Musik-Theater & mehr
Selbst renommierte Wissenschaftler „verlieren zuweilen bei Wagner den Verstand“, wie der Wagnerspezialist Dieter Borchmeyer einmal schrieb.
Ein überflüssiges Buch über Bayreuth und den Nationalsozialismus - aus Bayreuth
Zu Beginn ihrer Intendantur vor 10 Jahren hatte die Leiterin der Bayreuther Festspiele, Katha-rina Wagner angekündigt, die Nazizeit Bayreuths wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Daraus wurde nichts. Jetzt ist eine Bayreuther Publikation zum Thema „Wagner und der Nationalsozialismus“ in einer neuen Publikationsreihe der Festspiele: „Diskurs Bayreuth“ erschienen: „Sündenfall der Künste. Richard Wagner, der Nationalsozialismus und die Fol-gen“ ist das am 24. Juli in Bayreuth offiziell der Öffentlichkeit vorgestellte Buch überschrie-ben. Als Heraus-geber firmieren Katharina Wagner, ihr Geschäftsführer Holger von Berg und Marie Luise Maintz, die Kuratorin des Symposions vom vergangenen Jahr, aus dem die Texte des Buches hervorgehen.
„Bayreuths Geschichte ist ein Teil deutscher Geschichte. Seine Irrtümer sind die Irrtümer un-serer Nation gewesen. Und in diesem Sinn ist Bayreuth eine nationale Institution geworden, in der wir uns selbst erkennen können. Die dunkeln Kapitel deutscher Geschichte und Bayreuther Geschichte können wir nicht einfach wegwischen.“ Der ehemalige deutsche Bundespräsident Walter Scheel hat in seiner brillianten Rede zur Hundertjahrfeier Bayreuths am 23. Juli 1976, den Nagel auf den Kopf getroffen.
Zu diesen dunklen Kapiteln Bayreuther Geschichte gehört vor allem die Rolle, die Bayreuth während des Dritten Reichs spielte. Unmengen von Publikationen haben sich damit befasst. Allerdings sind bis heute – das vorliegende neuste Buch bestätigt es - die Wagner-Debatten immer noch parteiisch und emotional, unsachlich und von Vorurteilen geleitet. Oftmals beteiligen sich erstaunlich Uninformierte an Auseinandersetzungen über Wagner. Aber selbst renommierte Wissenschaftler „verlieren zuweilen bei Wagner den Verstand“, wie der Wagnerspezialist Dieter Borchmeyer einmal schrieb.
„Der noch immer umstrittene und keineswegs abgegoltene Themenkomplex‚Wagners Werk und der Nationalsozialismus‘ und dessen vielschichtige Konsequenzen…werden zum Anlass für die Frage nach dem ‚Sündenfall der Künste‘ im 20. Jahrhundert,“ so betont Micha Brumlik in der Einleitung. Der Gedanke ist nicht neu. Schon Sven Oliver Müller hat in seinem 2013 erschienenen Buch „Wagner und die Deutschen“ Richard Wagner als ein deutsches Ärgernis bezeichnet, an dem sich „das schlechte Gewissen der unheilvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts abarbeitet“. Der britische Historiker Peter Gay sprach in seinem Buch „Freud, Juden und andere Deutsche“ (1986) vom „deutschen Trauma“, einer „Zwangsvor-stellung“, die „ganze Vergangenheit nur noch als ein Vorspiel zu Hitler“ zu betrachten. Schon drei Jahre zuvor hatte der Wagnerbiograph Martin Gregor-Dellin beim Internationalen Wag-nerKolloquium in Leipzig diesen Zusammenhang auf den Punkt gebracht: „Das gestörte Verhältnis der Deutschen zu Richard Wagner ist das gestörte Verhältnis zu ihrer Geschichte“.
Spätestens seit 1976, als Hartmut Zelinsky erstmals verkündete, man dürfe und könne Wagner nur noch aus dem Blickwinkel Adolf Hitlers verstehen, begann eine geradezu kreuzzugartige Ideologisierung Wagners.
Auch in der jüngsten Bayreuther Publikation begegnet man auf 221 Seiten manchen längst widerlegten, vielen fragwürdigen und von Vorurteilen geprägten Behauptungen über Wagners angeblich werkimmanenten Antisemitimus und Wagner als Vorboten Hitlers. Micha Brumlik zitiert doch tatsächlich wieder das alte scheinbar unausrottbare Vorurteil, das Rudolf Vaget einst zu der Behauptung veranlasste, „Hitler zu einem Geschöpf aus der ideologischen Hexenküche Richard Wagners zu machen.“ Auch wenn er zugibt, dass die Figur des Beck-messers (Stadtschreiber im Bayreuth der Hans Sachs-Zeit) „historisch kein Jude sein konnte“, behauptet er dennoch „dass diese Gestalt“ in den „Meistersingern“ mit „guten Gründen jüdisch, antisemitisch konnotiert ist.“ Es sind aber ausschließlich rezeptionsge-schichtliche Gründe. Gerhard Koch redet ihnen das Wort, ohne konkret zu werden: Wagner „ideologische Fatalitäten wirken fort.“ Schon der israelische Historiker Jakob Katz hatte in seinem 1985 erschienenen Buch „Richard Wagner. Vorbote des Antisemitismus“ betont: „Die Deutung Wagners „aufgrund der Gesinnung und der Taten von Nachfahren, die sich mit Wagner iden-tifizierten, ist ein unerlaubtes Verfahren. Es handelt sich bei dieser Unterstellung um eine Rückdatierung, ein Hineinlesen der Fortsetzung und Abwandlung Wagnerscher Ideen durch Hitler in die Äußerungen Wagners selbst."
