Kranz, R. Wagner und das Weibliche

Wagner und "das Weibliche"

Ein großes Thema, aber entschieden zu kurz gegriffen


 

Richard Wagner war ein lebenslang von Obsessionen Getriebener. Zu seinen Obsessionen gehört auch „das Weibliche“. Aber es entspricht einfach nicht den Tatsachen, das Weibliche als das Zentrum von Wagners Kunst zu deklarieren, wie der Autor vorliegenden Buches suggeriert.

 

Egon Voss, Editionsleiter der Richard-Wagner-Gesamtausgabe und einer der besten Kenner Richard Wagners und seines Werks neben Martin Geck, hat zurecht als "Grundthema" Wagners die Sexualität bezeichnet, von den "Feen" bis zum "Parsifal".  Ein besonderer Aspekt des Weiblichen! Als "zentrales Problem" von Wagners anarchischem, antibürgerlichen Leben zwischen Leipzig und Venedig nennt Voss allerdings "Schulden", also Geldmangel, „eines der zentralen Probleme seines Lebens,“ Geld und Macht waren die Themen seines antikapitalistischen Musikdramas.

Wie Kranz Zu behaupten “Wagners großes Thema ist und bleibt die Lebe, das Mysterium der erotischen und mütterlichen Faszination und damit die Frau“, greift entschieden zu kurz. Dass diese Behauptung ausgerechnet ein Zitat von Eva Rieger ist, sie ist fast so etwas wie die Kronzeugin des Autors, ist umso verwunderlicher, als Eva Rieger bekannt ist für ihre tendenziösen, einseitigen, ja extrem feministischen Entgleisungen, ja Verfälschungen. Bestes Beispiel ist ihre Friedelind Wagner-Hagiographie, die gottlob von der klugen und kritisch recherchierenden Eva Weissweiler korrigiert wurde.


Eva Rieger-Zitate durchziehen das – mit Verlaub gesagt – hilflose, naive und wenig originelle Buch von Paul Simon Kranz. Es ist unverständlich, wie der Richard-Wagner-Verband Frankfurt am Main die Publikation dieses Buches beförderte, wo doch die ersten drei Bände dieser Reihe herausragende Arbeiten waren.

Man erinnere sich: Martin Geck entschlüsselte den Begriff „Kunstwerk der Zukunft“ alles andere als aus dem Weiblich heraus als politischen wie ästhetischen Schlüsselbegriff Wagners. Demzufolge ist für ihn der „Ring“ mehr noch als ein „Wiegenlid der Welt“ (Cosima Tagebücher) als ein „Kunstwerk aus dem Angstschrei,“ „das wahre Bild von der Verfassung der Welt.“ Wobei Geck ihn durch die eigene Erlösungsbedürftigkeit Wagners von der Pein der Triebe erklärt: Gut Schopenhauerisch sei für Wagner die „Geschlechtsliebe“ der „Heilsweg zur vollkommenen Beruhigung des Willens.“ Erlösung durch Entsagung (die Medizin Parsifal) sei sein persönliches Rezept dagegen gewesen, nur leider hat diese Medizin nicht gewirkt. Wagner war dem Sexus bis zu seinen letzten Atemzügen verfallen gewesen.

Wagner war ein bekennender und bekannter „Womanizer“ seiner Zeit.  Seine oft enthusiastischen Bekenntnisse des Hingezogenseins zum weiblichen Geschlecht, aber auch Urteile zahlreicher Frauen um Wagner über ihn und seine magische Wirkung auf die Frauen sprechen für sich. Und das, obwohl er so klein war, und alles andere als ein Beau.


Wagners ganzes Schaffen war ein erotisches Selbstbekenntnis, war ein Ringen mit dem Konflikt aus Anspruchshaltung und individueller Triebstruktur, Pflicht und Neigung, gesellschaftlicher Erwartung und persönlicher Bedürftigkeit, ein Angstschrei! Es sei nun einmal »der Geschlechtstrieb, mit welchem alle Produktivität zusammenhängt“ habe Wagner am 20. 8. 1871 gegenüber Cosima - gut schopenhauersch - geäußert., was für ein Bekenntnis.


