Mille affetti

Plädoyer für einen aussergewöhnlichen Sopranisten

Wer jetzt noch am Stimmfach „Sopranist“ zweifelt, dem ist nicht zu helfen.


Mille Affetti
Opera and Sacred Arias
Bruno de Sá, Wroclaw Baroque Orchestra, NFM Chor, Jarosław Thiel

1 CD, Erato (Warner Classica) 5051979954224


Der Titel des Albums entstammt dem Textbeginn der Arie des Lindoro aus Luigi Carusos komischer Oper „Il fanatico per la musica“. „In mezzo a mille affani, fremo, deliro..“ ‚(auf Deutsch: Unter tausend Qualen bebe ich, sinke ich darnieder... ) Er meint die Emotionen, die diese Zusammenstellung von Arien aus Opern und geistlichen Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, Luigi Cherubini, Luigi Caruso, Niccolò Antonio Zingarelli, Johann Friedrich Reichardt, Felice Alessandri, Domenico Cimarosa, und Franz Seydelmann in der Interpretation des brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá exemplarisch vorführt.


Der Ausnahmesänger hat schon mit seinem Album „Roma Travestita“, in dem er barocke Arien, die zwischen 1720 und 1760 in Rom von Kastraten in Frauenrollen gesungen wurden, stimmtechnische Akrobatik und gesangliche Außerordentlichkeit bewiesen. Mit seiner neusten CD frappiert Bruno de Sá, abgesehen vielleicht vom Mozarts „Exsultate, jubilate“, mit einer Einspielung fast vergessener Stücke aus der Zeit Mozarts erneut. Begleitet vom polnischen NFM-Kammerchor und dem temperamentvoll-rasanten wie einfühlsamen Wroclaw Baroque Orchestra unter der musikalischen Leitung von Jarosław Thiel legt de Sá wiederum ein Feuerwerk an Koloraturen, Fiorituren und strahlenden Akuti vor, überzeugt aber auch mit lyrischen Kantilenen und einem wunderbarem Legato.


Er hat einen hohen verblüffenden Sopran und verfügt über eine große, ausdrucksvolle und klangvolle Stimme, die er völlig unartifiziell führt. Man hat tatsächlich den Eindruck, der 34-jährige Brasilianer singe trotz interpretatorischer Erfahrung und männlicher Reife mit einer im Urzustand erhaltenen Knabenstimme. Schon in der in der ersten Arie des Albums, aus Luigi Cherubinis Oper „Mesenzio, re d’Etruria“ überrascht er mit aberwitzigen Intervallsprüngen. Als Kontrast dazu verkörpert Bruno de Sá gewissermaßen einen unschuldigen Engel in ‚Betrachte dies Herz und frage mich‘ aus Mozarts „Grabmusik. In ähnlich natürlicher Innigkeit trägt er den Abschiedsgesang des Sifare aus Mozarts früher Oper „Mitridate, re di Ponto“ vor. Geradzu jimmlisch singt er die Solokantate „Exsultate jubilate“ vor, die der 16-jährige Wolfgang Amadeus für den Kastraten Venanzio Rauzzini (uraufgeführt in Mailand) geschrieben hat. Die hier eingespielte alternative Salzburger Fassung von 1779, die erst 1978 wiederentdeckt wurde, ist laut Booklet für de Sá ein sehr persönliches Werk, weil ihm sein kürzlich verstorbener Mentor, der Cembalist Nicolau de Figueiredo, das Stück nahegelegt hat.


Die Mischung dieses Albums umfasst Galantes wie Virtuoses aus spätbarocken bis frühklassischen Opern und geistlichen Werken. Die CD demonstriert die lustvolle Bereitschaft der damaligen Komponisten, die „Kapaune“ auf dem Theater wie in den Kirchen ordentlich zwitschern zu lassen, aber auch die enorme Gesangskunst de Sás. Das mit 85 Minuten Spielzeit großzügig gefüllte, faszinierende Album ist – durchsetzt mit animiert dargebotenen Ouvertüren – eine zwar subjektive Auswahl - aber gut ausgewählter Stücke aus geistlicher wie weltlicher, ernster wie komischer Musik. Wer jetzt noch am Stimmfach „Sopranist“ zweifelt, dem ist nicht zu helfen.


Besprechung auch in "Der Opernfreund"