Die Liebe zu den drei Orangen. Dessau

Photo: Claudia Heysel


Sinnlich intelligentes Vollbluttheater ohne Aufwand


Hinrich Horstkotte ist ein Theatermagier, der dem Stück Gerechtigkeit widerfahren lässt, ohne es zu vergewaltigen. Selten erlebt man so verspieltes, selbstverständliches Vollbluttheater. 



1921 wurde in Chicago die Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" von Sergej Prokofjew uraufgeführt. Eine "Märchen-Satire-Zirkus-Oper", die auf dem gleichnamigen Stück des venezianischen Comedia dell Arte-Dichters Carlo Gozzi basiert. Der russische Theater-reformer Wsewolod Meyerhold hat ihm das Libretto geschrieben. Im Anhaltischen Theater Dessau hatte das Stück am 27. April in einer Neuproduktion Premiere. 



Der Berliner Regisseur Hinrich Horstkotte hat die Oper inszeniert. Eine Oper, die Polit-groteske, Märchenstück und geradezu programmatische Opernparodie zugleich ist. Er hat einen Spagat geschafft, in dem er einen sehr vergnüglichen, prallbunten Theater-abend kreierte, der die theatertheoretischen und kunstkritischen Aspekte des Stücks nicht vernachlässigt und doch nicht kopflastig daherkommt. Er vertraut dem filmschnittarti-gen, phantastisch-grotesken Märchen-Stück, das einen liebeskranken, melancholischen  Prinzen zeigt, aber auch monströse Erscheinungen, Hexe und Zauberer, Orangen, aus denen sich Prinzessinnen herausschälen, ein Stück, das mitnichten realistisch sein will. Horstkotte lässt dieses Kunst-Stück als großes Zaubertheater, als theatralisch sinnliche Revue handwerklich perfekt abschnurren. Das ist kurzweilig, ironisch, witzig, unbe-schwert und wird dem Montagecharakter des avantgardistischen Werks gerecht, das ja eine bewusste Absage an traditionelle Oper, an realistische Geschichten und große Gefühle sein will.



Gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Robert Pflanz zeigt Horstkotte auf der Bühne vor allem Theater. Absurdes Theater auf dem Theater. Man sieht, wenn der Vorhang aufgeht, eine Zuschauertribüne, darauf Theaterpublikum. Da streiten sich Lustige und Ernsthafte, Romantische und Hirnlose. Ich zitiere  nur aus dem Libretto! Jenseits der mobilen Tri-büne trollen sich aber auch Spaßmacher und fabelhafte Figuren plus Personal der Come-dia dell Arte, das immer wieder dazwischenfunkt. Kamele werden vorbeigezogen. Sterne ziehen auf. Alles unecht, alles künstlich, eben so künstlich, wie das Stück sein will.  Rasch wechseln die Szenen. Das hat Tempo und Witz. Man sieht eine Theaterwelt, die fast ohne Kulissen auskommt, die aber kraft des turbulenten Spiels, das Horstkotte ent-faltet, das Publikum begeistert. Horstkottes Theaterphantasie kennt schier keine Gren-zen, er kann mit Qualm und Beleuchtung zaubern, aus Nichts an Aufwand eine betören-de Theater-Welt erschaffen. Und die von ihm selbst entworfenen Kostüme sind bezau-bernd. Seine Personenführung ist so virtuos wie vital. Horstkotte ist ein Theatermagier, der dem Stück Gerechtigkeit widerfahren lässt, ohne es irgendwie zu vergewaltigen. Selten erlebt man so verspieltes, selbstverständliches Vollbluttheater. 



Man braucht 15 Sänger, davon 8 erstklassige, und einen grossen Chorapparat für diese Oper. In Dessau kann man das Stück hervorragend besetzen, aus dem eigenen Ensemble, alle acht Hauptpartien, aber auch die Nebenfiguren. Ulf Paulsen als alter, aber bariton-starker König, Ray Wade als schmetternder Prinztenor, David Ameln als Spaßmacher Truffaldino, die großartige Iordanka Derilova als hochdramatische Hexe Fatamorgana, auch Michael Tews in den Partien des Zauberers Tschelio und einer monströsen, drei-brüstigen, an Blähungen leidenden Köchin, aber auch Cornelia Marschall als Orangen-prinzessun Ninetta, um nur die herausstechenden zu nennen, machen eine wirkliche Luxusbesetzung aus, die sich hören lassen kann! Besonders anspruchsvolle Aufgaben haben die Chöre haben in dieser Oper zu bewältigen. Chor und Extrachor  des anhalti-schen Theaters sind fabelhaft. Sebastian Kennerknecht hat sie bestens einstudiert. Chapeau.


Die Musik Prokofjews ist klanglich ausserordentlich anspruchsvoll. Sie spannt einen weiten Bogen von romantischer Märchenhaftigkeit bis zu aufmüpfiger, grotesker Moderne. Dirigiert hat der Musikchef des Hauses,  GMD Markus Frank. Er hat die enorme Spannbreite dieser phantasievoll kurzweiligen, bissigen, ironisch frechen Musik voll ausgekostet und den Patchworkcharakter dieses gelegentlich als "Machwerk" bezeichnenden Stücks  geradezu lustvoll als Mehrwert betont. Sein Dirigat ist rasant, klangüppig, geschliffen und prägnant. Es macht Spaß, diese rebellische Oper in einer so kantig-modernen, und scharf ausgeleuchteten Wiedergabe zu hören. Großes Kompliment an die Anhaltische Philharmonie Dessau. Sie ist in exzellenter Verfassung. Ein Abend, den man nicht verpassen sollte.


Besprechung auch in MDR Kultur