Crociato in Egitto - Venedig

Photo: Teatro La Fenice / Michele Crosera


Pier Luigi Pizzis elegante Meyerbeer-Ausgrabung:

"Il Crociato in Egitto" am Teatro La Fenice, Januar 2007


 

Meyerbeers Oper über Den Kreuzfahrer in Ägypten ist ein Werk des "Nicht-mehr-und noch-nicht", ganz italienische Oper im Fahrwasser Rossinis, aber doch schon mit Verdi-Vorklängen. Mit dieser Oper, die im venezianischen Teatro La Fenice 1824 uraufgeführt wurde, reüssierte Meyerbeer  zum berühmtesten Komponist ita-lienischer Opern neben Rossini und errang einen seiner größten Triumphe. Gefeiert wird diese Oper auch jetzt wieder, im Teatro La Fenice, wo die erste moderne Aufführung des Stücks zu erleben ist. Seit über hundert Jahren war die Oper dort vergessen.



Dass man sich in diesem Jahr entschlossen hat, Giacomo Meyerbeers sechste und letzte seiner italienischen Opern auszugraben, ist mutig, denn sie stellt nicht nur an Mitwirkende, sondern auch an die Zuschauer höchste Anforderungen. Zwar verlie-ßen nach dem ersten Akt, er dauerte zwei Stunden, viele Zuschauer das Theater, aber wohl eher aus Unverständnis für die – zugegeben - dramatisch etwas span-nungslose Werkstruktur der Oper an sich. Sie fordert sensible Ohren, viel Geduld und gutes Sitzfleisch. Der überwiegende Teil des Publikums harrte aber aus und war dankbar für diese hochinteressante Opernausgrabung von ästhetisch geradezu beglückendem  Seltenheitswert.   


Auch sängerisch kann sich die Aufführung hören lassen. Der junge Bass-Bariton Marco Vinco singt einen virilen Sultan, die Mezzosopranistin Laura Polverelli eine hinreißende, in Männerkleidung auftretende Felicia, Nichte des Kreuzritter-Groß-meisters Adriano, den der Tenor Fernando Portari mit heldischen Belcanto-Qualitä-ten ausstattet. Als Sensation dürfte vielen der junge, außergewöhnliche New Yorker Sopranist Michael Maniaci erscheinen, der den Ritter Amando singt. Ein hochvirt-uoser Falsettist, dessen Verfallszeit bei dem schonungslosen vokalen Einsatz, den er wagt, kurz sein wird. Auch Patrizia Ciofi als Sultanstochter Palmide, die intelligent und hochmotiviert singt, ist eine stimmlich schon etwas waidwunde Virtuosa des Koloratursopranfachs.


Dennoch: die Aufführung ist insgesamt auf einem Niveau, das verblüfft. Es ist im-mer wieder erstaunlich, welchen Opernluxus sich auch heute noch die kleine, wirt-schaftlich nicht eben mehr bedeutende Stadt Venedig leistet. Nicht nur, dass man das 1996 abgebrannte Opernhaus im Jahre 2004 prachtvoll wiederaufgebaut hat, in altem Glanz, als täuschend echte Kopie des traditionsreichen Uraufführungshauses, eines der bedeutendsten in Italien. 


Man bringt immer noch und immer wieder außergewöhnliche Produktionen heraus und das Publikum lässt es sich etwas kosten. Ein wohlsituiertes, wohlerzogenes Publikum, das zum elegantesten Europas zählt. Nun ist in Venedig, wo Oper anoch selbstverständlicher Ausdruck bürgerlichen Selbstverständnisses ist, wie vielleicht in keiner anderen Stadt der Welt mehr, schließlich die Stadt der ältesten Operntradition Europas.


Es ist traditionell  ein gesellschaftliches Großereigenis, wenn im schönen Teatro La Fenice, in Anwesenheit  höchster Repräsentanten von Staat und Kirche, Gesellschaft, Kultur und altem Adel die Stagione eröffnet wird, kurz vor Beginn des Karnevals, der sich auf den Strassen schon dezent ankündigt. Seit dem 18. Jahrhundert markiert er die traditio-nelle Eröffnungszeit der Opernstagione. 