Kranz behauptet allen Ernstes, Wagner sei im realen Leben, „wie der mythische Protagonist“ seiner Oper „Der fliegende Holländer“ schließlich auf die Frau getroffen, die dem „Weib der Zukunft“ nahekomme. „Richards reale Senta trug jedoch den Namen Cosima“. Damit verklärt er einmal mehr diese Ehe, zweifellos befeuert durch Eva Riegers Verklärung in ihrem Buch „Leuchtende Liebe, lachender Tod. Richard Wagers Bild der Frau im Spiegel seiner Musik“. Düsseldorf 2009). Wer die Cosima-Tagebücher genau liest, wird zwar eine ähnliche „Besessenheit“ beider Frauen Senta-Cosima feststellen, doch die Beziehung Wagners Zu Cosima, diese Ehe war mitnichten ein ungetrübtes Glück. Im Gegenteil. Sie hat Wagner nicht erlöst, allenfalls befriedet, aber nur zeitweise und partiell. Ein Exkurs sei an dieser an dieser Stelle gestattet:

 

Die Ehe zwischen Richard und Cosima - so sehr sie im Sinne einer Produktions-Gemeinschaft für ihn jedenfalls von Vorteil war - sie war kein erotisch ungetrübtes Glück. Die Tagebücher Cosimas enthüllen es Seite für Seite.

Schon von Kindheit an fühlte Wagner eine starke Affinität zu Fausts Worten vom „Ewig-Weiblichen“, das uns hinan ziehe. Erlösung des Mannes durch die Frau: das war sein Thema vom „Holländer“ bis zum „Tristan“, in gewissem Sinne sogar bis zum „Parsifal“. Man darf Wagner ohne zu übertreiben als den Erotomanen unter den Opernkomponisten bezeichnen. Seine Opernbühne ist der Tummelplatz erotischer Konstellationen der heikelsten und pikantesten Art: Reflex seines privaten Lebens, in dem die Ehe (allen Verklärungen zum Trotz) keineswegs die alleinseligmachende Form erotischer Selbstverwirklichung war, auch und gerade nicht die Verbindung mit Cosima. Sein „Weltabschiedswerk“ „Parsifal“, unter Cosimas Obhut komponiert, wurde denn auch zum resignativen Alters-Drama der Sinnenabtötung, eine mythisch-pseudochristliche Entsagungsoper par excellence. Der vergebliche Versuch, den Anfechtungen seiner Sexualität Herr zu werden. Indes, sie sollten ihn bis zum Tage seines Todes verfolgen. Wagner kam von den Frauen nicht los!

Das offizielle Dreigestirn der Frauen in Wagners Leben hieß Minna, Mathilde und Cosima. Die erste hatte er geheiratet, die zweite war seine unsterbliche Geliebte, die dritte, Cosima - uneheliche Tochter Franz Liszts und der Gräfin d'Agoult - heiratete ihn. So liest man es in Julis Kapps geistreichen Buch „Wagner und die Frauen“. Nach Jahren wilder Ehe mit Richard hatte sie ihrem Gatten, Hans von Bülow, den Laufpass gegeben. Schuldgefühle quälten sie noch Jahrzehnte später. Ein Skandalon in der damaligen Gesellschaft. Dennoch genoss sie als resolute wie aufopferungsvolle Wagner-Gattin schon bald den Respekt und die Ehrerbietung der Mitwelt.

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Cosima hat Richard um 47 Jahre überlebt. Nicht erst, als sie 1930 starb, wurde sie verklärt zur unsterblichen Geliebten Wagners, zur ebenbürtigen Künstlergattin und Verwalterin seines Werks. Ein fataler Irrtum, wie die Tagebücher Cosimas eindrucksvoll bezeugen! 1976 wurden diese Tagbücher nach wechselvoller Geschichte mit unklaren Rechtsverhältnissen und langfristigem Publikationsverbot veröffentlicht. Ein einzigartiges kulturgeschichtliches Dokument von mehr als zweitausend Seiten Umfang, geschrieben zwischen dem 1. Januar 1869 und dem 12. Februar 1883, dem Todestag Richard Wagners. 


