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"Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts"
Enttäuschender, zu leicht genommener "Rosenkavalier" bei den Osterfestspielen Baden-Baden
Zum dritten Mal sind die Berliner Philharmoniker mit ihrem Chefdirigenten Simon Rattle in Baden-Baden zu Gast. Am 27.3. 2015 haben sie die Osterfestspiele eröffnet mit einer Neuproduktion der Komödie für Musik „Der Rosenkavalier“ von Hugo von Hofmannsthal mit der Musik von Richard Strauss.
Keine Geringere als Brigitte Fassbaender hat diesen neuen „Rosenkavalier“ inszeniert. Sie selbst hat an allen großen Opernhäusern der Welt in einer der Partien dieses Stücks Triumphe gefeiert. Sie war eine der glutvollsten Interpretinnen des „Oktavians“, also des eigent-lichen „Rosenkavaliers“. Den singt in ihrer Inszenierung die Ehefrau von Simon Rattle, die Sopranistin Magdalena Kozená. Doch sie kann dem Vergleich mit Brigitte Fassbaender mitnichten standhalten.
Man kann diese Stimmen nicht vergleichen. Brigitte Fassbaender hatte einen dunklen, süffig-satten, glutvollen Mezzosopran. Man wird ihren Rosenkavalier nie vergessen, er ist auf CD und DVD dokumentiert. Magdalena Kozená hat einen hellen, leichten Mezzosopran. Zu leichtgewichtig für diese Partie, für mein Empfinden. Auch Anna Prohaska hat eine zu kleine Stimme für die Sophie, diese Stimme ist zu soubrettig für die Partie. Sie singt schön, keine Frage, wie auch Magdalena Kozená und die übrigen Partien, etwa des Ochs von Peter Rose und der Anja Harteros als Marschallin. Aber schön singen ist in dieser Oper zu wenig. Allen Sängern fehlt in dieser Produktion das, was man „mit der Seele singen“ meint: Sie treffen nicht ins Herz des Zuhörers. Anja Harteros, zweifellos eine hinreißendes Sopranistin, die man zuletzt als Arabella in Dresden großartig hörte, ist in der Partie der Marschallin nicht überzeugend. Sie ist zu jung, gibt sich zu jugendlich-kokett, ständig ihr Haar ordnend, ihr fehlt die Reife. Man nimmt ihr die lebenserfahrene Frau, die über die Zeit, die Vergäng-lichkeit und die Liebe zu einem viel jüngeren Mann reflektiert, nicht ab. Anja Harteros und Magdalena Kozená sind ein jugendliches Liebespaar auf Augenhöhe. Das aber hat mit dem ungleichen Paar Bichette-Quinquin im “Rosenkavalier“ kaum etwas zu tun.
Brigitte Fassbaender als mit dem Stück bestens vertraute, ehemalige Sängerin der Titelpartie, hat in sehr verschiedenen Inszenierungen der Oper gesungen. Um so gespannter war man auf ihre Baden-Badener Inszenierung. Erstaunlicherweise hat sie das Stück sehr leicht genommen, zu leicht für mein Empfinden. Sie gibt sie das Stück ganz als unverbindliche Komödie, als knallbunten Karneval, als Maske-rade mit viel Aktionismus, hektischen Nebenhandlungen und allerlei regielichem Klamauk, der von Rollschuhlaufen bis zu Pizzaessen reicht. Im Hintergrund tanzen gelegentlich zwei Omas Walzer miteinander, was die ironische Funktion dieses Walzers in dem Stück keineswegs erklärt! Dietrich von Grebmer hat knallbunte, schrille Kostüme entworfen, die zwischen Rokoko und Mode von 1911 chan-gieren. Das ist nekkisch, aber unverbindlich und ortslos. Daher erkennt man auch in dieser nur spaßigen Inszenierung die glänzende Wiener Standeskomödie, die ironische Satire einer Gesellschaft zwischen Sein und Schein, Altadel und Neureichen gar nicht mehr. Auch die philosophische Ebene des „Zeit“-Stücks geht völlig unter. Ich finde, diese Inszenierung ist eine enttäuschende Verharmlosung des Stücks: "Eine Farce und weiter nichts". Aber nicht im Sinne des Librettos.
Der Bühnenbildner dieser Neuproduktion ist Erich Wonder, der für seine abstrakten, filmisch inspirierten Räume bekannt ist. Wiener Rokoko auf die Bühne des Festspielhauses zu bringen, ist seine Sache natürlich nicht. Stattdessen hat er wieder einmal einen verschwom-menen Traum aus Tüll und Licht gezaubert mit transparenten, hintereinander platzierten Schleiern. Im ersten Akt blickt man von einem Wolkenkratzer auf eine nächtliche Großstadt herab, später dann in einen Theatersaal, der zweite Akt spielt quasi in einer Textilfabrik und in einem Krankensaal. Im dritten Saal sieht man ein leeres Schwimmbad, das sich in schneebedeckte Berglandschaft verwandelt. Es gibt Sonnenauf- und Untergänge. Alles durchdringt sich. Das sind suggestive Bilder, gewiss, technisch faszinierend realisiert. Aber sie haben doch, mit Verlaub gesagt, nichts mit dem Stück zu tun, und sie erhellen das Stück in keiner Weise. Eher im Gegenteil.
Bleibt die Frage nach dem Dirigenten: Simon Rattle hat die Berliner Philharmoniker dirigiert. Mit Richard Strauss ist er nicht wirklich vertraut. Er hat sich hörbar schwer getan mit dem Stück. Man merkt, dass er wenig Erfarung hat mit Richard Strauss-Opern, vielleicht auch wenig Affinität zu dieser Musik. Natürlich spielen die Berliner Philharmoniker brilliant, klangprächtig, technisch virtuos. Aber Rattle setzt vor allem auf vordergründige Effekte, aufs Grelle, Scharfe, Kantige, mit extremen dynamischen Kontrasten. Die Phonstärke setzt den Sängern zu. Man hört sie oft kaum im großen Baden-Badener Festspielhaus. Was dem Dirigat auch fehlt, ist die Balance, die Spannung, die großbögige Dramaturgie, die geistige Durchdringung. Stattdesen hört man ein hochglanzpoliertes, effektvoll aufgedon-nertes, aber leider kein überzeugendes, Strauss-Dirigat. Es berührt einen ebensowenig wie die weitgehend nur auf Schönklang setzenden Sänger dieser Produktion.
Rezension in DLR Kultur, Fazit am 27.03.2015
Photo: Monika Rittershaus