Vor 150 Jahren starb G. Rossini


„Monsieur Crescendo“ oder Der "Raphael der Musik" (Balzac)

Schwan von Pesaro, Star von Neapel und Pariser Opernautorität


Heute, am 13.11. 2018  jährt sich der Todestag von Gioacchino Rossini zum 150. Mal. Seine komischen Opern, zumal der  „Der Barbier von Sevilla“ sind den meisten Opernfreunden geläufig. Dass er allerdings mehr ernste als ko-mische Opern geschrieben hat, ist nur Wenigen be-kannt. Auch über sein Leben sind mehr Mythen und Legenden in Um-lauf als Gewissheiten. Die Rossinibiografik macht es deutlich. Eine Blütenlese der Rossiniliteratur.



Rossini hat ein halbes Jahrhundert verrückt gemacht mit seiner Musik, die von vielen Komponisten bis hin zum jungen Giuseppe Verdi  immer wieder nachgeahmt wurde. Er war schon zu Lebzeiten eine Legende. Dennoch geriet der Großteil seines ernstdrama-tischen Œuvres, die Werke der „Opera seria“, weithin in Vergessenheit. Lediglich das Rossini Opera Festival in Pesaro, dem Geburtsort des Komponisten, spielt den „ganzen“, nicht nur den komischen  Rossini und erinnert seit seinem Bestehen 1980 daran, dass  dieser "Raphael der Musik" wie der Schriftsteller Honoré de Balzac ihn nannte, der er-folgreichste, meistgespielte und einflussreichste Opernkomponist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, vor Meyerbeer und Wagner. Heute gilt er Vielen als Ikone des Komischen. Weit gefehlt, denn er war eher ein "depressives Genie" wie schon 1965 der Psychologe Daniel Schwartz  in seiner Publikation über Rossini (Rossini. A Psycho-analytic Approach to „The Great Reuniciation“) erkannt hatte,  von Selbstzweifeln bis zu krankhafter Selbstabwertung gequält, trotz allen Erfolgs und allen Humors, der sich, einmal abgesehen von der souveränen Beherrschung der Technik der Opera buffa, vor allem in Rossinis Fähigkeit ausdrückte, sich über sich selbst lustig machen zu können. Eine seiner selbstkritischen, pikanten wie zynischen Bonmots und Aphorismen hat der mit Rossini befreundete Schriftsteller Filippo Mordani überliefert: "Ich habe alle Frau-enleiden. Alles, was mir fehlt, ist die Gebärmutter.“  Die Äußerung spielt auf Rossinis erbarmungswürdige  gesundheitliche und psychische Verfassung an, derentwegen er so früh seine Karriere als Opernkomponist beendete. Keiner hat das präziser  als Arnold Jacobshagen in seinem Buch „Gioacchini Rossini und seine Zeit“ (2015) dargestellt: Rossini war jahrzehntelang  ein schwerkranker Mann, der an Geschlechts- und Nerven-krankheiten, aber auch an Hämmorhoiden, Herzschwäche, chronischer Bronchitis, chro-nischem Blasenleiden, schließlich einem bösartigen Darmtumor gelitten habe. Zudem wurde er immer wieder von schwersten Depressionen mit Suizidgedanken heimgesucht. Im Alter von 44 Jahren habe er denn auch, laut einem ärztlichen Gutachten "seiner Lei-denschaft für Frauen Zügel angelegt und übermäßigen Genuss von Alkohol und gewürz-tem Essen eingestellt".


Schon mit 38 hatte  er, nachdem er 39 Opern komponiert hatte, dem Theater den Rücken gekehrt. Fortan schrieb er nur noch "Alterssünden", weit über hundertfünfzig Salonkom-positionen, die sich exklusiv an einen Zirkel auserwählter Gäste seiner begehrten allsam-stäglichen Soireen richteten. Sie bildeten nicht nur einen planvoll kalkulierten Zyklus ex-quisiter Meisterstücke en miniature, sie waren vor allem Kompositionen im Sinne von Überlebensstrategien angesichts seiner lähmenden Krank-heiten und Depressionen, die sich nach dem Ende seiner Opernlaufbahn dramatisch ver-stärkt hatten.  Kein Wun-der, dass seine zweite Frau, die ehemalige Kurtisane Olympe Pélissier, weniger seine Geliebte, als seine  „Krankenschwester“  war, wie der Rossinibiograph Richard Osborne 1988 schrieb. Schon in der weitausholenden Rossinibiografie von Herbert Weinstock von 1981 konnte man pikante Details dazu lesen.


Der jüngste Rossini-Biograf, Joachim Campe schreibt allen Ernstes: "Die Liebe war nicht Rossinis Thema.“ Weit gefühlt, denn gerade sie steht in den meisten Werken Rossinis - den komischen wie den ernsten - im Mittelpunkt. Nur äußert sich diese Liebe anders als in ge-wohnten „Herzenstönen“. Rossini verstehen, und das ist offenbar für Joachim Campe (aber nicht nur für ihn) ein Problem, heißt seine besondere musikalische Sprache  erkennen. Volker Scherliess (Gioacchino Rossini. Rowohlt Monographie 1991) bringt es auf den Punkt: „Das mechanische Moment, die Präzision der ineinandergrei-fenden, sich steigernden Glieder war das entscheidend Neue des Rossinischen Cres-cendo“. Und zwar in Opera buffa wie seria, in Ouvertüren wie in Arien oder Ensembles. Nicht ohne Grund wurde er bei seiner Ankunft in Paris „Monsieur Crescendo“ genannt.



Auch die Koloratur hat bei Rossini eine neuartige Funktion jenseits bloßer Artistik: Kontrahenten schleudern sich in wachsender Erregung Koloraturen-Salven ins Gesicht. Bei lyrischen Gefühlen klettern ihre Koloraturen lange Himmelstreppen hinauf  und wieder hinab. In seiner letzten Opera Seria, „Guglielmo Tell“ (uraufgeführt 1829), mit der sich Rossini von der Opernbühne des Belkanto verabschiedete , hatte er seinen Zeitgenossen geradezu ein Lehrstück in Sachen „Zukunftsmusik“ präsentiert , indem er bereits  Vorwegnahmen des jungen Verdi wie des jungen Wagner  hören ließ.


Er starb am 13. November 1868   an den Folgen einer Darmoperation, wenige Tage, nachdem an der Pariser Oper die 500ste  Aufführung seiner letzten Oper "Guillaume Tell" stattgefunden hatte. 4000 Gäste erwiesen dem Jahrhundertkomponisten die letzte Ehre bei der Trauerfeier in der Kirche Sainte Trinité. Er wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise beigesetzt. Am 2. Mai 1887 wurden seine sterblichen Überreste nach Italien überführt, wo er in  der Kirche Santa Croce in Florenz seine letzte Ruhestätte fand. Er galt noch für Verdi als bedeutendster Komponist Italiens, von den Italienern wird er bis heute als Nationalheld verehrt.


Artikel auch in der Freien Presse


Photos: Bazzechi, Firenze