Gegen alle Vermutungen mancher Zweifler, es handele sich bei diesen Tagebüchern um nicht mehr als ein neu erschlossenes Medium stilisierter Selbstdarstellung der Autorin und idealisierter Darstellung ihres Mannes, kann man nur verweisen auf die oftmals geradezu naive Offen- und Treuherzigkeit, mit der die Diaristin einer Verklärung ihres Gatten und „Meisters“ zuweilen gar nicht so Förderliches zu Papier gebracht hat. Ganz zu schweigen von den ihrerseits festgehaltenen negativen Äußerungen ihres Mannes über sie selbst. Auch wenn Cosima manches biographische Ereignis unterschlagen und natürlich nicht alle Aussprüche Wagners notiert hat, so ist doch die Authentizität der von ihr notierten Aussprüche Richard Wagners kaum zu bezweifeln. Es kann angesichts ihres fast pathologischen Unwertgefühls, das gepaart war mit einem Rollenverständnis als Frau und Künstler-Gattin, das von ihrer Selbstverleugnung und Unterwerfung unter den Willen ihres Genie-Gatten forderte, wohl für bare Münze genommen werden, was die fromme Liszt-Tochter Cosima am 16. Januar 1871 in ihr Tagebuch schrieb: „Jedes Wort von ihm ist mir ein Glaubenssatz“.


Menschliches, Allzumenschliches hat Cosima in ihren Tagebüchern überliefert, Episoden, die in das Altarbild, das die Nachwelt von Wagner zu malen sich auf unterschiedlichste Weise bemühte, nicht so recht passen wollen. Auch hat sie in (wie es scheint) naiver Gewissenhaftigkeit und Demut kritische, allzu kritische Bemerkungen ihres Mannes über sie selbst, die „Frau Meisterin“ notiert, Bemerkungen, die ein neues Nachdenken über die Rolle Cosimas in einer bisher als ideal verklärten Ehe- und Geistesgemeinschaft nötig machen, eine Ehe, die so ideal nicht war. Zu schweigen von Cosimas frömmelnden Selbstanklagen und den Bekenntnissen ihres Inferioritätsbewußtseins.


Nicht ohne Grund haben, dilettantisch zwar und in töricht harmloser Absicht, einige fromme Tempeldiener Bayreuths versucht, die Tagebücher im Nachhinein einer reinigenden Zensur zu unterziehen. Die gewissenhafte Edition Martin Gregor-Dellins und Dietrich Macks hat dies glücklicherweise zum Vorschein gebracht und korrigiert. Man kann die Bedeutung der Tagebücher Cosimas für die Wagnerforschung gar nicht hoch genug veranschlagen. Und man darf Hans Mayers vielzitierter Forderung: „Wer sich mit Richard Wagner abgibt, muss sich auf das Ganze einlassen.“ auch in Bezug auf die Tagebücher Cosimas zustimmen: Richard Wagner konnte, „wie die Aufzeichnungen Cosimas von 1869 bis Februar 1883 ausführlich belegen, alle geistigen Stationen seines Lebens, auch alle Lebenserfahrungen eines geistigen Mitläufers, in fast unschuldsvoller Gleichzeitigkeit bis zum Schluss für sich aufbewahren(...): Heinse und Feuerbach, Proudhon und Bakunin, Schopenhauer und die Rassentheorien des Grafen Gobineau“. Noch sechs Tage vor Wagners Tod liest man in den Tagebüchern Cosimas Wagners Ausspruch: „Eigentum! Der Grund alles Verderbens“.  Und in der letzten Eintragung, die Cosima hinterließ, an jenem Tage, an dem Wagner starb, heißt es: „Er geht an das Klavier, spielt das Klage-Thema 'Rheingold, Rheingold', fügt hinzu: 'Falsch und feig´ ist, was oben sich freut.' - 'Dass ich das damals so bestimmt gewusst habe!' - - Wie er im Bette liegt, sagt er noch: 'Ich bin ihnen gut, diesen untergeordneten Wesen der Tiefe, diesen sehnsüchtigen.' “

In den Tagebüchern der Cosima ergießt sich eine so faszinierende wie desillusionierende, beinahe erdrückende Informationsflut über den Leser dieser vieltausend Einzeleintragungen: „Szenen einer Ehe“. Diese Tagebücher dokumentieren das vierzehnjährige Paradebeispiel einer bürgerlichen, ehelichen Auseinandersetzung mit konstruktiven Folgen trotz grundsätzlicher Dissonanzen. Sie lesen sich wie das missionarische Protokoll über All- und Feiertag eines „Hohen Paares“ in den Niederungen der Wirklichkeit. Sie enthüllen vor allem die ganze Verschiedenheit der Persönlichkeiten Richards und Cosimas. Schonungslos ausschweifend ergeht sich Cosima immer wieder in gequälten Reflexionen und Selbstanklagen, in denen sich religiös verbrämter Masochismus und pathologische Selbsterniedrigung verraten. Geradezu erfrischend lesen sich ihre halb pathetisch, halb betulich-akribischen Aufzeichnungen über Wagners humorig-kauzige Äußerungen einer erstaunlichen geistigen Beweglichkeit und Weitsicht, seinen immensen Produktivitätsdrang und seine menschlich allzu menschlichen Schwächen und Schäbigkeiten.


