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Photo: Neuköllner Oper
Zauberflöte ohne Flöte und Zauber, aber zauberhaft!
Preisgekrönte Adaption von Mozarts „Zauberflöte“ des Ensembles „Dei Furbi“ aus Barcelona zu Gast in der Neuköllner Oper Berlin 11.07.2015 – 2.08. 2015
Als ein „Fenster zu Europa“ zeigt die mutige und immer wieder mit erfreulichen Entdeckungen und Ausgrabungen überraschende Neuköllner Oper eine durch Spanien tourende, im deutschsprachigen Raum aber nie gesehene Off-Pro-duktion der „Zauberflöte“ des katalanischen Ensembles „Dei Furbi“, das von der Choreographin und vielseitigen Theaterfrau Emma Beltran 2002 gegründet wurde. Ihre Inszenierung wurde mit dem „Premio Max 2014“ als beste spanische Musiktheaterinszenierung ausgezeichnet, zurecht.
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Bis heute ist Mozarts „Weltabschiedswerk“, "Die Zauberflöte" zwar die meist aufgeführte, aber auch am meisten mißverstandene, ja verharmloste Oper. Die Ungereimtheiten des Librettos sind unübersehbar. Interpretatorische Irrgänge sind vorprogrammiert. Was Wunder, dass die Meinung-en über das sich scheinbar nicht recht ins übrige gesellschaftskritische Œuvre Mozarts einfügende Werk seit je auseinander gingen. Der Mozartforscher Alfons Rosenberg deutete die Zauberflöte als ein „Mysterienspiel vom Kampf der Urmächte und von der Erlösung des Menschen“. Der Mu-sikwissenschaftler Alfred Einstein verklärte es zu einem „Vermächtnis an die Menschheit“. Goethe, immerhin, der Kluge, wußte: Es „gehöre mehr Bildung dazu, den Wert des Librettos zu erkennen, als ihn abzulehnen“.
Helmut Perl hat vor einigen Jahren in seinem wegweisenden Buch über den „Fall Zauberflöte“ einleuchtend klargemacht, daß dieses Werk nichts weniger als eine radikale Kampfansage an Adel und Klerus ist, verschlüsselt in freimaurerischen Symbolen und Chiffren. Er machte deutlich, daß die meisten herkömmlichen Interpretationen des Werks zu kurz greifen und dechiffrierte das Stück vor dem Hintergrund der Französischen Revolution als gesellschaftspolitische Allegorie, als aufklärerische Parabel. Jan Assmann sah sich daraufhin in seinem Zauberflötenbuch zurecht veranlasst, das Werk als eine "Opera duplex" zu nennen: "außen Volkstheater, Maschinenoper, Zaubermärchen vom Schikanederschen Typ, innen Mysterium im Sinne der Freimaurerlehren.“ Das darf einfach keiner ignorieren, der heute die Zauberflöte inszeniert. Die meisten Inszena-toren tun es trotzdem. Wie viele albern-läppische, hochtrabend-mysterienspielhafte oder pseu-doägytisch-nichtsagende Inszenierungen des Werks hat man schon gesehen, voller unaufgelöster Widersprüche und ohne tiefere Bedeutung bzw. Aussage. Und beinahe in jede „Zauberflöten“- Premiere geht man mit ängstlichem Unbehagen: Was wird da wieder auf mich zukommen!
Das katalonische Ensemble Dei Furbi ignoriert zwar auch Helmut Perls und Jan Assmanns Er-kenntnisse, aber es gelingt dem Ensemble, jenseits von Kasperliade oder Maschinenkömödie, Ausstattungsstück oder hochtrabender Menschheitsallegorie den Kern des Schikanederschen Volkstheaters zu treffen, jenes „Reinmenschliche“, von dem Richard Wagner in seiner vom anti-ken griechischen Drama orientierten Dramentheorie immer wieder sprach.
Sechs junge Männer und Frauen stehen in weißen Overalls auf leerer, schwarzer Bühne, auf der nur ein Spint steht, der ausklappbar mal als als Fenster, mal als Auftrittstor dient. Den sechs Sing-Schauspielern gelingt es, sich nach und nach aus ihren Overalls schälend, in die sechs wichtigsten Rollen der Oper zu schlüpfen und sie glaubwürdig zu verkörpern im Sinne eines „zarzuelahaften“ Volkstheaters, das viel zu tun hat mit südländischem Karneval, mit Conmedia dell´Arte, mit Groteskspiel, Ballett, fast Akrobatik und Maskenspiel. Nicht einmal ein Orchester benötigt die hochvirtuose Truppe Dei Furbi, sie singt nach Art der Comedian Harmonists die Vokal- und Instrumentalmusik Mozarts a cappella, und frei nach Mozart, versteht sich, in kartalanischem Dialekt, arrangiert von Pacao Viciana und David Costa (Musik). Kein Instrument ertönt, nicht einmal das Glockenspiel Papagenos oder die Flöte Taminos. Nur Tiergeräusche werden einmal eingesetzt. Im wahrsten Sinn des Wortes ein „Singspiel“, anrührend, humorvoll, derb und sensibel zugleich, in phantasievollen Kostümen von Ramon Ivars und Gemma Beltran. David Bofarull gibt den farbprächtigen Kostümen das nötige magische Licht. Ein transparenter weißer Schleier dient mal als Brechtgardine, mal als romatisch-phantastisches Verschleie-rungsutensil der Handelnden. Es ist so schlichtes wie phantasievolles Verwandlungs- und Körpertheater, das Gemma Beltran mit ihrem Ensemble entfaltet.
Wo bleibt die Musik Mozarts, mag man sich fragen? Sie kommt nur auf einer höheren, je nach Standpunkt tieferen, jedenfalls rudimentären Ebene vor. Am ehesten noch Tamino singt große Teile seiner Partie. Ein respektabler Tenor gibt ihn als Mischung aus Torero und Ballettänzer. Auch Papageno darf seien Rolle nahezu authentisch, wenn auch stark gekürzt spielen und singen. Aber es geht Dei Furbi nicht um traditionelles Musiktheater, es sind „Variaciones“ über „Die Zauberflöte“, in denen Musik wie Dramaturgie von Mozarts und Schikaneders „großer Oper“ ironisch thematisiert werden. Die Schlüsselszene der Produktion ist der Auftritte dreier grotesk kostümierter Zwerge, Karikaturen der drei Knaben, die sich über die Ideale der Aufklärung lustig machen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
In der Tradition der Wiener, speziell der Schikanederschen Maschinenkomödie, und Zauberoper stehend, nannte schon Hegel das Stück ein „Machwerk“. Die Diskussionen darüber sind bis heute nicht verstummt. Die Zauberflötenvariationen des Ensembles Dei Furbi wollen aber nicht mehr sein als ein volkstümlicher, aufmüpfiger, skeptischer Kommentar zur eigentlichen „Zauberflöte“ aus der Perspektive des einfachen Volkes, des Volkstheaters eben, aus der Perspektive „von unten“, nicht ganz ernst gemeint, aber gerade deshalb so ehrlich und anrührend. Sie kommen so kurzweilig daher wie ein füchtiger Traum. Nach einer Stunde ist er vorüber. Mozartglück einmal anders. Eine echte Alternative zu unserem Musiktheater. Die wohl außergewöhnlichste „Zauberflöten“-Produktion, die man derzeit erleben kann.
Beitrag auch für die Beilage der Deutschen Mozart-Gesellschaft in „Crescendo“