Wolfgang Wagners / James Levins Parsifal

Fotos: © Bayreuther Festspiele GmbH / Unitel



Weihvolles Erbe, in Kristall

Parsifal Bayreuther Festspiele, WA Prem. 29.7.1993

 

Moderator: Dieser Parsifal, inszeniert von Wolfgang Wagner 1989, gewinnt seine besondere Attraktivität in diesem Jahr durch die Besetzung, nicht zuletzt durch Placido Domingo als Parsifal. Was läßt sich denn über seinen Parsifal sagen?

 

Ich: Also eines muß man ihm zugestehen, Domingo meistert da, wo die meisten gegenwärtigen Wagner-Tenöre enorme Stimmprobleme haben, nämlich in der Höhe, mühelos und mit natürlicher, klarer, und vor allem sehr kräftiger Stimme seine Partie. Es ist bewundernswert, mit welcher Leichtigkeit und mit welcher strahlenden Legatokultur er dieses Wagnersche Heldenfach bewältigt, aber es ist doch unübersehbar, daß er sich mit der deutschen Aussprache keine allzu große Mühe gibt, daß seine Artikulation und Phrasierung geprägt sind vom italienischen Fach, auch seine szenische Darstellung hat etwas vom italienischen Opernhelden, er springt in  gestelzter Heldenpose  auf der Bühne  herum wie Manrico. Bei allem Respekt vor seiner Vielseitigkeit und seiner Stimmkraft: interpretatorisch ist sein Parsifal, den er übrigens in allen fünf Aufführungen singen wird, sehr fragwürdig. Überzeugender ist da schon Hans Sotin, der mit bewunderswerter Kondition und nobel gestaltetem Ausdruck, bei größter Textverständlickeit den Gurnemanz sang. Er hat ja nun vier große Wagner-Partien an vier aufeinanderfolgenden Tagen gesungen. Und das in  gleichbleibender Güte. Das ist schon außerordentlich. Hans Sotin gehört zu den zuverlässigsten Säulen des Wagner-Ensembles in Bareuth. Und das schon seit 18 Jahren. Bernd Weikls Amfortas erreichte diesmal das von ihm gewohnte interpretatorische Format nicht ganz. Auch Franz Mazura als immer noch ausdrucksvoll gestaltender Klingsor hat stimmlich doch deutlich seinen Zenit überschritten. Neu im Parsifal-Ensemble ist Deborah Polaski. Sie gestaltet eine sehr intensive, in der Mittellage und in der Tiefe wohltönende Kundry, aber in der Höhe hat sie ihre Stimme nicht ganz unter Kontrolle. Mit bewährter Präzision und auffälliger Zurückhaltung und Differenzierung im Ausdruck sangen die Chöre, die von Norbert Balatsch einstudiert wurden. Auch der Festspielchor ist ja eines der Pfunde, mit denen man am Grünen Hügel wuchern kann, ebenso wie mit der Qualität des Orchsters

 

Moderator: James Levine stand wieder am Pult dieses Parsifal. Was läßt sich über seine Interpretation sagen?

 

Ich: Verglichen mit seinen bisherigen Parsifal-Aufführungen hat er diesmal deutlich dramatischere Zeitmaße gewählt, er hat einen sehr durchsichtigen Parsifal dirigiert, mit wunderbar sich entwickelnden Steigerungen, mit viel Verständnis für die großen Zusammenhänge. Ich hatte den Eindruck, daß seine Parsifal-Deutung deutlich an Theatralik, an Vielschichtigkeit und Plastizität hinzugewonnen hat. Und eines muß man Levine bescheinigen, daß er die besonderen akustischen Gegebenheiten des Festspielhauses wie kein anderer seiner derzeitigen Kollegen im Griff hat. Dieser Parsifal besticht vor allem durch sein brillantes, reich gstaffeltes Klangbild und durch die Präzision des Orchesters.

 

Moderator: Gibt es in der Inszenierung von Wolfgng Wagner Neues zu vermelden?

 

Ich: Nur unwesentliches. Wolfgang Wagner hat in den Gralsszenen ein paar bildnerische Details hinzugefügt, die allerdings kaum von Bedeutung sind. Seine Inszenierung ist ja alles in allem eine sehr werktreue in Bildern, die an Schlichtheit nicht zu überbieten sind. Er läßt das Stück ja spielen vor mehreren hohen Felsblöcken mit kristalliner Oberfläche, die sich in den Gralsszenen drehen und treppenförmige Säulen darstellen. Das ist nicht gerade sehr einfallsreich und läßt denn auch wenig Spielraum in der Personenregie zu, die vor allem von Altersroutine und tradierter Parsifal-Konvention geprägt ist. Ganz zu schweigen von der geradezu läppischen Choreographie der Blumemädchen, die Ivan Marko besorgte. Wolfgang Wagner zelebriert im wahrsten Sinne des Wortes ein  Bühnen-Weih-Festspiel, und das derart feierlich, daß das Publikum wieder einmal nicht wagte, nach dem Aktschluß der ersten Gralsszene zu klatschen. Das einzig Bemerkenswerte dieser etwas altbackenen Inszenierung ist die Aufwertung der Kundry-Gestalt: sie darf bei Wolfgang Wagner gemeinsam mit Parsifal den Gral enthüllen, sie stirbt nicht dabei, sondern überlebt - wie auch der genesene Amfortas - und man gewint den Eindruck, als gehöre sie in der neu anbrechenden Gralsäre an Parsifals Seite. Alles in allem aber ist das keine aufregende Produktion, der Höhepunkt der diesjährigen Bayreuther Festspiele ist, wie ich das vorgestern ja schon als Zwischenbilanz anmerkte, der Holländer in der Regie von Dieter Dorn und unter Leitung Giuseppe Sinopolis. Was die nächsten Bayreuther Festspiele angeht, da konzentrieren sich nun natürlich alle Erwartungen auf den neuen Ring, den Alfred Kirchner inszenieren wird, am Pult steht dann wiederum James Levine.

 

Frühkritik SFB, am 30.7.1993