Es darf als ein Glücksfall für die Wagnerforschung bezeichnet werden, dass ihr Pflichtgefühl Cosima immerhin veranlasst hat, eine Fülle gerade solcher Äußerungen Wagners aufzuschreiben, die die ganze Diskrepanz des politischen, weltanschaulichen, nicht zuletzt auch 'antijüdischen' Denkens Richards und Cosimas deutlich zutage treten lassen. Unterschiede, die allerdings in der Wagner-Literatur häufig verwischt werden. Vieles im Werk und im Leben Wagners muss man seither anders bewerten, anders verstehen. Auch die Ehe zwischen Wagner und Cosima. Dennoch wurde und wird die Ehe- und Arbeitsgemeinschaft zwischen Cosima und Richard immer wieder verklärt zum Paradigma bürgerlicher Zweisamkeit, als letzte große Manifestation der Ehe-Utopie. Allen verklärenden Vokabeln von der Einmaligkeit und der Idealität der Ehegemeinschaft Cosima-Richard zum Trotz drängt sich bei genauer, kritischer Lektüre der Tagebücher der Eindruck auf, dass diese Ehe wohl eher nicht   glücklich gewesen sein wird. Schon bald nach ihrer endgültigen Vereinigung mit Wagner (im Jahre 1869) verfiel Cosima mehr und mehr in eine bigotte Religiösität. Am 3. 11. 1873 schreibt sie in der für sie typischen. naiv-sentimentalen Religiosität in ihr Tagebuch: „Allerseelentag! Ich gehe zu Beichte und Abendmahl (...) am Altar einzige Gemeinsamkeit mit dem Volke, Sorge, Kummer, in Reue und Andacht sich verlierend, nicht nur kein Zweifel, sondern kein Gedanke möglich in dieser Wahrhaftigkeit des Glaubens... unausgesprochene Liebe waltet, und meine Seele begrüßt die ernsten gefurchten Bauernantlitze, das bist du, und alles bist du, alles zum Leib geboren, zum Heil erkoren; ewige Ruhe, kein Wunsch ist wach, keine Sorge sehrt, kein Leiden kränkt, keine Sünde quält, in allen Tiefen ist Ruh, keine Regung spürest du, und nun ruhst du auch!“ Am 1. 2. 1871 liest man: „den ganzen Tag möchte ich beten, büßen, danken“; und am 21. November 1874 vertraut sie ihrem Tagebuch an: „Und so freue ich mich meines Schmerzes und falte dankbar die Hände!“. In einem durchaus selbstkritischen Augenblick erkannte Cosima: „Ich könnte mir leicht denken, dass eine andere Zeit mich als religiöse Schwärmerin gesehen hätte“. Wagner hat Cosimas Frömmelei und Bigotterie früh durchschaut. An manchen Tagen kann er sich, wie Cosima notiert hat, ihr gegenüber die Bemerkung nicht versagen, sie trage wieder einmal ihr „katholisches Gesicht“. Worüber die - im Gegensatz zu Richard - völlig humorlose Cosima wohl kaum gelacht haben dürfte. Ihre Gesamtpersönlichkeit war der Richards in vielem diametral entgegengesetzt: sie war politisch konservativ-reaktionär, erzkatholisch, auch wenn sie, Richard zuliebe, zum Protestantismus übertrat, sie war, um es direkt zu sagen, offensichtlich verklemmt, war ohne Humor, ohne Sinnlichkeit, autoritätshörig und von einer bildungsbürgerlichen Beflissenheit, die verglichen mit der künstlerischen Kreativität, Quirligkeit und Flexibilität Richards, der bei aller Saturiertheit seiner beiden letzten Lebensjahrzehnte doch auch immer der Jungdeutsche Bürgerschreck geblieben war, konservativ und lähmend genannt werden muss. Ihr immenses Schuldgefühl gegenüber Hans von Bülow, den sie Wagner zuliebe verlassen hat, aber auch ihr extremes Unwertgefühl gegenüber Richard Wagner kompensierte sie mit fanatischer Religiosität und unbelehrbarem Antisemitismus. „Das Gefühl meines Unwertes steigert sich täglich“ heißt es in einer Tagebuch-Notiz vom 29.11.1877.

