Offenbachs Rheinnixen in Ljubliana

Photo: Zvonko Novosel


Szenische Wiedergeburt in Ljubljana: Jacques Offenbachs romantische Antikriegsoper

"Die Rheinnixen"


Erste szenische Wiederaufführung seit 1864.


 


Bei dem Namen Jacques Offenbach denkt jeder an die vielen "Operetten" oder, genauer gesagt, "Opéras bouffes" (an die hundert hat Offenbach geschrieben), und an die Oper "Hoffmanns Erzäh-lungen". Daß er darüber hinaus noch ein paar andere Opern komponiert hat, ist weithin unbekannt. Auch die große romantische Oper in vier Akten "Les Fées du Rhin" oder "Die Rheinnixen", die 1864 an der Wiener Hofoper uraufgeführt und sodann vergessen wurde, zählt zu den unbekannten Werken Jacques Offenbachs. Vor zwei Jahren wurde sie in der originalen deutschen Fassung in einer konzertanten Aufführung in Montpellier ausgegraben. Jetzt hat diese große, abendfüllende Oper, zum ersten Mal seit 1864, auch szenisch wie­der das Licht der Bühnenwelt erblickt. Geburts-helfer ist das Opernhaus der slowenischen Hauptstadt Ljubljana.  Die beiden Premieren (unterschiedlicher Besetzungen) waren am 13. und 14. Januar 2005.


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Wer kennt sie nicht, die Barcarole aus Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen". Daß sie eigentlich aus der Ouvertüre der 17 Jahre zuvor entstandenen, für Wien komponierten und dort ur-aufgeführten Oper "Les Fées du Rhin", stammt, deren deutscher Titelirreführend "Die Rheinnixen" heißt, weiß wohl kaum jemand. Um Nixen (Undinen) geht es in dem Libretto Alfred von Wolzo-gens bzw. Charles Nuitters gar nicht, sondern um Feen, Elfen, Elementargeister ohne Schuppen und Fischschwanz, die das Chaos einer von Kriegen, will sagen Kriegern zerstörten Welt auf die Spitze treiben, um den Wahn der Menschen zu lösen. 


Die Oper spielt mitten in Kriegszeiten deutscher Kleinstaaten, Provinzen und Fürstentümer. Die Hauptpersonen sind allesamt traumatisiert. Ein Hauptmann, Franz mit Namen, der seit einer Kriegsverletzung an Gedächtnisverlust leidet, seine von ihm verlassene  Jugendliebe Armgard und deren Mutter Hedwig, die von einem Hauptmann geschwängert und verlassen wurde. Der Gut-mensch Gottfried, ein Jäger, treibt aus Rache für verübte Kriegsgreuel die Soldaten zum Elfenstein, wo die Landsknechte dem Zauber der todbringenden Feengesänge erliegen sollen. Es kommt an-ders. Am Ende findet Franz sein Gedächtnis wieder, die in Scheintod gefallene Armgard erwacht und der grausame Hauptmann Conrad schwört allem Kriegshandwerk ab. Eine utopische, pazifis-tische, romantische Oper des im französischen Exil lebenden Offenbach, der Armgard, die weib-liche Hauptpartie, zur Symbolfigur deutscher Einigungssehnsüchte macht. Ihr Deutschlandlied, das Offenbach schon 1848 komponiert hatte, wird wie die Feen-Bacarole zum Leitmotiv dieser roman-tischen Oper: „Du liebes Land, Du schönes Land, Du schönes, großes deutsches Vaterland“.


