Goltz/Müller: Neue Cosima-Briefe / Kein neues Cosima-Bild!

Königin und Täubchen.Unspektakuläre Briefe von Cosima Wagner an Ellen Franz/Helene von Heldburg.

Ein wichtigtuerisches Buch. Aber keine Korrektur des Cosima-Bildes

Herausgegeben von Maren Goltz und Herta Müller

Allitera Verlag 2014, 464 S.




Sie wird als Sensation angekündigt, die erstmalige Herausgabe und Kommentierung der 77 Briefe Cosima von Bülows (spätere Wagner-Ehefrau) an ihre Berliner Jugendfreundin Ellen Franz, die nachmalige Helene von Heldburg, Gattin des Meininger »Theaterherzogs« Georg II. Die Musikwissenschaftlerinnen Maren Goltz und Herta Müller haben diese Briefe jetzt als Buch herausgebracht. Zweisprachig englisch-deutsch, wohl aus marktstrategische Gründen. 



Über die junge Cosima von Bülow, geborene Liszt, nachmalige Wagnergattin, weiss man wenig. Von daher sind die Briefe, die jetzt erst-mals veröffentlich werden, willkommen als neue Quelle der Cosima-Biographik. Einer Neuentdeckung kommt der Fund allerdings nicht gleich. Es war bekannt, dass 78 Briefe Cosimas im Meininger Staatsarchiv liegen. Aber, so Maren Goltz im Gespräch:


"Das Schwierige an diesen Briefen war, dass sie zum Teil in englischer Sprache geschrieben sind und dass sie, das ist das größte Problem gewesen, dass sie nicht datiert gewesen sind."


Mit großer Sorgfalt und Bienenfleiss haben die beiden Herausgeberinnen die Briefe sortiert, zeitlich zugeordnet und übersetzen lassen. Cosima und Helene haben das Englische ja quasi als vertraute Geheimsprache unter Freundinnen benutzt. Es gibt zwei Teile von  Korres-pondenz aus zwei unterschiedlichen Lebensphasen Cosimas: 1859-1862 war Cosima Bülow-Gattin und 1877 bis 1912 war sie "Herrin des Hügels".


"Diese Korrespondenzteile unterscheiden sich dadurch, dass Cosima im ersten Teil,  in ihrer frühen Phase ihres Berliner Lebens keineswegs eine Herrin ist, während sie dann als Frau von Richard Wagner die Zügel sozusagen fest in der Hand hält."


Was verband Cosima, die Gattin des Pianisten Hans von Bülow die von Helene Königin genannt wird, mit ihrer Freundin, die sie Täubchen nennt?


"Cosima ist in dieser Berliner Zeit ziemlich einsam. ... Und sie war  auf der Suche nach Halte- und Orientierungspunkten. Und da war Helene da, die ebenfalls Klavierschülerin im Hause Bülows war, zu der sie ein ganz offenes und für die Zeit ungewöhnlich nahes Verhältnis aufbauen konnte."


Die Freundschaft zwischen Cosima und Helene hält ein Leben lang, wenn auch zwischen dem ersten und zweiten Briefkonvolut Jahre des Schweigens liegen.  Die Berliner Briefe der jungen Bülowgattin Cosima, so behaupten Buch und Herausgeberinnen, erschließen völlig neue Einblicke in die Welt der beiden  Frauen, vor allem Cosimas.


"Für diese frühe Zeit haben sie eine ganz großen Stellenwert, weil die Briefe so viel von dem verraten, was wir bislang nicht wussten."