Richard unterwarf sie sich denn auch völlig. Sie verehrte ihn nicht nur, sondern betete ihn geradezu an, wie sie es später auch von der Welt verlangte, als künstlerisches Genie „und als gewaltige Rettung des germanischen Geistes“. Richard erscheint ihr „immer göttlich und einzig“. Deswegen notiert sie auch alles, was ihr Gedächtnis zu speichern vermag, sorgfältig in ihr Tagebuch. Es wimmelt in den Tagebüchern von selbstquälerischen Bekenntnissen übergroßer Schuld- und Inferioritätsgefühle. Und Cosimas Devise lautete: „mich lasst mit Fassung leiden, dass meiner Sendung ich nie vergesse“.


 Cosimas drittes Lebensproblem bestand neben Schuldgefühlen (gegenüber Bülow) und Unwertgefühlen (gegenüber Richard) darin, dass sie schlichtweg an ihrer Weiblichkeit litt. Sie vermochte kein solides Selbstwertgefühl als Frau zu entwickeln. So wie sie auf der Suche nach einem Gatten war, zu dem sie aufblicken konnte, sehnte sie sich nach einer Mutter, die sie ja in der Tat in ihrer von Gefühlsarmut und Liebesentzug bestimmten Kindheit schmerzlich vermisst hatte. Am 20. 2. 1869 schreibt sie im Tagebuch: „wie glücklich ich jetzt sein würde, wenn ich eine Mutter hätte! Eine Mutter, die alles verstünde“. Cosimas weibliches Rollenideal, ihre Vorstellung von der Aufgabe der Frau, kommt unzweideutig zum Ausdruck in einer Notiz vom 22.4.1879: „Die tierische Geduld zur heiligsten Aufopferung erhebend, so begreife ich sie.“ Dass Cosima die aufkommende Emanzipationsbewegung der Frauen, zu deren Vorkämpferinnen einige Freundinnen Wagners gehörten, mit Abscheu betrachtete, bedarf keiner Erläuterung. „Dienen, dienen!“, um die Worte Kundrys zu zitieren, das war Cosimas Losung. Auch wenn Wagner am Vorabend seines Todes, wie sie am 12. 2. 1883 notierte, ihr nach langer und zärtlicher Umarmung das rätselhafte Bekenntnis zugeraunt haben soll „Alle 5000 Jahre glückt es!“. Was immer damit gemeint war, diese Ehe war, genau betrachtet, eher ein Unglück. Mit Sicherheit zumindest in erotischer Hinsicht. Schon am 16.6.1869 stellt Cosima eine tiefgreifende Differenz zwischen ihr und Richard fest, dergestalt, „dass er Freude an Wohlsein und hübschen Dingen hat, während ich beinahe lieber entbehre als genieße“. Schon etwas konkreter heißt das im Zusammenhang von Gesprächen „apropos von Geburten oder von Erzeugungen: nachmittags einigen Kummer, dass Richard sich in seinen Neigungen nicht einschränken lässt.“ Richards spöttischer Kommentar zu ihrer asketischen Haltung bei anderer Gelegenheit: „Ja ja, ich weiß, du möchtest auch gern solch eine Entsagungs-Wirtschaft hier einführen, ich weiß doch -“ (6.8.1869) Am 16. Mai 1870 klagt Cosima erneut: „Könnten wir die Leidenschaften doch bezähmen; könnten sie aus dem Leben gebannt sein“, einige Tage später vertraut sie ihrem Tagebuch an: „wie ich schon lange dem sinnlichen Ausdruck der Liebe entsage, nahm ich mir vor, jedwede kleine Freude, ja nur Annehmlichkeit zu opfern“ (1.6.1870). Und schon am 12. November 1869 konstatierte sie: „ich glaube, ich wäre jetzt für das Kloster reif.“ Aber selbst 12 Jahre später noch, am Abend des 13. 1. 1881 notiert Cosima: „Gute Nacht und stets dieselbe liebe Kloster-Ordnung.“ Was Wunder, wenn Wagner (stets verfolgt von Cosimas Eifersucht) in diversen erotischen Eskapaden Zuflucht suchte. Was Wunder, dass er den „Parsifal“ schrieb! Doch auch beim Schreiben des „Parsifal“ kam er nicht ohne eine erotische Muse aus. Der Schriftstellerin Judith Gautier schrieb er glühende Liebesbriefe. Sie schickte ihm Parfums und Stoffe aus Paris. Ihr Besuch in Wahnfried hätte fast zum Eklat zwischen Richard und Cosima geführt. Selbst seine letzten Lebenstage waren überschattet von erotischen Eskapaden: die Rede ist von der Sängerin eines Blumenmädchens namens Carrie Pringle. Sie wollte Wagner besuchen, im Februar 1883. Er hatte sie eingeladen. Darüber kam es zwischen Richard und Cosima zu heftigem Streit, der möglicherweise jenen tödlichen Herzinfarkt Wagners am frühen Nachmittag des 13. Februar 1883 ausgelöst haben mochte.