Das Stück, mit dem sie in diesem Jahr beginnt, ist alles andere als karnevalistisch. Es geht um den blutigen Macht- und Herrschaftsanspruch zwischen Muslimen und Christen, es geht um einen Kulturkampf und natürlich, wie in der Oper üblich, um einen Liebeskonflikt, er ist um so pikanter, als er zwischen einer Muslimin und einem Christen ausgetragen wird, angesiedelt im 13. Jahrhundert in Ägypten während des sechsten Kreuzzuges.


Die Aktualität dieser Kreuzfahrer-Oper liegt auf der Hand. Man kann sich die fern-sehgerechten Nahost-Bilder aktualisierungswütiger Vertreter modernen "Regie-theaters" vorstellen. Anders in Venedig! Keine Maschinengewehre, keine Panzer, keine abgeschlagenen Köpfe, die noch unlängst in Berlins Deutscher Oper in einer Inszenierung von Hans Neuenfels für Furore sorgten, keine prominenten amerika-nischen oder arabischen Politiker auf der Bühne, nichts derlei.


Altmeister Pier Luigi Pizzi, unangefochtener Regiekönig der Oper in Italien, zeigt in strengen, klaren, ästhetisch ausgezirkelten Schwarz-Weis-Bildern den Konflikt des Stücks zeitlos symbolisch. Das Symbol der Muslime ist bei ihm das arabische Wort Allah, das schwarz auf weißem Vorhangschleier geschrieben steht, in schöner arabischer Kalligraphie. Ein großes Kruzifix symbolisiert das Christentum. Die Kreuzritter bringen es auf einem riesigen schwarzen Schiff, das lautlos auf die Bühne gleite, ins „Reich des Bösen“, das sich am Ende als das des Guten erweist, denn am Ende steht bei Meyerbeer und seinem Librettisten Rossi die Versöhnung, eine muslimisch-christliche Utopie.


Schon deshalb hat Pizzi das Werk nicht ins Hier und Heute verlegt, denn reale Utopien und Versöhnungen sind heute selten. Und er zeigt die Muslime in geradezu verschwendungssüchtiger, sinnlich-lebensfreudiger Farbigkeit, im Kontrast zu den asketisch schwarz-weißen Kreuzrittern. Auf der leeren, schwarzen Bühne des Teatro la Fenice entfaltet Pizzi vor immer wieder herabfahrenden weißen Schleiern eine wahre Kostümorgie. Es sind historische Kostüme in erlesensten Stoffen, Pizzi hat für die Ritter und Emire, die Imane und Ägypter, für Herolde und Waffenträger noch einmal die hohe Kunst venezianischer Stoffmanufakturen bemüht. Was das gekostet haben mag? Er läßt Auftritte zelebrieren, Gänge muten geradezu rituell an, Pantomime und Tanz werden geschmackvoll eingefügt.


Mancher mag das altmodisch nennen. Andere werden das Fehlen jeglichen nase-weisen Kommentars der Eigenbefindlichkeit des Regisseurs als wohltuend emp-finden. Ein wohltuendes und sinnig einleuchtendes Augenfest ist diese Inszenierung allemal. Und der eben 34-jährige, in Strassburg geborene Dirigent Emmanuel Villaume, einer der aufsteigenden Nachwuchsdirigenten in den USA, weiß die Musik Meyerbeers adäquat zu realisieren  als durch und durch italienische Oper, aber auch als Zukunftsmusik. Ein besonderes Lob gebührt dem fabelhaften Chor des Teatro La Fenice, der in diese Oper tragende Funktion hat, aber auch dem  Orchester des Teatro La Fenice. Es  folgt der klangsinnlichen wie klug durchdachten musikalischen Lesart Emmanuel Villaumes präzise, klangschön, ja brilliant gerade auch in den vielen solistischen Einsätzen der Blasinstrumente. Erstaunlich, wie sich dieses Orchester inzwischen einen Spitzenplatz unter den Opernorchestern Europas eroberte.


DLF, DW & Schott Verlag (Das Orchester)