Der anthroposophe Wagner. Bermbach

 

Udo Bermbach: Der anthroposophe Wagner

Rudolf Steiner über Wagner. Wagner in der Diskussion Band 23

Königshausen & Neumann 2021, 134 S., 28 Euro

 

Schon bei Erscheinen seines Buches über „Richard Wagner in Deutschland. Rezeption - Verfälschungen“ (2011), eine erstmalige Darstellung der Ideologie der Bayreuther Blätter“ erklärte Udo Bermbach: Das sei sein letztes Wagnerbuch gewesen. Er kann es aber doch nicht lassen, immer wieder aus der Fülle seines immensen Wagnerwissens zu schöpfen und sich seiner wissenschaftlichen Leidenschaft für Wagner zu enthalten. Es folgten die Bücher über den „Mythos Wagner“ (2013) über „Houston Stewart Chamberlain. Wagners Schwiegersohn - Hitlers Vordenker“ (2015) und „Wagners Weg zur Lebensreform“ (2018). Nun also noch ein Wagnerbuch von ihm.


Dass es ausgerechnet Rudolf Steiner und der Anthroposophie gewidmet ist, verwundert, denn nicht wenige halten Rudolf Steiner und seine Lehre für esoterischen Unfug. Wer einmal dessen „Theosophie“ gelesen hat, wird dem gewiss nicht widersprechen.

Bermbach versichert dem Leser aber gleich zu Beginn, dass Steiner „Wagner und sein Werk gleichsam als einen Vorläufer der Anthroposophie“ betrachtet „und seine Musikdramen in die anthroposophische Wertvorstellung“ eingepasst habe. Ein klarer Fall von Usurpierung, ja Missbrauch, weshalb die „übliche Wagnerforschung“ Rudolf Steiners „Wagner-Adaption bis heute“ ignoriert.


Steiners Wagner-Auffassung sei jedoch „angesichts der Bedeutung, die die Anthroposophie auch heute noch hat, selbst von einiger Bedeutung“, so Bermbach, auch wenn sie mit „Textanalyse, wie sie in der Wagnerforschung entsprechend den literaturwissenschaftlichen Kriterien und Methoden üblich sind“, nichts zu tun hat.  Steiner, so führt Bernbach aus, nimmt Wagner als einen Autor wahr, „der die Welt bereits in Ansätzen mit den Augen eines Anthroposophen sieht“, er betrachtet Wagners Werke „als in Musik gesetzte Weltanschauung“. Wagner sei von Steiner als „eine Art Vorläufer seiner eigenen Weltanschauung“ erklärt worden, ungeachtet der eigentlichen gesellschaftskritischen, revolutionären Intentionen Wagners, über die der Komponist unmissverständlich Auskunft gab. Wagner ist für die Anthroposophie „sowohl Mystiker als auch Musiker“, der „tief ins innere Reich des Lebens „eingedrungen sei, wie William Ashton Allis zitiert wird, der Arzt Helena Petrovna Blavatskys, der Urmutter der Anthroposophen.


Schon Ellis, einer ihrer Jünger, betrachtet Wagners Gral als „die göttliche Weisheit aller Zeiten“, Blavatsky betonte vor allem die „spirituelle Verbindung zwischen Ost und West“. Aber auch „Tristan und Isolde „wurde in die theosophische Lehre einbezogen,“ so Bermbach, „weil hier die Verschmelzung der Geschlechter in der Liebe einen zentralen Topos traf, den auch die Theosophen vertraten.“ Angesichts von Wagners dialektischer Darstellung einer zutiefst egoistischen Liebe zwischen Tristan und Isolde, die eigentlich aneinander vorbeireden und lieben, auch  je einsam sterben, ist die anthroposophische Lesart geradezu absurd. Es ist doch gerade die Diskrepanz zwischen Liebesideal und Liebeswirklichkeit, der Wagner im schönsten seiner Träume desillusionierend, ja deprimierend das Wort redet.


Bermbach verwendet viel Aufmerksamkeit darauf, die Intentionen Rudolf Steiners darzustellen, die dessen Biograph Heiner Ullrich folgendermaßen charakterisiert: ,,Das fundamentale Anliegen von Steiners Werk ist die Erneuerung der mystischen Erfahrung in einer wissenschaftlichen Kultur, denn es geht ihm im Kern um die Vereinigung der inneren geistigen Welt der Person mit dem in Natur und Geschichte sich offenbarenden göttlichen All-Einen inmitten eines geistvergessenen, positivistisch-materialistischen Zeitalters.” Das war“, so Bermbach, „eine Haltung, die ihn mit der Wagners verband, denn dessen Abscheu vor der modernen Dekadenz einer nur an Luxus und Vergnügen interessierten Gesellschaft, die revolutionär verändert werden sollte.“ Es war allerdings auch der einzige Anknüpfungspunkt. Die Strategien Wagners und Steiners waren sehr unterschiedlich.


Aber auch die Biographie Rudolf Steiners, die Gründung der anthroposophischen Gesellschaft, die Eurythmie als tänzerischer Ausdruck einer anthroposophischen Theaterreform, die Mysteriendramen, das Goetheanum in Dornach und die Waldorf-Schulen werden präzise beschrieben. Vor allem aber die Hauptmomente der Anthropologie, etwa Mystik, höhere Erkenntnis und Rassenlehre. Unbehagen, ja Übelkeit überkommt Einen bei der Lektüre dieser und anderer Verquastheiten, wie etwa der der Steinerschen Wagner-Adaptionen (Wotan  als Bringer des Christentums für die Nordvölker und ähnliches mehr…) , die er in zahlreichen Vorträgen und Schriften zum Besten gab, ob über Mythos und Mystiker, Wolfram von Eschenbachs Parzival bzw. den Wagnerschen Parsifal oder den Ring des Nibelungen. 


Bermbach betrachtet den Fall Steiner als ein Paradebeispiel dafür, wie sehr Wagner „für die verschiedensten Zwecke ausgebeutet werden konnte. Vermutlich keinem anderen Komponisten sind so viele weltanschaulich unterschiedliche Interpretationen und Vereinnahmungen angetan worden wie Richard Wagner.“ In seinen vorherigen Wagnerbüchern hat Bermbach, am Beispiel der Nationalsozialisten „solches Zurechtbiegen und zweckgesteuerte Einpassen in vorgegebene ideologische Muster“ offengelegt.  In seinem neusten Buch stellt er die anthroposophische Zurechtbiegung Wagners, die Steinerschen „Rezeptionsanstrengungen“ der Einpassung Wagner in sein Denkgebäude exemplarisch dar.


Es ist der „erste Versuch,“ die anthroposophische Wagnervereinnahmung  wissenschaftlich aufzuarbeiten, ja einzuordnen. Das hat keiner vor Bermbach getan. Insofern gebührt ihm Dank. Er hat wieder einmal Pionierarbeit geleistet und eine Lücke der Forschung geschlossen. Zurecht mahnt er am Ende seiner jüngsten Studie an, dass es umso wichtiger sei, „dass immer wieder die ursprünglichen Intentionen Wahners herausgestellt werden“.


Diverse Beiträge in Printmedien, u.a. in "Das Orchester" (Schott)