Hans Neuenfels Ein Nachruf


 

Nachruf auf einen Provokateur 

Zum Tode von Hans Neuenfels

 


Seine Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper „Aida“ 1980 in Frankfurt am Main, war einer der größten Opernskandale. Doch mit Skandalen hat Hans Neuenfels Karriere gemacht. Er war von Anfang an ein Quertreiber, ein Bürgerschreck, ein Rebell, und ein „Bastard“, wie er in seinem autobiografischen „Bastardbuch“ 201 bekannte. Der 1941 in Krefeld geborene Sohn eines Regierungsrates und einer musisch angehauchten Mutter kam aus bildungsbürgerlichen Verhältnissen, doch er brach schon früh unter Berufung auf Shakespeare und Kleist eine Lanze für die Bastarde. Sie seien „anrüchig, ehrgeizig, verschlagen, geil und rücksichtslos“, Mischlinge eben, Außenseiter, „vogelfrei“ und „keinesfalls astrein“, jenseits jedenfalls von sogenannter Normalität. Besser hätte er sich selbst nicht charakterisieren können.  Am 6. Februar ist Hans Neuenfels im Alter von achtzig Jahren in Berlin verstorben.

 


 

Seine private wie künstlerische Lebensgeschichte spielte sich im Wesentlichen zwischen Wien, Paris, Luzern, Heidelberg, Frankfurt und Berlin abs. Seine Ausbildung fand an der Folkwang Schule Essen und am Wiener Max-Reinhardt-Seminar statt. Sein künstlerischer Standpunkt war stets der Geist der Achtundsechziger. Entsprechend „intellektuell“ durchglüht, kritisch infiziert war sein Theater: analytisch, sezierend, voller Wut und Lust, aber auch sinnlich, assoziativ, symbolhaft, traumartig, ja surrealistisch und ironisch. Auf der Bühne sah man oft Kollagen, Kaleidoskope, Panoptiken. Da gab es Gummipimmel neben Madonnenbildern. Wohl kein anderer Regisseur wurde so oft ausgebuht. Neuenfels war ein Provokateur aus Überzeugung.


Er begann als Schauspielregisseur, doch das Musiktheater wurde ihm, je älterer wurde, immer wichtiger. Unvergessen ist seine Euripideische „Medea“ mit seiner imposanten Gattin Elisabeth Trissenaar, sein Shakespearscher „Sommernachtstraum“ als Endspiel mit dem greisen Puck des großen alten Bernhard Minetti. 


Bequem war Neuenfels nie: Aida als Putzfrau¸ Rigoletto, der sich seine Tochter als schwarze Sklavin auf einer kleinen Palmeninsel hält; die „Zigeunerin“ Azucena als Asylsuchende; der Kreterkönig Idomeneo, der nicht alleine seine Macht abgeben musste, sondern auch neben Poseidon die vier Weltreligionsführer, deren Köpfe abgeschlagen wurden (ein beispielloser Eklat an der Deutschen Oper Berlin 2006); „Lohengrin“ als Laborexperiment mit Ratten in Bayreuth; Hohepriester als mit dem Hintern wackelnder Hornissenschwarm im „Nabucco“ sind nur einige seiner Provokationen, die in Erinnerung bleiben werden.


Der Surrealismus, die Psychoanalyse und die Musik waren die Quellen seiner Inspiration auf der Bühne. Literatur, Malerei, Film und Musik waren für ihn gleichwertig. Er war einer der letzten Gesamtkunstwerker, denn auch als Lyriker und Erzähler war der Feuerkopf neben seinen Tätigkeiten als Regisseur für Schauspiel, Oper und Film, als Theaterintendant (in Berlin und Frankfurt), Dramatiker und Essayist aktiv.


Als Jungregisseur wurde Neuenfels 1966 von einem Theaterintendanten in Trier entlassen – weil er mit Flugblättern warb: »Helfen Sie mit, den Trierer Dom abzureißen?« Viel später noch brachte er die Wagner-Fans zur Weißglut, als er 1994 in Stuttgart die »Meistersinger von Nürnberg« als Abgesang auf die belastete deutsche Geschichte präsentierte.  Braves Theater, konventionelle Oper war seine Sache nie.


Man nannte ihn das „Enfant terrible der Regietheaterkunst“, den „Buhmann der Herzen“, den „Zarten Wilden“ und was noch alles. Der Etiketten waren viele, doch er war ein künstlerischer Anarchist, der nicht auf einen Nenner zu bringen war.


In den Opernhäusern von Salzburg bis Hamburg und bei den Bayreuther wie Salzburger Festspielen wurde er geschätzt, trotz oder gerade wegen der Buhstürme, die er mit seinem provokativen Theater entfesselte. Nun ist der große Provokateur verstummt.

 

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