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Blütenlese neuer Wagnerbücher 2019
In Sachen Wagnerliteratur ist auch im 108. Jahr der Richard Wagner-Festspiele in Bayreuth kein Ende in Sicht. Neben einer konkurrenzlos umfassenden Darstellung der Reiseexistenz Wagners „Wandrer nennt mich die Welt“ und einer luziden Dokumentation der Theatralik des Dritten Reiches aus dem Geiste Richard Wagners „Hitler.Macht.Oper“ (beide Bücher habe ich geson-dert besprochen) ist vor allem die Frage des Denkverbots bei Wagner – und nicht nur bei ihm - Thema eines sehr beachtenswerten Buches, das die letzte „Diskurs“-Veranstaltung der Bayreu-ther Festspiele fortsetzt und dokumentiert. Sie führt direkt zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten um „Verbote in der Kunst“, um Grenzen künstlerischer Freiheit, Provokation und Politik, ausgehend vom Werk Richard Wagners.
Hans Rudolf Vaget weist am Beispiel Otto Strobels und seiner im Dritten Reich gegründeten „Richard-Wagner-Forschungsstätte“, deren positivistische Leistungen er ausdrücklich hervor-hebt, auf ein Frageverbot hin, das sich als Denkverbot „durch die Hintertüre“ eingeschlichen habe: Was Hitler mit Wagner zu tun habe. Sein Fazit:„Hitlers Wagner lässt sich nicht ausklam-mern; er ist auch unser Wagner, Bürde und Herausforderung zugleich.“ Darüber darf füglich gestritten werden. Über den Wagnerhorizont hinausschauend, betrachtet der FDP-Politiker Gerhart Baum den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als stete Herausfor-derung. Der habe sich - unserem Grundgesetz zufolge dafür einzusetzen, dass die Kunst frei ist. Auch die unbequeme. Er fordert Protest gegen „noch seichtere Unterhaltung“ in Hörfunk und TV und plädiert für Mut und Risiko.
Die Theaterwissenschaftlerin Thea Dorn schließt sich ihm an und wird noch deutlicher: Sie sieht keinerlei „Aussagekraft der vielbeschworenen Quote“ beim Rundfunk. Man könne zwar Quoten messen für irgendwelche Zwecke, doch von denen seien „keine Rückschlüsse zu ziehen darauf, was gesendet werden soll, und was nicht“. Sie beklagt: „Die heutig Haltung ist, egal ob im Konzertsaal oder bei Lesern: ‚Versteh ich nicht. Ist kompliziert. Bäh, weg damit! ‘ Das reicht tief in unser Bildungssystem hinein.“
Außerordentlich gebildet, ja brilliant ist der Beitrag von Detlef Brandenburg „Nie sollst Du mich befragen“, in dem er Wagners Frageverbot als „politische Zumutung“ entschlüsselt, als „Außerkraftsetzung einer ständischen Legitimation von Herrschaft.“ Lohengrin ist für ihn „eine ästhetische Revolution auf zwei Beinen.“ Aber nicht nur im Falle des Lohengrin, sondern auch im Falle der Losung „Hier gilt´s der Kunst“, die Wieland und Wolfgang Wagner in Neubay-reuth ausgaben, betont Brandenburg- , dass die Absage an die Politik eben gerade politisch ist, im Lohengrin wie im Bayreuth von 1951. „Hier gilt´s der Kunst“ ist für Brandenburg ein „ve-hement politisches Dekret. Es ist „die rhetorische Inkarnation der Verdrängungs-Ideologie des werdenden Wirtschafts-Wunderlandes Bundesrepublik Deutschland“.
Die Widersprüche des Richard Wagner-Enkels Wieland, der als bedeutender Reformer der Wag-nerbühne gilt, werden in dem Band „Es gibt nichts Ewiges“ sehr differenziert dargestellt, die seiner Biografie, seines gesellschaftlichen Umfelds, seines Bühnenstils und seiner Wirkung. Wieland war dynastischer Auserwählter Hitlers und ästhetischer Bürgerschreck der Adenauer-Ära. In den acht Kapiteln, die auf dem Bayreuther Symposion anlässlich seines 100. Geburts-tags 2017 basieren, wird der Weg vom Wagner Kult (der Nazis) zum kultischen Theater Neu-Bayreuths beschrieben, wird Wielands „Zwiespalt zwischen Innovation und Kontinuitäten“, werden aber auch die Metamorphosen seines Stils und „die disparate Rolle Bayreuths für die Politik der jungen Bundesrepublik“ unter Berücksichtigung neu erschlossener Quellen darge-stellt. Eine hervorragende Studie. Wer sich für Wieland Wagners Vater Siegfried interessiert, dem sei das neuste Heft (ein veritables Buch) der Zeitschrift „Wagnerspectrum“ empfohlen. Noch wichtiger ist aber die dritte Publikation des Königshausen & Neumann Verlages: „Das Kunstwerk der Zukunft und die Antike“.
Das Buch macht klar, dass Wagners politisches Denken und seine utopische Kunst ohne den Rückgriff auf die griechische Antike nicht zu verstehen ist. In seiner programmatischen Haupt-schrift »Oper und Drama« hatte Wagner unmissverständlich bekannt: „Alle unsere Wünsche und heißen Triebe, die in Wahrheit uns in die Zukunft hinübertragen, suchen wir aus den Bil-dern der Vergangenheit zu sinnlicher Erkennbarkeit zu gestalten, um so für sie die Form zu gewinnen, die ihnen die moderne Gegenwart nicht verschaffen kann.“ Diese Bilder der Vergangenheit, das waren für Wagner mehr noch als die germanischen die Bilder des alten Griechenlands. Um nicht missverstanden zu werden, bekannte Wagner: „dass ich in Athen mich heimischer empfand, als in irgend einem Lebensverhältnisse der modernen Welt.“ In seinem Aufsatz »Zukunftsmusik« heißt es, seine Idee des Festspiels habe er „im Theater des alten Athen“ gefunden. An anderer Stelle schreibt er: „Wir können bei einigem Nachdenken in unserer Kunst keinen Schritt tun, ohne auf den Zusammenhang derselben mit der Kunst der Griechen zu treffen.“ Alles, was es zu diesem Thema zu sagen gibt, ist in Mischa Meiers glänzender Studie in wissenschaftlicher Genauigkeit abgehandelt.
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Verbote in der Kunst. Positionen zur Freiheit der Künste von Wagner bis heute. Hrsg. Von Katharina Wagner, Holger von Berg, Marie Luise Maintz. Bärenreiter Verlag. 189 S.
Stephan Mösch / Sven Friedrich:„Es gibt nichts Ewiges“. Wieland Wagner: Ästhetik, Zeitgeschichte, Wirkung. Königshausen und Neumann. 283 S.
Wagnerspektrum Heft 1/2019 Schwerpunkt Siegfried Wagner. Königshausen und Neumann. 331 S.
Mischa Meier: Das Kunstwerk der Zukunft und die Antike. Konzeption, Kontexte, Wirkungen. Königshausen und Neumann.383 S.