der Duce läßt grüßen

Lucio Cornelio Silla – G.F. Händel

Opernhaus Halle, Premiere5.6.2015


Mit einer Rarität wartet die Oper Halle am Beginn der diesjährigen Händel-festspiele  auf,  mit der Oper „Lucio Cornelio Silla“, die noch nie in diesem Jahrhundert  szenisch aufgeführt wurde. Die Oper dauert nur zwei Stunden. Was nicht gegen sie spricht. Im Gegenteil. Ein menschliches Maß. Über die  Entstehungs- und Aufführungsgeschichte des Stücks weß man nichts Zuverlässiges. Ob es zu Lebzeiten Händels je eine Aufführung gab, etwa am Queens Theatre 1713,  ist nicht mehr nachzuprüfen. Dass das Stück an einem Liebhabertheater aufgeführt wurde, wie schon der Händelbiograph Chrysander vermutete, ist unwahrscheinlich angesichts der anspruchsvollen und virtuo-sen Gesangspartien.  Das Libretto von Giacomo Rossi mit seiner verwirrenden Fülle an Geschehnissen und  absurden Handlungsum-schwüngen  grenzt ans Unglaubwürdige. Was als sicher gilt, daß dieses Stück wohl ein Auftragswerk des Duc d´Aumont de Rochbaron, eines Sonderbotschafters Ludwigs des Vierzehnten  am Englischen Hof war. Und so darf  das Stück in seiner kruden Drastik vielleicht verstanden werden als chiffriertes politisches Manifest gegen den in der Gestalt des größenwahnsinnigen Silla porträtierten Duke of Marl-borough, des Oberbefehlshabers der englischen Streitkräfte, der ein Feindbild der Franzosen war. Und da macht natürlich  - wenn auch noch so opernhaft verknappt und überzeichnet - die Figur eines der grausamsten und widersprüchlichsten Tyrannen und erotischen Wüst-lings Roms aus der Spätphase der Republik Sinn, eines Paradebeispiels willkürlicher Gewaltherrschaft.


Das Stück darf denn auch als Spiegelung aktueller Politik im Gewand römischer Geschichte verstanden werden, als französische, antieng-lische Propaganda. Der britische Regisseur Stephen Lawless und sein Ausstatter Frank Philipp Schlossmann dechiffrieren in ihrer Insze-nierung die alte römische Geschicht aus der Sicht von heute auf Gewaltherrschaften im 20. Jahrhundert. Sie zeigen das Stück im italieni-schen Mussolini-Faschismus, in massiv und schwarz weiß gebauten römischen Zimmerfluchten auf der Drehbühne des Halleschen Opern-hauses, und sie spielen mit dem Medium Film. Immer wieder gibt es  Kriegs- und Propagandafilmüberblendungen. Lucio Silla tritt auf wie der Duce persönlich. Es geht um Aufstieg und Abgang, erotische Masslosigkeit, Personenkult und  Psychogramm eines Diktators. Lawless zeigt den allmählichen Verfall Sillas, der mit seinem willkürlichen Verhalten selbst vor seinem unmittelbaren Umfeld, nicht halt macht, um am Ende ganz überraschend seinen Rücktritt zu erklären.


Doch Lawlesss und Schlößmann trauen dem relativ glimpflichen Ausgang nicht und zeigen im dritten Akt, wie Silla von den gegen ihn aufbegehrenden engsten Vertrauten in der eigenen Badewanne ertränkt wird (was nicht im Libretto steht). Dass er auf nicht ganz nach-vollziehbare Weise  wieder ins Leben zurückkehrt, gehört zu den Rätseln der Inszenierung. Auch, daß statt des Schiffbruchs auf hoher See und wunderbarer Rettung  die Inszenierung mit einer Apotheose des Diktators vor Zypressen endet, während alle Verschwörer, mit gepackten Koffern antretend,  wie exekutiert in sich zusammensinken, widerspricht dem Stück, das offenbar das Inszenierungsteam in arge Deutungsnöte brachte. Was nicht verwundert. Am Ende triumphiert der Diktator  in Heldenpose. Ein martialisches Bombardierungs-video beendet die Aufführung. Das ist - mit Verlaub gesagt - dick aufgetragen. Nichts desto trotz dar man von einer insgesamt schlüssigen, einer sehenswerten Produktion sprechen.


Sie ist aber auch hörenswert, denn die Sängerbesetzung der in diesem Jahrhundert zum ersten Mal auf der Bühne gezeigten Oper ist durch die Bank ausgezeichnet. Der florentinische Counter Filippo Mineccia singt und spielt einen glaubwürdig unsympathischen, narzisstisch gestörten Silla alias Mussolini. Für seinen Leibarzt Lepido hat man den amerikanischen Counter Jeffrey Kim verpflichtet, der vor drei Jahren erstmals in Halle zu hören war. Und die vorzügliche Damenriege mit Ines Lex Antigone Papoulkas und Eva Bauchmüller wird  eindrucksvoll angeführt von Romelia Lichtenstein, die nach wie vor eine imposante Barocksängerin ist.


Das Händelfestspielorchester spielt in diesem Jahr zum ersten Mal unter Leitung des Alte-Musik-Spezialisten Enrico Onofri, der sich  mit dem Ensemble Il Giardino Armonico einen Namen gemacht hat.  Er hat das Stück musikalisch  außerordentlich temperament- und  kraft-voll reanimiert, markant in Phrasierung wie Farbgebung. Das torsohaft erhaltene Stück ist ja erst vor gut zwanzig Jahren  von dem hoch-angesehenen Oxford-Professor Terenc Best, einem der beiden leitenden Editoren der Halleschen Händel-Ausgabe, rekonstruiert  und in ei-ner aufführbaren Partitur vorgelegt worden.  Die szenische Uraufführung dieser Fassung lag bei Enricco Onofri in besten Händen. Er hat dem Stück das gegeben, was s braucht: Vitalität und Drive. 



Beitrag auch in MDR Figaro,  06.06. 2015, . 08.40 Uhr