Man wundert sich über die Ignoranz der meisten der 19 Autoren bzw. Diskutanten, die größ-tenteils keine ausgewiesenen Wagnerexperten sind. Ihre Äußerungen sind überwiegend
subjektive Bekenntnisse, nicht aber auf Kenntnis der Wagnerliteratur und des aktuellen Stands der Wagnerforschung basierende Aussagen, etwa des Komponisten Dieter Schnebels Behaup-tung, „Die Künstler denken alle an ihr Nachleben“, was er mit dem Hinweis auf den „Kunst-tempel“ Bayreuth begründet. Er scheint nicht zu wissen, dass dieser so erst von Cosima Wagner (in einem ihrer Briefe) definiert wurde, nicht von Richard Wagner, der lediglich ein (utopisches) Theater für mustergültige Aufführungen wollte. Auch betont Schnebel, „es gebe Tagebücher von vielen Künstlern. So sind wir halt.“ Von Wagner gibt es keine Tagebücher. Es gibt nur Cosimas Tagebücher, die gerade die oft schwerwiegenden Differenzen zwischen ihr und ihrem angebeteten Gatten offenbaren! . Und was sein Denken an sein nachleben angeht, so schreibe er kurz vor seinem Tod an König Ludwig II., er wisse niemanden, der seine Fest-spiele in seinem Sinne fortsetzen könne. Auch und gerade Cosima hielt er nicht für geeignet!
Einer der umfangreichsten Beiträge des Bandes ist dem Schriftsteller Thomas Mann und seiner lebenslangen, allerdings ambivalenten Auseinandersetzung mit Wagner gewidmet. Hatte er in seinem großen Essay von 1933, "Leiden und Größe Richard Wagners" noch betont: "Es ist durch und durch unerlaubt, Wagners nationalistischen Gesten und Anreden den heutigen Sinn zu unterlegen“, so offenbarte er anlässlich der Veröffentlichung der Sammlung Burrell (einer bedeutende Sammlung Wagnerscher Briefe) 1951 einen dem Zeitgeist geopfer-ten Sinneswandel: es sei nun wirklich "zu viel Abstoßendes, zu viel Hitler, …auch manifestes Nazitum" in Wagner zu erkennen. Mann hatte sich vom Saulus zum Paulus gewandelt. Die Literaturwissenschaftlerin Irmela von der Lühe fasst im Grunde nur zusammen, was schon längst in diversen Publikationen zu lesen war bezüglich Thomas Manns ambivalenter Äußerungen über Wagner. Mit neuen Erkenntnissen kann sie nicht aufwarten.
Warum sie ihr Kapitel „Hitlers Hoftheater“ überschreibt, bleibt rätselhaft. Dass es als Sün-denfall der Künste „in Bayreuth für 12 Jahre Gestalt angenommen hat“, wie sie schreibt, ist bloß polemische Behauptung, der man Brigitte Hamanns differenzierte Darstellung des Bayreuther Umgangs mit Wagner in den Nazijahren entgegenhalten muss. Überhaupt bleibt die Frage, was denn der Sündenfall der Künste sei und warum er sich in Wagner beispielhaft manifestiere, unbeantwortet. Michael Brumlik Behauptung „Sündenfall war von Anfang alles“ ist reine Polemik, auch Gerhard Kochs Reden vom „Verdrängungskarussell“. Da erwartete man doch mit Verlaub, etwas Konkreteres.
Ein weiterer zentraler Beitrag des Buches ist eine Diskussion über Barrie Koskys Neuinsze-nierung der „Meistersinger“ von 2017, die einen weiten Bogen von einem grotesken Gespen-sterstelldichein im großen Saal von Wagners Villa Wahnfried bis zu den Nürnberger Prozessen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spannt. Kein Wunder, dass die Aufführung kontro-verse Beurteilungen nach sich zog. Doch Pro und Contra der Diskussion werden im Palaverton eines privaten Gelehrtenclubs vorgetragen. Die meisten Autoren verteidigen Koskys extreme szenische Lesart. Immerhin gibt Klaus Zehelein zu bedenken, dass es fragwürdig sei, biogra-fische oder wirkungsgeschichtliche Details in die Inszenierung eines Stücks zu importieren, um es zu erklären. Aber auch das bringt keine neuen Einsichten.
Auch Ulrich Konrads Plädoyer für eine historisch-kritische Gesamtausgabe der Schriften Wagners tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache. Immerhin weist er auf Missver-ständnisse von Wagnerschen Begriffen wie „Vernichtung“ „Untergang“, „Erlösung“ oder „Volk“ aus heutiger Sicht hin. Dennoch werden in den übrigen Beiträgen des Bandes diese Begriffe unreflektiert benutzt. Konrads Appell „Lest Wagner“ blieb in diesem Symposion offenbar ungehört. Und die Beiträge über Neue Musik, die Neujustierung des Musiklebens im Nachkriegsdeutschland und Barockoper haben mit dem Thema des Buches nicht viel zu tun. Was Ulrich Konrad Wagner vorwirft, „Schwadronieren“, das zu einer „metastasierenden Prosa" führe, gilt für diese Bayreuther Publikation. Ein ärgerliches, ein überflüssiges Buch!
Besprechungen auch in SWR 2, Freie Presse