Oder war es Betty Bürkel, das Kammermädchen? „Was wir alle in diesen Tagen erlebt und empfunden haben, gehört nicht vor die Öffentlichkeit.“ So liest man beim Hausbiographen Glasenapp.

 

Bei Paul Simon Kranz liest man: „Erst nach 1850 fand Richard Wagner in seiner zweiten Ehefrau Cosima eine Frau, die seinen Idealen sehr nahekam. Sein Drang, versiegte jedoch nie. Das Weibliche war in Wagners gesamtem Leben, vom ersten bis zum letzten Atemzug anscheinend auf sämtlichen Ebenen präsent.“  So der letzte Satz des Buches. Eine altbekannte wie wenig sagende Behauptung. Der Haupteinwand gegen das Buch:  warum lässt der Autor es schon 1850 enden und betrachtet nur Senta, Elisabeth und Elsa, wo doch die interessantesten Frauenfiguren Wagners, Isolde, Brünnhilde (das Welt und Götter erlösende göttliche Kind), Erda und Fricka nicht zu vergessen, schließlich Kundry (die dämonisierte Verführerin wie büßende Sünderin, die wohl komplexeste der Wagnerschen Frauengestalten) erst danach geschaffen wurden.

Auch wenn Wagner manche patriarchalischen Stereotypen von „Weiblichkeit“ übernahm, er hat sie doch variiert, infrage gestellt, ja hat das Frauenideal seiner Zeit schließlich umgewertet. Immerhin lauten die letzten Worte seines Lebens, darüber versterbend, in dem entstehenden Aufsatz „Über das Weiblich im Menschen“ schrieb: „Gleichwohl geht der Prozess der Emanzipation des Weibes nur unter Ekstatischen Zuckungen vor sich- Liebe-Tragik“


Der Autor befleißigt sich zwar studentischer Fleißarbeit (das Buch ist der Text der Abschlussarbeit seines Schulmusikstudiums an der Hochschule für Musik  und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main) und setzt Wagners Frühwerk, Wagners Biografie (seine realen Verhältnisse zu Frauen, seinen Geliebten, Förderinnen, Künstlerinnen, Angeschmachteten, und Ehefrauen), seine Äußerungen in diversen Texten, die philosophischen Voraussetzungen und die gesellschaftlichen Rollenklischees zueinander in Bezug.  Doch wäre dies zu vertiefen und kritisch-analytisch auszuwerten. Das Thema ist zweifellos ein großes, doch es mit neuem Erkenntniswert zu bearbeiten fehlt dem Autor die Größe (was wohl auch etwas mit Lebenserfahrung und Wagnerkenntnis zu tun hat).

Schließlich gibt es schon etliche Arbeiten zum Thema, wenn auch hauptsächlich in Form von Aufsätzen und Essays. Es wäre tatsächlich einmal an der Zeit, eine große Monografie über Wagner und das Weiblich zu schreiben, doch sie dürfte nicht um 1850 Halt machen, sondern müsste Wagners gesamtes Leben und Schaffen betrachten. Einstweilen bleibt dieses Projekt uneingelöster Wunsch.


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