Der Fliegende Holländer Mannheim

Photo: Christian Kleiner / Nationaltheater Mannheim


„Der fliegende Holländer“ in Mannheim. Eine Zumutung

Premiere 24.4.22


“Der fliegende Holländer”, der 1843 in Dresden uraufgeführt wurde, war Wagners erstes., von ihm selbst als vollgültig erachtetes Werk (auch wenn er es immer wieder bearbeitete), mit der er eine neue Bahn einschlug. Eine Initialzündung gewissermaßen, und ein genialer Wurf, der den Zuschauer bzw. Zuhörer bis heute in seinen Bann zieht.


Nicht so bei der jüngsten Neuinszenierung am Nationaltheater Mannheim, die coronabedingt um einige Wochen verschoben wurde. Sie ließ die Magie des forschen Jugendwerks, seine fast rauschhafte Dramatik und vormärzhafte Weltschmerz-Dämonie (mit der sich Wagner übrigens eher zu europäischen als deutschen Traditionen bekannte) außen vor. 


Der aus Zürich stammende Schauspiel- Regisseur Roger Vontobel und sein Bühnenbildner Fabian Wendling hatten eine Bildidee, die schnell ermüdete, aber die ganze Produktion beherrschte und lähmte. Eine gewaltige Seil-Maschinerie von Flaschenzügen und Schiffstauen sowie eine Tribüne auf der Drehbühne waren unentwegt im Einsatz, jeder (ob Solist oder Chorist) verstrickte sich mal in diese Schiffstaue, die das szenische Geschehen beherrschten, mit reichlich Bühnenqualm umdampft und demonstrativ oder aber sehr ungünstig beleuchtet wurde von Florian Arnholdt.


Die Absichten der Regie, das Stück als Kopfkino Sentas, als ihr Traum vom Ende her zu zeigen (keine neue Idee, das hat man schon mehrfach gesehen) lösten sich mitnichten ein, man wohnte einer plakativen, drögen und ermüdenden Performance bei, einem statuarischen Ritual. Die plakativen, geschmäcklerichen, Videos von Stefan Bischoff mit dem Auge Sentas, Meeresfilmchen und verschiedensten Strukturen als Überblendungen des Bühnengeschehens überzeugten auch nicht und brachten keinerlei Erkenntniszuwachs. Auch die zentrale Abicht des Konzepts, die Sichtbarmachung von Liebe als käufliche Ware, oder der Sehnsucht nicht nur „nach dem Heil“, sondern auch nach Erlösung von der “Entfremdung des Einzelnen von Gott, Natur, Gesellschaft und Wirtschaftssystem” wie der kluge Udo Bermbach im Programmheft zitiert wird, war ein leeres Versprechen des Regisseurs im Programmheft. Auch die Sache mit der Erlösungutopie des Mannes durch das “Weib der Zukunft” blieb im Vagen.

 

Der Holländer wurde als schwarzer Mann in pseudohistorischem Outfit als deklamierende Statue gezeigt, die sich, einem  Schiffsskelett entsteigend, das sich vom Schnürboden  herabsenkte, überwiegend einfach so rumstehend singen durfte.  Michael Kupfer-Radecky machte das gut, will sagen mit sehr kultiviertem Heldenbariton, wenn auch ohne Dramatik, Dämonie und Biss, immer wieder vom geradezu lähmenden Dirigat gehemmt, das nicht anders als eine Zumutung bezeichnet werden darf, darin immerhin der Inszenierung entsprechend. Selten hat man den großen Holländer-Monolog derart langweilend unspektakulär erleben müssen.


Der junge Shootingstar Jordan de Souza, der auch in Mannheim als neuer Dirigent ordentlich gehypt wird, hat die Holländermusik zergliedert, buchstabiert, viel zu langsam und immer wieder von Generalpausen blockiert, ihrer Dramatik und ihres Sogs beraubt, den man kennt und schätzt. Es war eine dröge, knallige, laute und unpoetische Darbietung, vom tieferen Verständnis der Wagnerschen Klangdramaturgie keine Spur. Das Nationaltheater-Orchester war bei dieser Aufführung hörbar nicht in bester Verfassung. Mit Wehmut denkt man die orchestrale Brillianz, die es zuletzt bein “Tristan” unter Leitung Alexander Soddys zeigte.

Obwohl man das Werk ohne Pause in einem Rutsch durchspielte, mit Kürzungen und in Mischfassung, sie dauerte mal eben zwei Stunden und 20 Minuten, zog sich die Aufführung quälend hin.


Senta wurde wie Alice in Wonderland als dümmliche Blondine im zu kurzen, abstehenden Röckchen vorgeführt, sie durfte vornehmlich an der Rampe ihre Ballade schmettern, mit einer schreienden Trompetenstimme, die den Charme einer Rasierklinge hatte und seelenlos sowie (meist) unverständlich daherkam (Daniela Köhler). Auch Erik (Jonathan Stoughton) wurde zum rumstehenden Brüller degradiert! Daland (Sung Ha sprang dankenswert und mit respektablem Bass für den verhinderten Patrick Zielke ein) war trotz stimmlicher Qualitäten eine blasse Figur. Die Spinnerinnen wurden als Mädchen in Unterwäsche im Arbeitslager gezeigt, zwangsverstrickt in die Seilmaschinerie der Produktion, geknechtet von 4 giftgrünen Aufseherinnen, deren eine Mary war (Marie Belle-Sandis war stimmlich eine der schwächsten, die ich jemals hörte). Im letzten Akt wurden zur buntberockten Beute der primitiven Mannsbilder, die stampfend, in affenhaften Machoposen sich gebärdend, durchaus mal mit dem Griff ans Gemächt prahlten und die Mädels aufs roheste auf die allgegenwärtige Tribüne zerrten.


Zum Finale schließlich schwebte der Holländer im Skelett seines Luft-Schiffs gen Himmel, Sentapüppchen folgte als blonder Rauschgoldengel (gedoubelt) im Fluggeschirr, während der Chor am Boden in theatralischem Oberammergau-Tableau die Hände nach ihr ausstreckte. Zuletzt eine Videoeinblendung Sentas mit einem Strick um den Hals. 


Die Inszenierung strotze von Ungereimtheiten, Konventionen und Hilflosigkeiten. Man wohnte meist purer Rampensteherei bei, einer statuarischen, auf jede plausible Personenführung verzichtenden, regielich nicht sonderlich animierten und originellen Veranstaltung, einem emotionslosen, antiemotionalen Ritual mit Figuren ohne Fleisch und Blut. Völlig überflüssig waren die von Tänzern (Choreografie Zennta Haerter) gedoubelten Figuren der Senta und des Holländers, die als “Symbiose von Tanz und Gesang „versprochen wurden. Es war ein leeres Versprechen, ein gequältes, verkrampftes, verschraubt und verrenktes, vor allem aber gewaltig ablenkendes Tanztheater en miniature. Wagner zu vertanzen ist meist Unfug, der nichts bringt und auch völlig unnötig ist, da die stark gestische, von Erinnerungs- und Ahnungsmotiven durchzogene Musik Wagners schon alles sagt. In Aufführen der Vergangenheit hat sich das immer wieder gezeigt, am Schmerzlichsten im vertanzten “Ring” im Opernhaus Leipzig!


Fazit: Das szenische Ergebnis der rein theoretischen, bildorientierten Konzeption erwies sich als blosses Lippenbekenntnis, das sich theatralisch nicht einlöste, außerordentlich langweilte und alle Fragen des an sich faszinierenden  Stücks offen ließ. Ein Ärgernis.


Rezension auch in der nmz online