Als diese Oper vor etwas mehr als zwei Jahren im südfranzösischen  Montpellier konzertant wie-derentdeckt wurde, glich das einer Sensation, die vom Publikum heftig gefeiert wurde. Nicht min-der sensationell ist die szenische Erstaufführung, 141 Jahre nach der Uraufführung, die am zurück-liegenden Wochenende im Opernhaus der slowenischen Hauptstadt Ljubljana über die Bühne ging. Das 300.000 Seelen fassende, ehemalige K & K-Idyll namens  Laibach mit seiner malerischen Alt-stadt entlang des Flusses Ljubljanica, unterhalb einer mächtigen Festung,  heißt zwar auf Slowe-nisch  nichts anderes als "Stadt der Liebe", aber eine besondere Liebe zur Musik, zur Oper kann man ihr – seit sie  vom Sozialismus regiert wurde - nicht nachsagen.  Im Gegenteil, wie Opern-Intendant Borut Smrekar erläutert:


"Musiktheater in Slowenien war in den 50er und auch noch 60er Jahren auf hohem, europäischen Niveau. Danach hat die Selbstverwaltung Einzug ins Theater gehalten. Das bescherte uns eine große Krise. Wenn Putzfrauen über das Repertoire mitbestimmen dürfen, dann können Sie sich vorstellen, was das für Konsequenzen für die Kunst hat!“


Musik und Musiktheater spielt in Slowenien im Gegensatz zu andern Staaten des ehemaligen Ost-blocks erstaunlicherweise nicht die Rolle, die man gerade im ehemals K&K Anhängsel Österreichs mit seiner Wien-Nähe vermuten würde. Acht staatliche Schauspielhäuser gibt es, aber nur zwei Opernhäuser mit eigenem Ballett, Ensemble und Orchester, in Ljublina und in Maribor, daneben mehrere kommerzielle Privattheater. Die Regierung setzte, wie schon zu Zeiten des Sozialismus, eindeutig auf Sprechtheater:


"Wir sind in einer sehr schwierigen Situation. Das Musiktheater hat es in unserem Kulturleben am schwersten. Um es Ihnen zu verdeutlichen: das Verhältnis der Subvention von Schauspieltheater zu Musiktheater bei uns beträgt Eins zu Neun. Das ist ein gravierender Unterschied. Und deshalb freue ich mich, wenn es uns gelingt, erfolgreich zu sein.“  (Borut Smrekar)


Intendant Borut Smrekar hat allen Grund zur Freude, denn seine Rechnung ist aufgegangen. Er hat es geschafft, in Kooperation mit dem Festspielhaus im Österreichischen St. Pölten und dem Can-karjev Dom zu Ljubljana (zwei Gastspiele werden im schweizerischen Theater Winterthur gegeben) die Aufmerksamkeit der internationalen Musikwelt auf die "Renske Nimfe" an seinem Haus in Lju-bljana zu lenken, ein vor 110 Jahren erbautes, prachtvolles Gebäude mit 550 Sitzplätzen und ein architektonisches Juwel.  Um dem großen Publikumsansturm gerecht zu werden, ist man in den Cankarjev Dom, einen in den Achtzigerjahren erbauten Kulturpalast ausgewichen, der 1500 Zuschauer faßt.


 "Wir haben ursprünglich zehn Vorstellungen geplant, aber die große Kartennachfrage (trotz erhöh-ter Eintrittspreise) hat uns bewogen, zusätzliche Vorstellungen anzuberaumen" 


Nicht, daß die Inszenierung von Manfred Schweigkofler, dem Intendanten des Stadtheaters Bozen, das ursprünglich auch Kooperationspartner werden wollte, aufsehenerregend wäre, eher nicht in ihrer an der Oberfläche des Stücks sich entlangtastenden, musicalhaft aufgeputzten Schlichtheit. Auf einer an "Neubayreuth" denken lassenden Weltenscheibe arrangiert Schweigkofler, der tat-sächlich mehr vom Musical als von Opern versteht, das Stück als bloße Ausstattungs-Revue zwi