Gewiss, die Briefe Cosimas an Ellen Franz, der Schauspielerin und späteren Frau des Meininger Herzogs (deren Briefe übrigens nicht überliefert sind),  lassen einige  Facetten von Cosimas  Persönlichkeit sichtbar werden, an der man aber bisher schon nicht zweifelte: ihre hohe Bildung, ihr intellektuelles Niveau, ihre Musikalität und ihre große Theaterleidenschaft. Aber eine wirklich kreative Frau war Cosi-ma nie. Auch ihre Anlehnung an den Meininger Hoftheaterstil für Bayreuth nach Wagners Tod - über den man in diesen Briefen liest  - war nicht wirklich fortschrittlich

 

In ihren Berliner Jahren vor Wagner war Cosima, das immerhin erfährt man aus diesen Briefen, noch eine wilde Hummel und eine umtrie-bige, neugierige Chaotin. Doch die Ehe mit Bülow war unglücklich. Als sie Wagner kennenlernte, verliess Cosima ihren Mann und wen-dete sich rücksichtslos, anbetend und devot (und mit schlechtem Gewissen, das sie durch Bigotterie kompensierte) nach dem "Kundry"-Motto "Dienen, Dienen" dem faszinierenderen Wagner zu. Die Briefe des zweiten Konvoluts, also aus der Bayreuther Zeit, widersprechen dem ganz und gar nicht und bestätigen eher das wenig sympathischen Bild Cosimas, das man aus ihren sonstigen  Briefen, Tagebüchern und zeitgenössischen Quellen bisher gewonnen hatte.


Die Herausgeberinnen  wollen, so liest man, "einen zentralen Beitrag auf dem Weg zu einer transparenten und wissenschaftlich fundierten Cosima-Biographie leisten". Sie lehnen energisch und mit harten Worten fast alle bisherigen Cosima Darstellungen, die sich mit der Wagnergattin befassen, entschieden ab und werfen den Autoren Kurzsichtigkeit und perspektivische Einseitigkeit vor.   


"Interessant war für uns, jene Cosima kennenzulernen, die noch wesentlich  weniger determiniert ist durch Richard Wagner."


Schön und gut, aber der Versuch, Cosimas Biographie aus 37 Berliner Briefen korrigieren zu wollen, in denen man doch eigentlich nicht mehr als belanglos alltägliche Seelenergüsse einer jungen Intellektuellen aus gutem Hause nachlesen kann, neu schreiben zu wollen,  greift entschieden zu kurz. Freimütig gesteht Herausgeberin Maren Goltz: die Gründe der vermeintlichen Wandlung Cosimas  von der Bülow-Gattin zur Wagneranbeterin nicht erklären zu können, was sie davon abhalte ...


" ...jemals darüber nachzudenken, eine Cosima-Biographie zu schreiben."


Aber was soll der Anspruch des Buches dann, fragt man sich? Die Selbstdarstellung dieser Briefedition ist vermessen. Mit feministisch anmutender Beflissenheit und großen Worten wird da ein überaus positives Bild Cosimas dargestellt, das einer Verklärung gleicht. Ent-scheidend ist und bleibt die Cosima der Wagnerzeit und danach, denn sie hat Brunnen vergiftet. Cosima hat den Bayreuther Kreis (mit-samt der Hauszeitschrift der Bayreuther Blätter) initiiert, der die nationalsozialistische Wagnervereinnahmung erst möglich machte. Über ihr geradezu neurotisches Unwertgefühl als Frau, ihre fast masochistische Unterwürfigkeit, ihren fantischer Willen, Wagner zu beherr-schen und der Welt als etwas Anders zu präsentieren als er war, darüber liest man  kaum etwas in den Elogen über Cosima in diesem Buch. Auch Cosimas peinliche Frömmelei, ihre fast wahnhafte Religiösität, ihr militanter Antisemitismus, der sich sehr von dem Wagners unterschied, all das wird weitgehend ausgeklammert. Nein, eine Neubewertung Cosimas muss nach Lektüre dieses aufwendig gemachten, aber mit Verlaub gesagt, doch etwas aufgeblasenen und wichtigtuerischen Buches nicht vorgenommen werden.



Beitrag für MDR Figaro - Opernmagazin - 01.03.2014