schen hintereinander aufgestellten Bühnen-Portalen, die mal strohgelb, mal verkohlt aussehen. Die Feen dürfen wie überdimensionale, lang-gezogene Kaffeewärmer mit Kopf und spitzen Hüten vom Schnürboden herabschweben. Der größte Regieeinfall ist eine pantomimische Figurenerfindung des zündelnden Gevatters Tod. Den psychologischen Dreh- und Angelpunkt des Librettos nimmt Schweigkofler kaum wahr, jedenfalls erzählt er das Stück nicht aus dieser Perspektive. Und aus welcher sonst sollte man es verstehen können? Stattdessen Massenaufmärsche der in schwarze,  gummiartige Fantasy-Ritterkostüme gesteckten Choristen, die mit langen Speeren bewaffnet,  im-mer wieder in die Knie gehen und hopsen, tänzeln und trippeln müssen, was unfreiwillig komisch wirkt. Rampenauftritte konventionellster Operngesten sich befleißigender Solisten und demon-strative Massenvergewaltigungen im Sechsachteltakt, die angesichts der unvergessenen Kriegs-greuel im Nachbarland geradezu geschmacklos wirken. Nein, die Inszenierung wird dem Stück nicht gerecht. Szenisch muß es erst noch wiederentdeckt, um nicht zu sagen rehabilitiert werden.


Aber musikalisch hat die Aufführung in Ljubljana, mit doppelter, nationaler und internationaler Besetzung ihre Meriten. Die Oper wird, von weniger Strichen abgesehen, fast komplett gespielt, mitsamt der von Sándor Román gewitzt choreographierten Ballettmusik im dritten Akt. Es gibt - einmal abgesehen von der durchweg zu wünschen lassenden Textverständlichkeit - einige hervorra-gende Sänger, etwa Branko Robinšak als Lohengrinhafter Franz, Ralf Lukas als beispielhaft dekla-mierendem Gottfried mit ausgewogenem Bariton und Jože Vidic  als Konrad im Jagoformat. Der Star der Aufführung ist die über dramatische Reserven und zauberhafte Höhe verfügende slowaki-sche Koloraturen-Sopranistin Adriana Kohutova als Armgard.


Das Orchester spielt hochmotiviert, klangschön und weithin präzise. Über die „Dicke“ des Klangs, über  Besetzungsstärke des Orchesters  und Tempo läßt sich streiten. Nicht über die dirigentische Kompetenz Dieter Rossbergs und die hohe Qualität der ausgegrabenen Oper, in der sich Offenbach mit großbögig disponierender, dramatischer Kraft, an Mendelssohn erinnernden Elfenzauber, mit gefühlvollen Balladen, herrlichen Duetten und Ensembles, mit effektvollen Chören und Finali, einem instinktsiecheren Gespür für Klangfarben, raffinierter Instrumentationskunst, mit vielen pikanten Anspielungen auf Verdi und Weber, Wagner und Gluck und souveränen Umgang mit einem Wagnerorchester und Massenchören – die "Rheinnixen"  entstanden  zeitgleich mit dem "Tristan" (und wurden an dessen statt in Wine uraufgefürt!)  - einmal mehr als verkanntes Genie erweist.


Wie der Hamburger Dirigent Dieter Rossberg betont: "Es ist schon wirklich bedenkenswert, zu sehen, was aus Offenbach geworden wäre, wenn dieses Werk eine ganz andere Resonanz zu seiner Zeit gefunden hätte und er entsprechende Kompositionsaufträge bekommen hätte. "


Mögen "Die Rheinnixen", genauer gesagt, "Die Rhein-Feen" in der von Jean Christophe Keck  edierten Edition, die beim Verlag Boosey & Hawkes erschien, mit Dieter Rossberg zu reden, ihren Siegeszug auf den Bühnen der Welt antreten: 


"Ich bin kein Prophet, aber ich wünsche es dem Werk und ich denke, wer Ohren  hat, der wird ihm eine Chance geben. Es wäre blamabel für die internationale  Musikszene, wenn dieses Werk nicht die ihm zustehende Würdigung finden würde." 

 


Beiträge für SWR, MDR, DW, HR (17.1.2005)  + Opernwelt